Bildnachweis: GoingPublic / UM.

Seit 25 Jahren berichtet GoingPublic Media über das Thema „Biotechnologie“ – zunächst im Rahmen des monatlichen GoingPublic Magazins, seit 2017 auf der themeneigenen Plattform Life Sciences. Anlässlich des silbernen Jubiläums blicken wir zurück und präsentieren in regelmäßigen Abständen Interviews und Beiträge von damals bis heute.

 

Während die erste Generation der deutschen Biotechs meist noch Amgen und Genentech zum Vorbild hatte und das Management vom Aufbau eines großen Unternehmens träumte, sind mittlerweile Ernüchterung und Realitätssinn eingekehrt. Die Erfolgreichen der Branche haben erkannt, dass der Schlüssel zum Erfolg und meist auch zum erfolgreichen Exit für die Investoren und Gründer in Kooperationen und nicht in Konfrontationen mit den Big Boys liegt. Gleichzeitig ist bei den großen Pharmafirmen die Einsicht gereift, dass die kleinen Newcomer oft über hervorragende Technologien verfügen, die im eigenen Unternehmen trotz hoher Forschungs- und Entwicklungsetats nicht reifen. Auch die Venture Capital-Investoren, ohne die in der kapitalintensiven Biotech-Branche kaum etwas geht, achten zunehmend darauf, dass die Unternehmen frühzeitig Kooperationen abschließen. Dieser Mix wird mittelfristig zu einem deutlichen Erstarken gerade auch der deutschen Biotech-Landschaft führen.

 

Fokussierung auf die Kernkompetenzen

Diese Leitlinie gilt heutzutage praktisch für jedes Unternehmen. Und was nun sind die Kernkompetenzen eines Biotech-Unternehmens? Dies ist sicherlich nicht die Vermarktung von Medikamenten oder der Aufbau einer eigenen Vertriebsstruktur. Vielmehr zeichnen sich junge Biotech-Unternehmen meist durch neue wissenschaftliche Ansätze, sehr guten Zugang zu Forschungseinrichtungen und Universitäten, hoch motivierte Wissenschaftler sowie hohe Flexibilität und Dynamik aus. Genau dies fehlt oft den bestens ausgestatteten Forschungslabors der großen Pharmaunternehmen, die jährlich Milliarden relativ unproduktiv in den eigenen Forschungsabteilungen versenken. Während nach dem Gründungsboom der Biotechs in Deutschland vor mehr als zehn Jahren noch der Aufbau voll integrierter Unternehmen mit möglichst raschem Börsengang im Fokus stand, hat sich das Bild nun deutlich gewandelt. Biotech-Unternehmen nehmen zum Teil schon das Bild einer „Projektgesellschaft“ an. Ziel ist es, möglichst rasch ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Technologie in messbare klinische Erfolge umzuwandeln, um dann über den Verkauf des Unternehmens oder die Lizenzierung bzw. Kooperation mit etablierten Pharmaunternehmen einen Return zu erwirtschaften.

Gewinn – das vorrangige Ziel

Diese Erfahrung und vor allem die dazu notwendigen Netzwerke fehlen jedoch den meist jungen Wissenschaftlern, die gerade die Universität verlassen. Deshalb kommt dem Management eines Biotech-Unternehmens eine immer größere Bedeutung zu. Gründer, die bereits erfolgreich ein Projekt oder Unternehmen verkauft haben, können sich praktisch aussuchen, für wen sie in Zukunft tätig sein wollen. Gerade Investoren vertrauen oft auf das glückliche Händchen der schon mal Erfolgreichen. „Von der Garage zum Weltkonzern“ gilt auch in der Biotech-Branche schon lange nicht mehr. Der Aufbau eines erfolgreichen Biotech-Unternehmens, dessen vorrangiges Ziel es ist, Gewinn für die Anteilseigner zu erwirtschaften, professionalisiert sich daher zunehmend. Bei den Winning Teams zählt immer häufiger eine Kombination aus erfahrenen Managern, hervorragenden Wissenschaftlern und einer Technologie, die neue Therapieansätze ermöglicht. Gut vernetzte Manager haben meist einen deutlich besseren Zugang zu Investoren und potenziellen Kooperationspartnern und können ein Unternehmen so meist deutlich schneller voranbringen. Wie überall ist nicht nur die Technologie und das Produkt, sondern auch die Geschwindigkeit, mit der etwas vorangebracht wird, von elementarer Bedeutung. Deshalb verwundert es auch nicht, dass die meisten erfolgreich finanzierten Biotech-Unternehmen in den letzten Jahren ihr Management entsprechend erweitert oder ausgetauscht haben.

