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Die Biotechnologie ist eine Schlüsselbranche für Innovation, Wirtschaftswachstum und technologische Souveränität. Doch in Deutschland bremsen bürokratische Hürden, mangelnde Investitionen und starre Regulierungen das Potenzial der Branche aus. Der Verband BIO Deutschland fordert einen politischen Kurswechsel – mit klaren Maßnahmen für eine wettbewerbsfähige Zukunft. Von Urs Moesenfechtel
Die Biotechnologie ist nicht nur ein zentraler Schlüssel zur Bewältigung globaler Herausforderungen, sondern auch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für Deutschland. Laut einer Untersuchung des WifOR-Instituts waren in der Branche 2023 61.705 Menschen beschäftigt – ein Anstieg von zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Bruttowertschöpfung pro Person in der Biotech-Branche ist 2,3-mal höher als in der Gesamtwirtschaft. Der Umsatz in Deutschland ist von 2013 bis 2023 von 1,06 Milliarden auf 12,6 Milliarden Euro gestiegen.[1] Trotz dieser herausragenden Zahlen erschweren die bestehenden Rahmenbedingungen in Deutschland die effektive Förderung der Biotechnologiebranche, insbesondere im internationalen Vergleich.
„Die Kennzahlen zeigen, wie wichtig die Biotechnologie ist“, sagt auch der Vorstandvorsitzende von BIO Deutschland, Oliver Schacht – und mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen unterstreicht er: „Es ist höchste Zeit, dass unsere Regierenden Biotechnologie auf ihre Agenda setzen und als wichtige Schlüsseltechnologie der Zukunft kommunizieren.“ Was in Augen des Verbands konkret zu tun ist, um die Wettbewerbsfähigkeit des Biotech-Standorts nachhaltig zu stärken, hat er nun im einem Positionspapier festgehalten.
Biotech ins Kanzleramt
Ein wesentlicher Bestandteil des Positionspapiers ist die Forderung, die Biotechnologie als strategische Schlüsselindustrie auf höchster politischer Ebene zu etablieren – idealerweise direkt im Kanzleramt durch eine entsprechende Verankerung im Koalitionsvertrag, so der Verband. Er fordert die Schaffung einer langfristigen Biotechnologie-Agenda für den Zeitraum 2025 bis 2045, die klare und nachhaltige Leitlinien für Forschung, Entwicklung und Anwendung definiert.
Optimierung der regulatorischen Rahmbedingungen
Ebenso werden die bürokratische Hürden und veraltete Regulierungen moniert, durch die Biotech beständig ausgebremst werde. „Während in anderen Ländern Technologien wie CRISPR oder Zelltherapien bereits erfolgreich zum Einsatz kommen, bleibt ihre Anwendung in Deutschland aufgrund strenger gesetzlicher Vorgaben stark limitiert. Wir fordern daher erneut, die Bedingungen für klinische Studien zu verbessern und bürokratische Hindernisse abzubauen“, so Schacht.
Finanzielle Maßnahmen zur Stärkung des Sektors
Ein weiteres, ebenso nicht neues, aber weiterhin aktues Problem für die Branche sei die Finanzierung. Start-ups und mittelständische Unternehmen kämpften nach wie vor mit Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Venture-Kapital. Trotz des hohen Innovationspotenzials erfordere die Biotechnologiebranche hohe Investitionen, die nicht nur den Aufbau von Forschung und Entwicklung, sondern auch die Zulassung und Marktreife von Produkten umfassen. BIO Deutschland spricht sich daher für gezielte steuerliche Anreize für private Investoren sowie eine Reform der Förderprogramme aus, um das Wachstum der Branche zu fördern.
Effizientere Verzahnung zwischen Forschung und Industrie
Ein weiterer wesentlicher Aspekt seit laut Verband die Optimierung des Technologie- und Wissenstransfers, um Forschungsergebnisse schneller in marktfähige Produkte zu überführen. Dazu sei die verstärkte Zusammenarbeit zwischen Universitäten, Start-ups und etablierten Unternehmen und gezielte Maßnahmen zur Fachkräfteentwicklung nötig, um die Innovationskraft der Branche langfristig zu sichern. Ebenso sei der Technologietransfer, beispielsweise durch die Erhöhung von Ausgründungen, zu verbessern.
Biotechnologie: Die beste Investition in die Zukunft
Zahlreiche Studien belegen die enorme Zukunftskraft der Biotechnologie, darunter eine aktuelle Untersuchung der FutureManagementGroup aus dem März 2025[2]. Branchen wie Logistik, Luftfahrt und Chemie folgen erst auf den nachgeordneten Plätzen. Angesichts dieses Potenzials sei es umso wichtiger, den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Deutschland langfristig zu stärken und die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, so der Verband. Dafür sei aber eine klare politische Unterstützung notwendig, die Verankerung der Biotechnologie als strategische Schlüsselindustrie, bestenfalls durch einer Verankerung im Koalitionsvertrag. Das geplante Sondervermögen biete zudem auch die Chance, dringend notwendige Maßnahmen zur Förderung von Forschung, Entwicklung und Finanzierung zu ergreifen und bürokratische sowie regulatorische Hürden abzubauen.
„In Zeiten, in denen Traditionsbranchen in Deutschland vor großen Einschnitten stehen, sollte die Politik ihren Fokus auf hochinnovative Branchen mit hohem Wachstumspotenzial lenken. Dann können technologische Souveränität und innovative nachhaltige Produktionssysteme hierzulande nicht nur die Versorgung, sondern auch die Arbeitsplätze von morgen sichern“, so BIO Deutschlands Geschäftsführerin Viola Bronsema.
Quellen:
[1] Measuring the Economic Footprint of the Biotechnology Industry in the European Union – Europabio
[2] Zukunftsbranchen 2025-2040 | FutureManagementGroup AG
Autor/Autorin
Urs Moesenfechtel, M.A., ist seit 2021 Redaktionsleiter der GoingPublic Media AG - Plattform Life Sciences und für die Themenfelder Biotechnologie und Bioökonomie zuständig. Zuvor war er u.a. als Wissenschaftsredakteur für mehrere Forschungseinrichtungen tätig.