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Wenn deutsche Start-ups an eine Expansion in einen besonders vielversprechenden Markt denken, dann haben sie in der Regel die USA im Visier. Insbesondere, wenn sie auf Life Sciences oder Medizintechnik spezialisiert sind. Doch ein Start im weltweit größten Markt ist herausfordernder als viele frühphasige Startups meinen, und manch andere Auslandsmärkte sind attraktiver als gedacht. Nur, wer sich die richtigen Fragen stellt, findet den richtigen Einstieg und kann langfristig erfolgreich sein. Von Marc Filerman, German Accelerator, Life Science Competence Center

 

Warum streben deutsche Life-Sciences- und Medizintechnik-Start-ups bevorzugt in die USA, wenn sie international expandieren wollen? Die Antwort ist banal: der Markt ist riesig, die Kaufkraft hoch, die Ausgaben für Healthtech sind die höchsten weltweit.

Bei genauerer Betrachtung stellt sich jedoch rasch heraus: So heterogen die Forschungs- und Entwicklungsfelder der Startups sind, so heterogen ist der US-Markt. Das reduziert das Potenzial für die eigenen Innovationen und Forschungsansätze mitunter deutlich. Jedes einzelne Unternehmen muss daher evaluieren, welchen spezifischen Wertschöpfungsbeitrag es in einem Markt an welcher Stelle leisten kann. Auch wenn der US-Markt das angestrebte Ziel ist, kann ein anderes Land besser passen oder als erstes Testfeld geeigneter sein: Singapur, Japan oder Indien zum Beispiel.

Alternativen ausloten

Nur die wenigsten Gründerinnen und Gründer haben von vornherein asiatische Länder auf ihrem Expansionsradar. Dabei entwickeln sich diese Märkte rasant. Wichtig ist jedoch die richtige Priorisierung der Zielmärkte und Zielregionen, denn die Ökosysteme und Rahmenbedingungen können sich auch innerhalb eines Landes stark unterscheiden.

Operationsvorbereitung mit 3D-Mixed-Reality-Plattform von apoQlar.

Viele asiatische Märkte haben einen Fokus auf Medizintechnik und Life Sciences, sind begeistert von neuen Technologien und Innovationen – insbesondere aus Deutschland. Ein erfolgreiches Beispiel ist das in Hamburg gegründete Startup apoQlar (www.apoqlar.com). Das Unternehmen entwickelt und vertreibt eine 3D Mixed-Reality- und KI-Plattform unter anderem für die OP-Vorbesprechung und -Planung. apoQlar startete seine globale Expansion in Singapur und eröffnete erst später eine Niederlassung in den USA. Heute ist das Unternehmen in zahlreichen weiteren Märkten aktiv. Sirko Pelzl, apoQlar Gründer und CEO: „Die Besonderheiten der asiatischen Märkte sollten nicht unterschätzt werden. Neben den kulturellen Gepflogenheiten unterscheiden sich auch die Zertifizierung von Medizintechnik stark von Land zu Land. Man müsste den Zielmarkt schon sehr gut kennen, um ohne die Unterstützung ortskundiger Mentoren zurecht zu kommen.“

Lokale Mentoren finden

Auf diesem Weg begleitet wurde apoQlar vom Lifesciences Competence Center (LSCC) des German Accelerator. Das LSCC unterstützt vielversprechende deutsche Startups, international zu wachsen und dabei die Risiken zu minimieren. Außerdem trägt es zur Stärkung des Ökosystems für Medizintechnik und Life Sciences in Deutschland bei. Neben dem 2015 gegründeten Hub in Boston unterhält das LSCC inzwischen weitere Standorte in den USA und in Singapur. Darüber hinaus fördern Experten und Mentoren in Japan, China, Südkorea und Indien deutsche Startups mit maßgeschneiderten Programmen.

Marc Filerman leitet das globale Life-Sciences-Programm des German Accelerator.

Frühphasige Startups, die Therapeutika entwickeln, benötigen meist Unterstützung beim Fundraising, bei der Positionierung und beim wissenschaftlichen De-Risking. Bei Unternehmen aus Medizintechnik, Diagnostik und Digital Health stehen dagegen das Verstehen und die Überwindung von Hürden für die Marktanpassung im Vordergrund, um den kommerziellen Erfolg zu ermöglichen. Damit jedes Startup eine passgenaue Förderung erhält, wird ihm ein Lead Mentor und ein Programm-Manager zugeteilt. Zu den Mentorinnen und Mentoren für Life-Sciences-Unternehmen gehören Kliniker, mit der Branche vertraute Investorinnen und Investoren, aber auch erfolgreiche Entrepreneure.

Neben Technologie und Branche bestimmt die Entwicklungsphase eines Startups die Anforderungen an das Mentoring. Grundsätzlich lohnt es sich, sehr früh ein Mindset für die spätere Internationalisierung zu entwickeln und entscheidende Weichen zu stellen, von der Architektur der Technik bis zur Vertriebsstrategie. Daher berät das LSCC des German Accelerator auch frühphasige Startups.

Inovedis hat ein neuartiges Implantat für das Schultergelenk entwickelt.

Individuelle Förderung nutzen

Start-ups, die schon für eine detaillierte Markterkundung und für den Markteintritt in den USA oder asiatischen Ländern bereit sind, können am „Life Science Market Access“-Programm teilnehmen. Dabei stellt sich immer zuerst die Frage: Gibt es ein Problem im Zielmarkt, das wir lösen können? Aber auch: Wer würde für die Lösung Geld ausgeben? Allein die Beantwortung dieser Fragen eröffnet ein komplexes Feld von Aktivitäten, wie das aktuelle Beispiel Inovedis (https://inovedis.de) zeigt. Das Unternehmen hat ein Implantat für die Reparatur der Rotatorenmanschette im Schultergelenk entwickelt. Das Life-Sciences-Team des German Accelerator stellte zunächst den Kontakt zu Chirurgen und zu Inhabern von Operationszentren in den USA her. Diese analysierten zusammen mit Inovedis, wo die aktuellen Herausforderungen in der Therapie liegen und wie das Implantat die Effizienz und Effektivität der Behandlungsstandards verbessern kann. Darüber hinaus erhielt Inovedis Input zu den regulatorischen Anforderungen und zu möglichen Ansätzen für klinische Studien. Das LSCC vermittelte ferner Kontakte zu Chirurgen, die an klinischen Studien interessiert sein könnten. Begleitet von einer Anwaltskanzlei half das LSCC bei der Firmengründung in den USA und unterstützte die Suche nach passendem Personal.

Meine Top 3 Tipps für Gründerinnen und Gründer, die international expandieren wollen:

  1. Verliebt Euch in die Probleme vor Ort, nicht nur in Eure Lösungen.
  2. Holt Euch zunächst hart arbeitende „Spieler-Trainer“, die selbst in der Lage sind, Resultate zu erzielen, und nicht nur andere managen.
  3. Denkt groß und fokussiert Euch stark auf die Kommerzialisierung. Macht Euch die deutsche Genauigkeit und die Liebe zum Detail zunutze.

 

ZUM AUTOR

Marc Filerman ist Managing Partner bei German Entrepreneurship, wo er von Boston aus das globale Life-Sciences-Programm leitet. Nach seinem Abschluss als Master of Science in Maschinenbau am MIT war er Mitbegründer eines Start-ups für molekulare Bildgebung und auch in verschiedenen Führungspositionen für Unternehmen der Medizintechnik tätig.