Bildnachweis: Wacker Chemie AG.

Die Eröffnung des neuen Forschungszentrums für Biotechnologie in München untermauert die Strategie der Wacker Chemie AG, seine Geschäftsfelder weiter zu diversifizieren.
Der Geschäftsbereich Biosolutions agiert dabei als Forschungslabor und Prozessentwickler für die Skalierung marktreifer Produkte für Medizin und Ernährung. Von Stefan Riedel

Wacker Chemie (ISIN: DE000WCH8881, MarketCap: 3,53 Mrd. EUR) ist der breiten Öffentlichkeit vor allem als Spezialchemiehersteller bei Silikonen, Polymeren und Polysilizium für Solarzellen bekannt. Die vierte und umsatzmäßig kleinste Sparte Biosolutions bewegte sich dagegen bis zur Coronapandemie auch unter dem Radar von vielen Investoren. Dann rückte sie als Produktionsstätte von Bestandteilen der mRNA-basierten Covid-19-Impfstoffe ins Rampenlicht. Seit Sommer 2024 hat der Konzern in Halle ein eigenes mRNA-Kompetenzzentrum. Dort kann Wacker bei einer neuen medizinischen Notlage in einem kurzen Zeitraum bis zu 80 Mio. Dosen eines neuen Impfstoffs produzieren.

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Neues Forschungszentrum als innovative Keimzelle

Die Forschung und Entwicklung bei Wacker Biosolutions bekommt mit dem am Mittwoch feierlich eröffneten Wacker Biotechnology Center im Münchner Südwesten einen neuen Schwung. Einen von Vorstandschef Christian Hartel nicht genauer bezifferten zweistelligen Millionenbetrag hat der Konzern in das neue Gebäude investiert, in dem bis zu 90 Mitarbeiter arbeiten sollen.

Aktuell stellt Wacker Biosolutions rund 7% des Konzernumsatzes. Im Geschäftsjahr 2024 schaffte sie ein Umsatzplus von 11%. Das EBITDA bei Biosolutions schnellte auf EUR 7 auf 35 Mio. nach oben. Das über dem Konzerndurchschnitt liegende Umsatzwachstum soll sich in den nächsten Jahren weiter beschleunigen. „Wir haben dazu für die nächsten Jahre einen klaren Auftrag“, erläutert Mathias Wiedemann, Leiter von Wacker Biosolutions, gegenüber Going Public. „Vom grundsätzlichen Setup sind wir sehr gut aufgestellt. Wir haben die richtigen Technologien, Assets und Menschen, um unsere Ziele umzusetzen.“

Aktienkurs Wacker Chemie AG. Stand: 11.6.25 Schlusskurs
Aktienkurs Wacker Chemie AG. Stand: 11.6.25 Schlusskurs

Zwei kommerzielle Zielmärkte

Genveränderte E.Coli-Bakterien bilden bei rund 90% aller Entwicklungsprozesse für die Herstellung von Proteinen. Für die Herstellung von Nährstoffen werden dabei Zellkulturen in Laborfermentern in immer größeren Mengen in immer größeren Behältern bis zu einem 200 Liter umfassenden Pilotreaktor herangezüchtet. Der Produktfokus liegt zum einen auf den Biopharmazeutika, also Arzneien und Impfstoffen auf der Basis von Proteinen und Nukleinsäuren. Wacker agiert hier als Auftragshersteller für Pharmakonzerne, wirkt aber auch als Testlabor etwa bei der Entwicklung von neuen Impfstoffen mit. Proteine sind und bleiben das Brot-und-Butter-Geschäft im operativen Geschäft. Nukleinsäuren legten im Zuge der Produktion der Covid-19-Impfstoffe ein rasantes Wachstum hin, aber nicht alle Entwicklungen demonstrierten die erwarteten Vorteile gegenüber herkömmlichen Vakzinen.

Nahrungsergänzungsmittel sind der zweite größte Wachstumsmarkt für Wacker Biosolutions. Zwei neue Produkte sollen 2026 auf dem Markt eingeführt werden. Dazu zählt Humane Milch-Oligosaccharide, kurz HMOs, die in der Muttermilch in hochkonzentrierter Form vorkommen. HMOs sind komplexe Kohlenhydrate, die eine positive Wirkung auf das Immunsystem von Säuglingen entfalten. Als Probiotika entwickelt unterstützen sie die Bildung der Darmflora und fördern Stoffwechsel und Nervenwachstum. Marktstudien erwarten, dass der globale Markt für HMO-Produkte sich zwischen 2022 und 2032 von USD 180 Mio. auf USD 900 Mio. verfünffachen soll. Wacker Biosolutions hat im Mai mit der in Mannheim ansässigen Firma Beneo GmbH eine Partnerschaft abgeschlossen, um HMO zuerst in Europa auf den Markt zu bringen.

