Plattform Life Sciences: Herr Prof. Dr. Domdey, BioM feiert in diesem Jahr sein 25-jähriges Jubiläum, Sie selbst wechseln in den Ruhestand. Mit welchem Gefühl gehen Sie?

Prof. Dr. Domdey: Ich gehe mit einem sehr guten Gefühl, weil ich glaube, dass ich BioM in einem sehr guten Zustand an meinen Nachfolger übergeben kann. Gerade in den letzten Jahren konnten wir noch einmal vieles bewegen und insbesondere in den Zeiten der Pandemie hat sich die Bedeutung des Life-Sciences-Standorts München als beträchtlich erwiesen. Wir wurden immer wieder von der bayerischen Landesregierung um Rat gefragt und haben insbesondere den lokalen Unternehmen geholfen, entweder ihre bereits bestehenden Testsysteme zu vertreiben oder sie bei der Akquise von Fördergeldern zu ­unterstützen, damit sie neue Testsysteme entwickeln können.

Das Wichtigste: Wir haben uns sehr stark engagiert, um ein Förderprogramm des bayerischen Wirtschaftsministeriums – „BayTherapie2020“ – auf den Weg zu bringen, ein Programm, das die Entwicklung von Therapien gegen COVID-19 durch bayerische Biotechnologieunternehmen co-finanziert. Das Programm hat ein Volumen von insgesamt 55 Mio. EUR. Hier konnten wir erfreulicherweise dazu beitragen, dass Bayern eine Vorreiterrolle in der Entwicklung von COVID-19-Therapien eingenommen hat. Es hat sich bekanntermaßen herausgestellt, dass wir neben Testsystemen und Impfstoffen auch gute Medikamente gegen Corona benötigen.

Mit welchen Ambitionen sind Sie an den Start gegangen, als BioM vor 25 Jahren gegründet wurde?

Ich selbst hatte bereits 1994 das Biotechnologieunternehmen Medigene mitgegründet und habe in dieser Zeit auch andere ­interessante Gründungen erlebt, etwa die von MIKROGEN, MorphoSys oder Micromet. Es ging mir vor allem darum, mitzuhelfen, die Forschungsergebnisse der Münchner Wissenschaftsszene in Innovationen zu überführen – und diese Überführung kann m.E. nur durch Unternehmen erfolgen. Die akademische Wissenschaft sollte meiner Meinung nach nicht nur Forschungsergebnisse für neue Erkenntnisse produzieren, sondern sie hat auch eine gewisse Bringschuld gegenüber der Gesellschaft, von der sie schließlich finanziert wird. Diese Bringschuld wird durch die Entwicklung innovativer Produkte abgegolten, die den Menschen helfen können.

Wir haben schon damals festgestellt, dass es gar nicht so einfach ist, den ­Wechsel vom Wissenschaftler zum Unternehmer zu vollziehen. Daher haben wir zu Beginn eine Art Seed-Fonds gegründet, um Unternehmensgründungen finanziell zu unterstützen und intensiv zu begleiten. Das hat hervorragend funktioniert, auch wenn wir einiges an Lehrgeld bezahlen mussten – aber auf diese Art konnten wir das Gründungsgeschehen maßgeblich ­unterstützen.

Der Cluster ist heute eines der wichtigsten Biotechzentren in Europa. Mit welchen Herausforderungen mussten Sie sich auf dem Weg bis in die Gegenwart auseinandersetzen?

Eine der Herausforderungen war beispielsweise, in der Ortschaft Martinsried ein Zentrum der deutschen Biotechnologie aufzubauen und die dafür notwendigen Flächen zu finden. Es war ein hartes Stück Arbeit, Investoren zu überzeugen, nun auf einmal den Bau von Räumlichkeiten und deren Laborausstattung zu finanzieren.

Ein weiterer wichtiger Baustein war die internationale Vernetzung, sodass wir mit anderen internationalen Clustern Kooperationen gesucht haben, insbesondere in Form von europäischen Gemeinschafts­projekten. Schon früh haben wir mit Biotechzentren in Paris, Oxford, Cambridge oder Barcelona zusammengearbeitet. Wir waren immer in der großen Runde mit ­dabei, auch um von den anderen die Best Practices zu lernen.

Es ist uns dabei nahezu immer gelungen, wichtige Themen schnell umzusetzen. Eine bedeutende Voraussetzung dafür war die starke Unterstützung des Freistaates Bayern. Natürlich müssen wir jetzt wie ­damals jedes Jahr unsere Förderanträge stellen, inhaltlich haben wir aber immer vielerlei Freiheiten gehabt.

Wo sehen Sie die inhaltlichen Schwerpunkte und Stärken der Biotechnologie in Bayern und speziell im Großraum München? Wie haben sich diese im Laufe der Jahre verändert?