Frühzeitige Kooperationen sichern das Weiterleben

Eine frühzeitige Kooperation mit einem etablierten Pharmaunternehmen ist für private Biotech-Unternehmen, die ja auf den permanenten Zufluss von Investitionskapital angewiesen sind, praktisch schon ein Muss. Aber auch börsennotierte Gesellschaften erhalten eine Validierung ihrer Technologie, wenn sie mit etablierten Namen Partnerschaften eingehen. Entsprechende positive News sind meist auch ein Schmiermittel für den Aktienkurs. Neben den Erfolgen bei der klinischen Entwicklung zählen Kooperationsvereinbarungen zu den häufigsten Pressemeldungen von Biotech-Gesellschaften. Zu einem der aktivsten deutschen Unternehmen im Bereich Kooperationen zählt mittlerweile die Berliner Noxxon AG. Den Beginn markiert dabei eine umfassende Kooperation mit Pfizer im März 2006. Demnach kann Pfizer auf die Spiegelmer-Technologie des Berliner Unternehmens zurückgreifen, um Produktkandidaten für bis zu drei Targets pro Jahr zu selektieren. Seit einer großen Finanzierungsrunde über ein Volumen von 37 Mio. Euro geht es nun Schlag auf Schlag: Im November letzten Jahres erfolgte eine Kooperation mit Roche. Die Schweizer benutzen die Spiegelmer-Technologie, um Wirkstoffkandidaten für die Behandlung von Entzündungskrankheiten zu identifizieren. Roche übernimmt dabei sowohl die präklinischen und klinischen Studien als auch die anschließende Kommerzialisierung der Produkte. Als Kompensation erhält Noxxon entsprechende, nicht öffentlich bekannte Meilenstein- und Lizenzzahlungen. Im Juni dieses Jahres erfolgte eine ähnliche Vereinbarung mit Eli Lilly, die sich auf die Indikation Migränebehandlung bezieht. Ebenso dürfte die Kooperation der Heidelberger Affimed mit der börsen notierten amerikanischen XOMA hilfreich gewesen sein, um innerhalb der letzten zwei Jahre 30 Mio. Euro an Beteiligungskapital einzusammeln. Da die privaten Gesellschaften jedoch nur ihren meist handverlesenen Investoren Rechenschaft schuldig sind, gibt es hinsichtlich derartiger Kooperation nur beschränkte Informationen.

Auch börsennotierte Unternehmen profitieren von Kooperationen

Während sich das allgemeine Börsenumfeld in den letzten Monaten äußerst negativ darstellte, konnten erstaunlicherweise einige Biotech-Unternehmen mit Kursgewinnen glänzen. Während die Kooperation der Jerini AG mit Shire sofort in eine Übernahme mündete, wirken Kooperationsvereinbarungen mit strategischen Partnern auch bei anderen Firmen als Kurstreiber. So hat der Aktienkurs der Wilex AG nach der Bekanntgabe einer Kooperation mit der belgischen IBA innerhalb kurzer Zeit um über 50% zugelegt. Auch der Aktienkurs der in Martinsried und in Bethesda nahe Washington ansässigen Micromet kennt seit Monaten nur noch einen Weg – und zwar nach oben. Die Gesellschaft verfügt über eine umfassende Pipeline bispezifischer T-Zellen Engager (BiTE) und hat Kooperationen mit MedImmune, Merck Serono, Morphotek, Nycomed und Tracon Pharmaceuticals. Entscheidend für den Kursanstieg dürfte u. a. der Start einer klinischen Phase II-Studie in Zusammenarbeit mit MedImmune sein. Die vor kurzem in Science publizierten klinischen Phase I-Daten zur Behandlung des Non-Hodgkin-Lymphoms zeigten überzeugende Resultate. Der therapeutische Anti körper aktiviert die köpereigenen T-Zellen, um somit die eigene Abwehr gegen die Krebszellen zu stärken. In der publizierten Phase I-Studie kam es dabei zu kompletten Remissionen, obwohl die Patienten aufgrund fehlgeschlagener vorhergehender Therapien als unheilbar eingestuft wurden.

