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Die Gesundheitsbranche hat die digitale Revolution erst spät entdeckt und muss nun aufholen. Digital Health ist keine Option mehr, sie ist eine Notwendigkeit – denn eines ist klar: Eine gute Patient Journey, der Weg des Patienten durch seine Erkrankung, wird immer stärker vom Zugang zu Daten abhängen. Durch diese tiefgreifenden Veränderungen ergibt sich ein enormes Potenzial für die Investoren- und VC-Branche. Von Dr. Angelika Vlachou

Einblicke in das Verhalten eines Patienten während seiner Erkrankung, angefangen von den ersten Symptomen bis hin zur Nachbeobachtung, ermöglichen es Ärztinnen und Ärzten, evidenzbasierte Entscheidungen zu treffen. Patienten helfen diese Daten dabei, ihre Krankheit besser zu verstehen und sie erfolgreicher zu ­behandeln. Außerdem können digitale Anwendungen mit klassischen Therapien kombiniert werden und dadurch die Versorgung der Patienten verbessern.

Digitale Lösungen haben also das Potenzial, die Patientenversorgung zu revolutionieren, indem sie zugängliche, evidenzbasierte und kostengünstige Behandlungsoptionen bieten. Der Bereich entwickelt sich schnell und es gibt vielerlei innovative Lösungen auf dem wahrscheinlich am schnellsten wachsenden Markt in der Gesundheitsbranche.

Smarte Medizin: DiGAs können helfen, die Regelversorgung zu verbessern

Die anfängliche DiGA-Start-up-Euphorie und die einhergehende Goldgräberstimmung aufseiten der Investoren sind schon lange verflogen. Der Hype kam nicht an bei den Haus- und Facharztpraxen, die das Konzept umsetzen sollten. Nicht jede Gesundheits-App ist eine digitale Gesundheitsanwendung (DiGA), die durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zugelassenen wird; ein positiver Nutzen für den Patienten muss gezeigt werden. Die Integration von digitalen Anwendungen in die Regelversorgung und damit der Zugang zum ersten Gesundheitsmarkt ist aber entscheidend, damit die Lösungen bei den Patienten auch breit eingesetzt werden können.

Durch die Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis erhalten die Hersteller den Zugang zu rund 74 Millionen Menschen in Deutschland. Jedoch stellt diese im Grunde nur eine Abrechnungsmethode dar, kein Geschäftsmodell. Diese breite Basis bietet die Chance für frühe Umsätze und auch zur Testung der digitalen Anwendung am Markt. Die Herausforderung besteht darin, Ärztinnen und Ärzte von der Verschreibung von DiGAs zu überzeugen. Das kostet Zeit. Diese muss genutzt werden, um zusätzliche umsatzgenerierende Alternativen zu finden, wie die Aufnahme in integrierte Versorgungsprogramme der Krankenkassen oder Selektivverträge.

„Gesundheits-Apps“ können in Patientenversorgung einbezogen werden

Der Markt der Gesundheits-Apps ist sehr facettenreich und reicht von Lifestyle-Apps bis hin zu DiGAs. Wir sehen zahlreiche Produkte im Bereich elektronisches Tagebuch sowie Anwendungen, die helfen, Symptome zu erfassen, Messwerte zu ­dokumentieren und auszuwerten. Diese Apps kommen Patienten mit chronischen und psychischen Erkrankungen zugute. Auch in der Krebstherapie oder bei FemTech-Anwendungen für die Frauengesundheit können DiGAs unterstützen, Erkrankungen besser zu managen und die Lebensqualität der Patienten zu erhöhen.

Digitale Lösungen: Enormes Potenzial für die Investoren- und VC-Branche

Investorinnen und Investoren erkennen die Chancen. Die Investitionsbereiche sind gegeben: Digital Health, digitale ­Praxis- und Krankenhaussoftware sowie Informations- und Kommunikationsplattformen zwischen medizinischem Personal, Betroffenen und Versicherungen – softwarebasierte Anwendungen boomen. Ähnliches gilt für Deeptech-Anwendungen, die parallel zu zahlreichen Branchen auch den Gesundheitsbereich revolutionieren: Die Zahl chirurgischer Robotiksysteme und der Einsatz maschinellen Lernens sowie künstlicher Intelligenz zur Verbesserung von Diagnose und Nachweisverfahren nehmen weiter zu. Die Digitalisierung im Gesundheitsbereich bietet große Chancen für Prävention, Diagnose und Management von Krankheiten, damit einen wesentlichen Beitrag für personalisierte und Präzisionsmedizin.

Digitale Produkte müssen Kriterien erfüllen

Unser Fokus liegt darauf, in die besten Ideen und Gründerinnen und Gründer zu investieren, in Medizinprodukte, Arzneimittel und Lösungen mit einem positiven Kosten-Nutzen-Verhältnis, die einen ungedeckten medizinischen Bedarf adressieren. Wir suchen proprietäre Datensätze oder innovative Technologien, proprietäre Daten zu erzeugen, Innovationen, zu denen andere keinen Zugang haben. Die Zukunft liegt in neuen Ansätzen zur Bewältigung der schwierigsten Probleme im Gesundheitswesen. Das sind Technologien und neue Lösungen, die unser Gesundheitssystem effizienter machen und gleichzeitig eine bessere Patientenversorgung ermöglichen.