Natürlich wollen wir für alle Player der medizinischen Biotechnologie Ansprechpartner sein. Das Hauptaugenmerk lag aber von Beginn an auf der Medikamentenentwicklung – das zeigen auch Namen wie Micromet, Medigene oder MorphoSys. Inzwischen haben 13 Medikamente aus unserem Cluster den Markt und damit den Patienten erreicht.

Interessant ist sicher das Beispiel ­Micromet, das vor ca. zehn Jahren von Amgen für rund 1,2 Mrd. USD übernommen wurde. Anschließend wurde Micromet aber keineswegs abgewickelt, sondern Amgen hat hier am Standort eine ­Research Unit eröffnet. Zum damaligen Zeitpunkt war dies der einzige Forschungs­standort von Amgen außerhalb der USA.

Foto: © BioM

Dies hat deutlich gezeigt, dass hier ­exzellente Wissenschaft vorhanden ist und ausgezeichnete Entwicklungsarbeiten geleistet werden. Auch andere ausländische Unternehmen, etwa Bavarian Nordic, haben vielleicht ihr Zentrum im Ausland, in diesem Fall in Kopenhagen, aber sie ­forschen weiterhin in Martinsried.

Ich möchte aber auch auf die Unternehmen verweisen, die Technologien und ­Services anbieten, beispielsweise Nanion, NanoTemper oder ibidi. Hier hat sich gerade in Krisenzeiten gezeigt, etwa in der ­Lehman-Brothers-Krise, wie stark diese Unternehmen im Gegensatz zu manchen wagniskapitalfinanzierten Medikamentenentwicklern sind. Besonders in der Corona­pandemie haben Unternehmen dieser Art eine wichtige Rolle gespielt, z.B. bei der Entwicklung von Testsystemen. Diese ­Krisenresistenz zeichnet jene Unternehmen und damit auch den Standort aus.

Seit einigen Jahren liegt ein weiterer ­Fokus auf Unternehmen mit Schwerpunkt Advanced Therapy Medical Products ­(ATMPs), also der Entwicklung von Zell- und Gentherapien. Das zeigt, dass auch ganz neue Richtungen eingeschlagen werden, selbst wenn sich die Finanzierung nicht immer leicht gestaltet.

Welche Wünsche oder Hoffnungen haben sich nicht erfüllt?

Es war natürlich ernüchternd, zu sehen, wenn Unternehmen aufgekauft und anschließend abgewickelt wurden. Das ­Problem dahinter ist der Mangel an ­Möglichkeiten von Wachstumsfinanzierung. Wir haben leider nahezu keinen Wett­bewerb im Bereich der Finanzierung. Ende der 1990er-Jahre gab es ­diesen Wett­bewerb noch, da investierten allein in München 35 Venture-Capital-(VC-)­Gesellschaften im Life-­Sciences-Bereich. Die meisten davon ­waren sogar deutsch.

Zusammen mit anderen haben wir immer wieder versucht, die Bundesregierung zu überzeugen, dass die Rahmenbedingungen für Investitionen in VC-Fonds ­verbessert werden müssen. Es ist in Deutschland einfach nicht attraktiv ­genug, in Wagniskapital zu investieren. Da sind die Bedingungen im Ausland deutlich besser. Natürlich freuen wir uns über das Engagement und die Niederlassung ausländischer VC-Fonds, beispielsweise aus den Beneluxländern oder mit Kurma und Andera zwei französische Fonds. US-­amerikanische Verhältnisse in Deutschland mögen eine Utopie bleiben; wir wären aber schon froh, wenn wir englische ­Verhältnisse hätten.

Die bayerische Biotechnologie generierte im vergangenen Jahr rund 400 Mio. EUR Kapital. Wie kann BioM eine Brücke zwischen Investoren und Unternehmen auf Kapitalsuche bauen?

Bei den etablierten Unternehmen ist eine explizite Kontaktvermittlung oft gar nicht mehr nötig. Investoren mögen es, wenn sie direkt angesprochen werden. Natürlich unterstützen wir bei Bedarf oder geben ­Informationen weiter. Wir veranstalten auch halbjährlich unseren BioAngels Day, mit etwa 30 bis 40 anwesenden Investoren. Dort können sich junge Unternehmen vorstellen und – wenn alles gut geht – ­sogar eine schnelle Finanzierung erhalten.

Nächstes Jahr wird auch die BIO-Europe wieder in München stattfinden, eine der wichtigsten Veranstaltungen, auf der ­Unternehmen und Investoren zusammenfinden können. Daher sind wir derzeit sehr bestrebt, möglichst viele Investoren für diese Veranstaltung nach München zu ­holen. Natürlich sind wir auch als BioM vertreten und stellen unser gesamtes Portfolio vor.

Wie haben die einzelnen Cluster früher zusammengearbeitet? Steht heute eine zunehmende, auch internationale Vernetzung im Mittelpunkt?