Ein zweiter Hoffnungsträger im Food-Tech-Produktportfolio von Wacker Biosolutions ist rein biologisch hergestelltes Taurin. Diese Aminosäure ist ein elementarer Bestandteil in Energy Drinks und kommt auch in Kosmetika vor. In den Fermentieranlagen am nordspanischen Standort León ist Wacker in der Lage, Taurin auf vollkommen pflanzlicher Basis in großen Volumina zu produzieren.

Lesen Sie hier auch den Artikel Auf dem Weg zu neuen Höhen? – Teil 92 der Serie Familienunternehmen an der Börse: Wacker Chemie AG vom 27. Juni 2025.

Als dritte große Produktgruppe im FoodTech-Markt entwickelt Wacker Biosolutions im Labor kultiviertes Fleisch aus tierischen Zellkulturen. Ausgangspunkt dafür sind Nährmedien aus Molekülen und Proteinen. Das Zellkulturmedium, in dem die Zellen wachsen und sich entwickeln, ist Wiedemann zufolge der kostenintensivste Bereich des gesamten Herstellungsprozesses. Damit das Endprodukt, also das im Labor kultivierte Fleisch, eine Preisparität mit konventionellem Fleisch vom Metzger erreichen kann, komme auf Wacker die Aufgabe zu, eine kostengünstige Skalierbarkeit zu entwickeln. „Im Foodtechbereich stellt sich die Frage nach der Preisprämie für die Produkte verglichen mit dem Mehrwert für die Endkonsumenten,“ erläutert Wiedemann den Schlüssel zum Erfolg. Schaffe eines der Produkte aus den Wacker-Laboren den großen kommerziellen Durchbruch, bedeute das einen Umsatz- und Gewinnhebel für den gesamten Geschäftsbereich Biosolutions.

Langfristige Wachstumsquelle

Keine aktive Rolle soll Wacker Biosolutions nach den Worten von Wiedemann auf der Finanzierungsseite spielen. „Unsere Strategie sieht derzeit nicht vor, als strategischer Investor für Biotech- oder Food-Tech-Start-ups zu agieren.“ Stattdessen unterstütze Wacker Chemie diese Firmen in deren Prozessabläufen, indem die eigenen Anlagen und Technologie für die Entwicklung zur Verfügung gestellt werden. Als Gegenleistung seien spätere Umsatzbeteiligungen eine mögliche Option, wenn Produkte den Weg auf den Markt schaffen.

Die Wacker-Aktie verzeichnete in den ersten Tagen nach der Eröffnung des Biotechnologiezentrums, bei der Konzernchef Christian Hartel die Wacker-Wachstumsziele für 2025 bekräftigte, einen moderaten Anstieg – Schlusskurse lagen am 10.6.25 zwischen 71,00  und 71,60  EUR, entsprechend einem Tagesplus von etwa 1,5 %. Während diese Kursbewegung im üblichen Schwankungsbereich liegt, könnte die derzeitige Entwicklung dennoch ein erstes, verhalten positives Signal sein, dass Investoren die Ausweitung des Biosolutions-Segments als strategischen Fortschritt werten. Ob sich daraus ein nachhaltiger Trend ergibt, wird sich erst mit Blick auf kommende Geschäftszahlen und Marktreaktionen zeigen. Größter Unsicherheitsfaktor bleibt die Sparte Polysilizium. Hier schweben neue US-Zölle schweben wie ein Damoklesschwert über der Solarbranche und ihren Polysiliziumzulieferern wie Wacker Chemie. Mittel- bis langfristig wird die Sparte Biosolutions eine bedeutende Rolle spielen bei der Diversifizierung und Stärkung der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben.

Autor/Autorin

Stefan Riedel
Freier Redakteur at Büro für Kommunikation

Stefan Riedel ist freier Autor bei GoingPublic Media und selbständiger Redakteur mit Schwerpunkt Finanzen und Wirtschaft.