Innovationspotenziale entfalten

Warum Gründungen häufig als Alleingänge missverstanden werden – und wie partnerschaftliche Konstrukte Innovationen effizient voranbringen können

Bildnachweis: Evotec.

2020 war ein sensationelles Jahr für Biotechfinanzierungen. Die Branche hat in der Pandemie ihren Anspruch als Lösungsanbieter untermauert; gleichzeitig sorgt das Niedrigzinsumfeld weiterhin für den viel beschworenen „Anlagenotstand“ bei institutionellen Investoren. Doch von einem nachhaltigen Finanzierungstrend kann kaum die Rede sein. In einem insbesondere für Erst- und Ausgründungsfinanzierungen weiterhin anspruchsvollen Umfeld wird es in Zukunft besonders darauf ankommen, gemeinsam das richtige Team auszuwählen, mit dem sich das Potenzial einer Innovation bestmöglich und schnell entfalten kann. Das ist die Idee hinter Evotecs Beteiligungsinitiative EVOequity. Von Enno Spillner

 

Die Coronapandemie hat die essenzielle Bedeutung medizinischer Innovationen noch einmal unterstrichen. Daher ist es folgerichtig, dass die Biotechbranche 2020 in Deutschland neben etwa 6,5 Mrd. EUR Umsatz mit über 3 Mrd. EUR auch einen neuen Rekord in puncto Kapitalaufnahme erreicht hat. Bei genauerer Betrachtung darf jedoch bezweifelt werden, dass die Finanzspritze viel nachhaltigen Wind in die Branche bringen wird: Mehr als die Hälfte des beeindruckenden Volumens verteilt sich auf zwei Unternehmen – und noch ein weiterer wichtiger Indikator lässt aufhorchen: Die Gesamtanzahl der Firmen hat nur um 1% zugenommen, lediglich ein Drittel des Vorjahreswerts.

Das Kapital, ein scheues Reh

Dem Land fehlen keine InvestorInnen, sondern GründerInnen, könnte man meinen. Doch es ist weniger der fehlende Unternehmergeist, sondern eher die Vielzahl der Hürden, die für eine Neugründung überwunden werden müssen. Sie liegen im Biotechnologiesektor noch deutlich höher als andernorts, wenn man Themen wie Technologietransfer und Patente mitberücksichtigt. Ein bestimmender Faktor bleibt die Verfügbarkeit von Risikokapital, das – zumindest hierzulande – noch immer seinem Ruf als scheues Reh gerecht wird. Und so verwundert es nicht, dass zahlreiche erfolgreiche Biotechinnovationen früh den Weg aus Deutschland und Europa in Richtung USA suchen.

Mehr gründen, besser gründen

Geld denjenigen Unternehmen zu geben, die bereits erste Fortschritte verbuchen konnten, scheint für den einzelnen Investor sinnvoll zu sein – auf der Ebene der gesamten Wertschöpfungskette der Branche führt es jedoch zu einer relativen Vernachlässigung der frühen Innovation – und die ist wohl nirgendwo von so großer Bedeutung wie in der medizinischen Forschung. Dennoch: Innovation ist nicht das Ziel, sondern erst der Anfang. Um Innovationen auf die Straße zu bringen, muss ­alles passen: die Idee, das Kapital, die proprietäre Plattform – und (!) das Team. Ganz unabhängig davon, ob es sich um akademische oder industrielle Innovationen handelt: Im Biotechuniversum gibt es zahllose vielversprechende Ansätze, denen nur das richtige „Innovationsvehikel“ für den initialen Sprung fehlt. Wir müssen mehr gründen – und wir müssen effizienter gründen.

Ehrlich währt am längsten

Gründungen werden häufig als Alleingänge missverstanden. Doch in jedem Unternehmen müssen Menschen und Partner zusammenfinden, zusammenarbeiten und einander vertrauen. Deshalb müssen GründerInnen zunächst einmal ehrlich zu sich selbst sein: Reichen meine betriebswirtschaftlichen Kenntnisse? Wie belastbar und reproduzierbar sind die bereits vorliegenden Daten wirklich? Wie signifikant ist das kommerzielle Potenzial und wie entwickle ich dieses? Wird es mit dieser Idee gelingen, genügend Kapital aufzubringen, um den nächsten Wertschöpfungspunkt zu erreichen? Diese und andere Fragen sind allen GründerInnen bekannt. Doch anstatt in einen lähmenden Selbstzweifel zu verfallen, kann man diese Fragen als Indiz dafür betrachten, dass dem Gründungsteam noch entscheidende Kompetenzen fehlen. Die Bereitschaft, die eigenen Kompetenzen zu ergänzen und etwaige Lücken von Anfang an zu schließen, ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor und ein wichtiges Signal für Investoren. Ein Gründer muss nicht alles wissen oder können. Auf der anderen Seite dürfen GründerInnen auch von ihren Partnern Ehrlichkeit erwarten – denn eine Partnerschaft, die nicht auf Augenhöhe geschlossen wird, ist gar keine.

Gemeinsam statt einsam

Mit der Beteiligungsinitiative EVOequity möchte Evotec das Potenzial vielversprechender Innovationen entfalten – in verschiedensten partnerschaftlichen Konstellationen, die sich gegenseitig optimal ergänzen. Denn gleich bei der Gründung stellt sich eine Vielzahl entscheidender Fragen, von denen eine oft untergewichtet erscheint: die nach dem richtigen Innovationsteam. Weitaus entscheidender als die Rechtsform ist, dass die Gründung in einer Konstellation erfolgt, die alle für die anstehende Aufgabe benötigten Kompetenzen abdeckt.