Das Ziel muss personalisierte Präzisionsmedizin sein

Digitale Anwendungen können mit klassischen Therapien kombiniert werden und dadurch die Versorgung von chronisch kranken Patienten wie Herz-Kreislauf-­Erkrankten oder Diabetikern verbessern; digitale Begleiter beispielsweise für Krebs­patienten. Basierend auf dem Krankheitsstadium und -verlauf sowie Therapie ­erstellen intelligente Algorithmen für jeden Patienten einzigartige und abgestimmte Inhalte, um die Krankheit besser zu verstehen, und bieten umfangreiche Unterstützung während der Therapie und in der Nachsorge.

Die Telemedizin kann eine Möglichkeit darstellen, den Zugang zu Gesundheitsleistungen gerade in unterversorgten Regionen zu erleichtern. Jedoch werden Ärzte in unserer Gesellschaft nie komplett auf telemedizinische Versorgung setzen, sie wollen ihre Patienten weiterhin in Gänze und persönlich sehen. Dabei ist Telemedizin bereits heute eine wichtige Ergänzung: Digital zugeschaltete Spezialisten können bei komplexen Diagnosen oder Therapien eingebunden werden und ortsunabhängig unterstützen, auch in Kombination mit chirurgischer Robotik bei Operationen. So erhalten Betroffene schnell Hilfe. Die Behandlung und die Ressourcen von Spezialisten sind so überregional und spezifisch zugänglich.

KI-gestützte Technologien können bei der Analyse und Auswertung komplexer Datenmengen beispielsweise bei der Auswertung bildgebender Verfahren und damit verbundenen Diagnosen unter­stützen.

Potenziale erkennen

Wir betrachten zahlreiche digitale Innovationen, setzen auf Diversität und ein breites Portfolio; nicht nur auf „große Marktpotenziale“, sondern wir sehen auch die Attraktivität von Nischen. Wir generieren Impact im Start-up-Ökosystem. Gründerinnen und Gründer schätzen das enge Sparring und die Kompetenz, den Mehrwert, den wir vor allem in den jungen Unternehmensphasen, in denen wir uns engagieren, mitbringen.

Wir suchen innovative Technologien, proprietäre und gute Datensätze, die als Grundlage für einen messbaren Mehrwert für den Patienten dienen können. Voraussetzung für den Erfolg digitaler Lösungen sind auch evidenzbasierte Daten, die die Wirksamkeit, den medizinischen Nutzen nachweisen und auch den sehr hohen Qualitätsanspruch sicherstellen, sowie der Beleg eines positiven Versorgungseffekts für den Patienten einhergehend mit einem positiven Kosten-Nutzen-Verhältnis. Dies sind Grundvoraussetzungen im Gefüge komplexer Gesundheitssysteme aus Nutzer (Patient), Anbieter (Hersteller) und Zahler (Kostenträger), in denen der Nutznießer nicht der Zahler ist. Ein gutes Beispiel ist die Selfapy GmbH, die evidenzbasierte Theorien und Techniken der kognitiven Verhaltenstherapie bei psychischen Erkrankungen einsetzt und erheblich dazu beiträgt, Menschen zu helfen, die bislang nicht vom Versorgungssystem erreicht wurden. Darin sieht auch Pharma viel Wachstumspotenzial. Ein anderes Beispiel aus dem Bereich Entwicklung von KI-Modellen ist die Aignostics GmbH, deren Ziel die Verbesserung des Verständnisses der Diagnose und Behandlung schwerwiegender Krankheiten ist. Es gibt aber auch nicht-erfolgreiche Fälle wie das Unternehmen m-sense: Wenn es nicht gelingt, die Wirksamkeit in allen Punkten nachzuweisen, werden DiGAs aus dem Verzeichnis entfernt und Rückforderungen der Kostenträger besiegeln das Ende der Start-ups.

Kontinuität und Durchhaltevermögen gehören natürlich auch dazu, der Unternehmensentwicklung Raum zu geben. Die Fähigkeit, den Kurs zu optimieren und anzupassen sowie Chancen wahrzunehmen, ist entscheidend. Anders als in anderen Branchen steht eine schnelle Skalierung nicht im Vordergrund und ist kein Garant für einen Erfolg.

Autor/Autorin

Dr. Angelika Vlachou

Dr. Angelika Vlachou, Partnerin beim High-Tech Gründerfonds (HTGF) und dort verantwortlich für den Bereich Life Sciences und Chemie, investiert seit nunmehr über zehn Jahren Venture Capital in Biotech-, Pharma- und Life-Sciences-Start-ups. Im Laufe ihrer Karriere betreute sie viele Transaktionen, die von Venture Capital in der Seed-Phase über Wachstumsfinanzierung bis hin zu Lizenzverträgen, Trade-Sale-Transaktionen und IPOs reichten. Ihre Expertise fußt zudem auf ihrer virologisch-molekularbiologischen Forschungserfahrung.