Gerade am Anfang hatten wir in der Tat den Eindruck, dass es viel zu viel Konkurrenz gibt und viel zu wenig Zusammen­arbeit. Um die Jahrtausendwende haben wir dann die Initiative ergriffen und mit anderen Zentren den Arbeitskreis der deutschen BioRegionen gegründet. Hier haben wir unsere Ziele und Wünsche ­gebündelt und gemeinsam beispielsweise über das Bundesforschungsministerium Förderprogramme auf den Weg gebracht. Diese ersten Förderprogramme wurden dann später in KMU-innovativ umgewandelt. Das waren wirklich gute Programme, weil sie die Kooperation von Unternehmen mit akademischen Partnern gefördert ­haben.

Später haben wir diese Kooperationen auf die europäische Ebene übertragen und den Council of European BioRegions gegründet. Das Thema „international“ hat bei uns immer einen hohen Stellenwert ­gehabt. Wenn Unternehmen in die USA ­gehen und dort Märkte erschließen wollen, müssen wir ihnen nur in den seltensten Fällen helfen, da man sich in der west­lichen Kultur ganz gut auskennt. Anders ist es beispielsweise bei Expansionen im asiatischen Raum. Gerade in Japan haben wir inzwischen mit mehreren Clustern eine hervorragende Verbindung aufgebaut. Für unsere Unternehmen bieten wir sogar Workshops an, in denen wir auf ­kulturelle Unterschiede aufmerksam ­machen. Solche Kenntnisse können bei Vertragsabschlüssen sehr hilfreich sein.

Welche Entwicklung oder welches ­Ereignis bleibt Ihnen nach 25 Jahren besonders in Erinnerung?

Ein besonderes Ereignis war 2010 unser großartiger Erfolg beim Spitzencluster-Wettbewerb des Bundesforschungsministeriums. In diesem Zusammenhang wurde im Übrigen auch der Vorgründungswettbewerb m4 Award aufgelegt. Unter dem Strich haben wir damals ein ca. 100 Mio. EUR schweres Förderprogramm gestaltet, um die Entwicklung der personalisierten Medizin, der Zukunftsbranche der Medizin, im Münchner Biotech Cluster voranzutreiben.

Wir haben damals mit Unternehmen, Instituten und Kliniken gesprochen. Dabei haben die Biotechunternehmen vor allem das Desinteresse der Pharmafirmen an ­ihren Medikamentenkandidaten beklagt, und die Kliniken hegten den Wunsch nach Medikamenten, die bei jedem Patienten, dem man sie gibt, auch wirken. Das war die Idee der personalisierten Medizin, quasi aus der Not der Biotechunternehmen und den Wünschen der Kliniken ­geboren. Und wir hatten alle Beteiligten, inkl. der Wissenschaftler, hier in München vor Ort! So konnten schnell neue Koope­rationen geschlossen werden, auch mit Pharmaunternehmen.

Noch wichtiger war aber die Ver­netzung. Insgesamt wurden 60 Projekte gefördert. Im Anschluss sind dann gleich mehr als 80 neue Kooperationen zwischen Unternehmen und Wissenschaft ent­standen.

Was wünschen Sie BioM für die nächsten 25 Jahre?

Wir haben die Bayerische Staatsregierung erfreulicherweise davon überzeugen können, die Gründung und den Betrieb eines Inkubators/Accelerators mit einer Summe von fast 10 Mio. EUR zu finanzieren. So wollen wir Gründerteams noch besser als bisher betreuen, damit diese schneller ihre Geschäftsideen realisieren können.

Eine zweite große Herausforderung bleibt das meist zu langsame Wachstum der Unternehmen. Gründe dafür sind wahrscheinlich der Mangel an erfahrenem Management und der Mangel an Flächen, die als Labore genutzt werden können. ­Außerdem wird insbesondere hier in ­Martinsried, dem Zentrum der Biotec­h­nologieszene, nach solchen Flächen ­gesucht. Das ganz große Problem bleibt natürlich weiterhin die Finanzierung von Wachstum, und das sind dann meistens sehr große Tickets.

Keine Bedenken habe ich, was den Output an Ideen und Innovationen angeht. Die Innovationskraft des Münchner Biotech Clusters bleibt hoch, aber man muss diesen Output auch richtig umsetzen können.

Herr Prof. Dr. Domdey, ich danke Ihnen herzlich für das interessante Gespräch!

Das Interview führte Holger Garbs.


Zur Person

Prof. Dr. Horst Domdey ist seit 1998 Geschäftsführer von BioM in Martinsried bei München. Seit 2006 ist er zudem Sprecher des Clusters Biotechnologie Bayern.

Autor/Autorin

Holger Garbs ist seit 2008 als Redakteur für die GoingPublic Media AG tätig. Er schreibt für die Plattform Life Sciences und die Unternehmeredition.