Bildnachweis: TVM Capital.

Die in München und Montreal ansässige TVM Life Science Capital investiert in europäische und nordamerikanische Medikamentenentwickler und Medizintechnikfirmen. Doch das Marktumfeld hat sich in den vergangenen zwei Jahren spürbar verändert: Finanzierungsrunden werden schwieriger, IPOs bleiben aus, und Kapital wird selektiver verteilt. Im Interview spricht Dr. Hubert Birner, Managing Partner, TVM Capital Life Science, über strategische Anpassungen, Prioritäten bei der Kapitalallokation – und warum mutige Gründer jetzt mehr denn je starke Partner brauchen.

 

Plattform Life Sciences: Wie hat sich das Marktumfeld für VC-Gesellschaften in den letzten 24 Monaten geändert?

Dr. Hubert Birner: Es ist zweifellos schwieriger geworden, Finanzierungsrunden mit Geldern neuer Investoren zu strukturieren. Die finanziellen Mittel per se sind im Markt vorhanden, aber viele Investoren sind vorsichtig, neue Investments in unsere Portfolios einzugehen. Der Fokus liegt stattdessen darauf, höhere Reserven für die künftige Finanzierung der eigenen Portfoliofirmen zu halten.

Was sind die Gründe für diese Strategie?

Die Exitmärkte sind durch das aktuelle Fehlen von IPO-Fenstern sehr beeinträchtigt. Auch aus diesem Grund sehen wir weniger Neufinanzierungen. Wir haben gerade ein Szenario, wie es in konservativen, von Unsicherheit geprägten Marktphasen immer wieder auftritt, in dem VC-Investoren finanzielle Mittel für das Erreichen der wertsteigernden Meilensteine bei ihren Portfoliofirmen zurückhalten, da IPO-Finanzierungen später erfolgen werden.

Bedeutet das für VC-Gesellschaften, die Finanzmittel noch stärker nach Prioritäten zu priorisieren?

Wir als VC-Managementteam fokussieren die Budgets auf die unmittelbaren Werttreiber – was bedeuten kann, dass Projekte, die erst in einigen Jahren den Unternehmenswert steigern können, im Sinne der Kapitaleffizienz auf Sparflamme gesetzt werden.

Wie wirkt sich das auf die Kapitalallokation aus?

Die Kapitalallokation steigt mit jeder Finanzierungsrunde kontinuierlich gegenüber den Erstinvestments. Neue Tranchen werden benötigt, weil die Firmen länger brauchen, um die fixierten Etappenziele zu erreichen. Dazu kommt, dass sich die regulatorischen Rahmenbedingungen verändert haben. Bei der FDA wurden einige Abteilungen, die früher für uns zuständig waren, aufgelöst oder personell reduziert, beispielsweise für seltene Erkrankungen oder Infektionskrankheiten; mit der Folge, dass sich Entscheidungen verzögern und mit jedem Monat die finanziellen Reserven der Firmen verringern, die noch keine eigenen Einnahmen erzielen.

Welche Kostenblöcke lassen sich schwer reduzieren?

Wir sehen eine dramatische Steigerung der Entwicklungskosten für präklinische und klinische Projekte. Die Ausfallraten könnten aber durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz deutlich sinken. In der Phase I lässt sich das bereits konstatieren, und auch Wirksamkeitsstudien in der klinischen Phase II geben erste Hinweise dafür. Die Kosten selbst verringern sich nicht.

Was müssen Portfoliokandidaten mitbringen?

Interessant für uns sind Firmen mit First-in-Class-Molekülen, die neue Antworten für bereits behandelbare oder nicht behandelbare Krankheiten liefern. Die Produktkandidaten müssen vor dem Abschluss der präklinischen Studien stehen oder bereits klinische Phase-I-Projekte am Laufen haben – mit dem angestrebten Ziel, innerhalb von fünf Jahren den Proof of Concept zu liefern und die klinischen Produkte nach der erfolgreichen Phase IIa zu verpartnern.  

Und welche Exitstrategien sind im aktuellen Marktumfeld realistisch?

Ich erwarte, dass das Marktumfeld in den nächsten zwei Jahren hinsichtlich Finanzierungen und Bewertungen schwierig bleibt. Die Firmen müssen ihre Gelder strecken und punktuell Wert in ihrer Pipeline schaffen.

Was sehen Sie als größte Herausforderungen für die deutsche Biotechindustrie?

Mich besorgt, dass in den letzten Jahren die Gründungsaktivitäten deutlich zurückgegangen sind, weil unter potenziellen Firmengründern die Furcht umgeht, nach einer erfolgreichen Seed-Finanzierung keine Anschlussfinanzierung zu bekommen und auf der Strecke zu bleiben. Die beste Lösung, die ich dafür sehe, sind große Syndikate mit vermögenden Investoren, die bis zum Exit am Ball bleiben.

Vielen Dank für das interessante Gespräch.

Das Interview führte Stefan Riedel.

 

Zum Interviewpartner:

Dr. Hubert Birner ist für die übergeordnete Investitionsstrategie sowie die globalen Fondsaktivitäten von TVM Capital Life Science verantwortlich. Derzeit ist er Vorsitzender des Verwaltungsrats von leon nanodrugs GmbH und AL-S Pharma AG. Zudem gehört er dem Aufsichtsrat von Centogene AG, Spepharm Holdings BV und Smart Reporting GmbH an. Zuvor war Dr. Birner unter anderem Mitglied des Verwaltungsrats von Acer Therapeutics, Argos Therapeutics, Horizon Pharma Inc., Bioxell SA, Evotec AG, Jerini AG, Probiodrug AG und Proteon Therapeutics Inc. Vor seinem Einstieg bei TVM im Jahr 2000 war er Leiter Business Development Europa und Marketingdirektor Deutschland bei Zeneca. Zu Zeneca wechselte er von der europäischen Healthcare- und Pharmapraxis von McKinsey & Company, wo er als Unternehmensberater umfassende Erfahrung in den Bereichen F&E-Management, Marketing und Vertrieb, Joint-Venture-Strukturierung sowie Business Development sammelte. Vor seiner Karriere in der Wirtschaft war Dr. Birner wissenschaftlich tätig, unter anderem als Assistenzprofessor für Biochemie an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Zuvor promovierte er dort mit summa cum laude; seine Dissertation wurde mit dem Hoffmann-La Roche-Preis für herausragende Grundlagenforschung im Bereich Stoffwechselerkrankungen ausgezeichnet. Darüber hinaus erwarb Dr. Birner einen MBA an der Harvard Business School.

Autor/Autorin

Stefan Riedel
Freier Redakteur at Büro für Kommunikation

Stefan Riedel ist freier Autor bei GoingPublic Media und selbständiger Redakteur mit Schwerpunkt Finanzen und Wirtschaft.