Erfolgreiches Beispiel: MorphoSys

Schon immer auf Kooperationen hat die in Martinsried ansässige MorphoSys gesetzt. Dies ist wohl auch der Grund, warum die Aktie in den letzten fünf Jahren mehr als 500% zugelegt hat und von großen Einbrüchen verschont geblieben ist. Zu den Partnern des Unternehmens, das sich auf therapeutische Antikörper fokussiert hat, zählen praktisch alle großen Pharmafirmen wie Pfizer, Novartis, Eli Lilly, Merck und Roche, um nur einige zu nennen. Ende letzten Jahres hat MorphoSys zudem eine der bisher größten Forschungskooperationen in der gesamten Branche mit Novartis abgeschlossen. Der Vertrag umfasst ein Umsatzpotenzial von 1 Mrd. USD, wobei innerhalb von zehn Jahren allein 600 Mio. für die Technologielizenzierung und Forschungsdienstleistungen fließen und der Rest an Milestones gekoppelt ist. Darin sind noch keine Royalties im Falle der erfolgreichen Zulassung von gemeinsam entwickelten Produkten enthalten. In der klinischen Phase I hat MorphoSys zudem fünf Produktkandidaten gegen Alzheimer, Krebs und rheumatoide Arthritis, wobei MOR103 gegen Arthritis bisher ohne Partner entwickelt wird. Mit einem erwarteten Umsatz von etwa 75 Mio. Euro und einem Gewinn von 8 Mio. Euro zählt das Unternehmen zu den wenigen profitablen Biotechs hierzulande.

Big Pharma erzielt Erfolge mit Partnerschaften

Die Kooperationen zwischen Biotech und Big Pharma sind jedoch nicht nur ein Schmiermittel für die Biotechs. Wie wichtig die Zusammenarbeit zwischen Klein und Groß mittlerweile ist, zeigt ein Statement von Sanofi-Aventis. Anlässlich der internationalen Versammlung der Biotechnology Industry Organiation hat das Unternehmen mitgeteilt, dass zwischen Juni 2007 und Juni 2008 allein drei neue therapeutische Antikörper- und sechs neue Impfstoffkandidaten aus entsprechenden Vereinbarungen hervorgegangen sind. Auch weiterhin ist das Unternehmen, wie auch die anderen Phramariesen, aktiv auf der Suche nach aussichtsreichen Wirkstoffkandidaten. Zunehmende Aktivitäten im Biotech-Sektor sind auch von Pfizer zu erwarten. Hierzulande arbeitet das Unternehmen neben der Kooperation mit MorphoSys seit Jahren bereits mit der Berliner Evotec zusammen. Mit diesen beiden arbeitet auch Roche zusammen. Trotz der ersten Erfolge bei den Kooperationen findet sich die Mehrzahl der weltweiten Partnerschaften immer noch zwischen amerikanischen Unternehmen und Big Pharma. Mit dem Erwachsenwerden der Branche hierzulande dürfte sich aber auch das mittelfristig ändern.

Fazit

Letztlich bestimmt auch in der Biotech-Branche die Betriebswirtschaft. Nachdem der Markt für Unternehmensfinanzierungen sehr rau geworden ist und nicht mehr nur eine Idee oder eine neue Technologie schnell Geldgeber fanden, mussten sich die Biotechs hierzulande, wie in den USA schon lange üblich, verstärkt um Partnerschaften bemühen. Dies hat der Branche letztendlich gutgetan. Die Biotechs der „zweiten“ Generation beschränken sich auf ihre Kernkompetenzen in Forschung und Entwicklung und träumen nicht mehr von der nächsten Amgen oder Genentech. Frühzeitig versuchen sie, mit Big Pharma Kooperationen einzugehen. Dass dies auch wirtschaftlich sehr erfolgreich sein kann und das Unternehmen weiterhin als selbständige Einheit existieren lässt, zeigt wohl am besten die Kooperation zwischen MorphoSys und Novartis auf. Da die Taschen der Pharmaindustrie gefüllt sind, sind in den kommenden Jahren weitere Kooperationen zwischen Groß und Klein zu erwarten.

Dr. Georg Hochwimmer

 

Dieser Beitrag erschien erstmals in der Sonderausgabe „Biotechnologie 2008“ des GoingPublic Magazins.