Am Anfang war das Spin-off

Evotec bietet als Unternehmen, das gezielt auf partnerschaftliche F&E setzt, zahlreiche Möglichkeiten für eine erfolgreiche Projektentwicklung unter dem eigenen Dach. Aber: Nicht für alle Ansätze bietet die interne Entwicklung die beste Perspektive. Ausgründungen können ggf. flexibler agieren und auch Skaleneffekte gelegentlich besser nutzen – insbesondere dann, wenn das Ursprungsunternehmen die Entwicklung als „Operational VC“ weiterhin unterstützt und fördert. Dementsprechend war Evotecs erste Equity-Beteiligung 2016 ein Spin-off einer eigenen Plattform: Topas Therapeutics.

Intern oder extern? Hauptsache zusammen!

Die Vorteile eines Spin-offs gegenüber einem klassischen Start-up liegen auf der Hand: Das Spin-off kann häufig sofort „auf Ballhöhe“ die Arbeit aufnehmen, in bestehenden Strukturen – häufig sogar mit denselben Mitarbeitern und in vertrauten Laboren. Ein Start-up hingegen muss gerade zu Beginn viel Zeit und Geld aufwenden, bevor die eigentliche Arbeit beginnen kann. Außerdem ist es vor allem im pharmazeutischen Bereich von erheblichem Vorteil, wenn die Daten auf einer industriell etablierten Plattform validiert sind – Stichwort Reproduzierbarkeit. Bei einem ­Spin-off ist das häufig der Fall – bei einem Start-up nicht unbedingt, gerade wenn es akademischen Ursprungs ist. Daher kann ein Spin-off ab dem ersten Tag einen höheren Kapitalhebel ansetzen.

Risiko „Brain Drain“?

Spin-offs standen lange im Verdacht, dem Unternehmen nicht nur Kapital, sondern auch wichtige Mitarbeiter zu entziehen. Ein solcher „Brain Drain“ auf Unternehmensebene droht allerdings auch, wenn Mitarbeitern mit guten Ideen keine Möglichkeiten gegeben werden, diese in die Praxis umzusetzen, und sie stattdessen abwandern. Trotzdem sind Unternehmen gut beraten, das Start-up auch gut an das Unternehmen zu binden – das geht am besten in einem Modell, das den Erfolg der Beteiligung langfristig mit den Stärken des eigenen Unternehmens unterstützt: als Operational VC.

Wandel zum diversifizierten ­Operational VC

Bei Topas Therapeutics hat sich dieser Ansatz ausgezahlt: Nach gerade einmal drei Jahren wurde im Dezember 2019 das erste Projekt in die klinische Phase I überführt; das zweite Projekt steht schon in den Startlöchern. Zudem hat Topas seit 2016 in mehreren Finanzierungsrunden 58 Mio. EUR einsammeln können – ein weiterer Beleg für den realen Wert, den die Begleitung durch ein Operational VC haben kann. Im gleichen Zeitraum hat sich auch Evotecs Equity-Strategie deutlich verbreitert: Bislang wurden mehr als 90 Mio. EUR in 24 Beteiligungen investiert – darunter Technologieanbieter wie panCELLa, leon nanodrugs und QUANTRO Therapeutics, spezialisierte Biotechnologieunternehmen wie Breakpoint Therapeutics, Facio Therapies, Forge Therapeutics, Eternygen und Immunitas Therapeutics, akademische Spin-outs wie Fibrocor Therapeutics, Joint Ventures wie Curexsys und NephThera, frühphasige Start-up-Fonds wie Argobio und natürlich der

KI-Wirkstoffforscher Exscientia. Und die Tendenz steigt: Allein 2020 folgten fünf Neuzugänge. Heute ist das Portfolio als EVOequity einer der acht Bausteine von Evotecs Aktionsplan 2025, „The data-driven R&D Autobahn to Cures“.

Ein Ansatz, der sich auszahlt

EVOequity ist für Evotec ein extrem langfristiger Ansatz, der sich aber schon jetzt auszahlt. Als „Shared Economy der F&E“ nutzen viele der Portfoliounternehmen die Evotec-Plattform zur Entwicklung ihrer eigenen Projekte. Daher können sie fast vollständig virtuell operieren und ihre operativen Kosten flexibel und gering halten. Insbesondere können sie aber sofort starten und müssen vorab keine eigene operative F&E-Organisation aufbauen. Weiter profitieren die Beteiligungen von der vielfältigen Entwicklungserfahrung, die im gegenseitigen „Sparring“ den einen oder anderen Start-up-Entwicklungsplan noch ziemlich modifiziert und von Anfang an auf Industriestandard gehievt hat. Für Evotec bedeutet das, dass bereits erste Teile des Investments in Form von Umsätzen an das Unternehmen zurückfließen. Die wirkliche Perspektive ist jedoch die Beteiligung an Wachstumswerten mit signifikantem Potenzial. Damit steht EVOequity vollständig in der Tradition von Evotecs auf Co-Owning fokussiertem Geschäftsmodell.

 

ZUM AUTOR

Enno Spillner ist seit Juli 2016 Finanzvorstand von Evotec. In seine Amtszeit fielen mehrere erfolgreiche Akquisitionen, wie Cyprotex 2016, Aptuit 2017 sowie Just Biotherapeutics 2019, Ausgründungen und Equity-Beteiligungen, darunter Exscientia, Breakpoint Therapeutics und NephThera, sowie Kapitalmaßnahmen, wie die Platzierung eines Schuldscheins mit einem Volumen von 250 Mio. EUR, und strategische, langfristige Beteiligungen wie die der Novo Holdings mit in Summe 140 Mio. EUR oder des arabischen Staatsfonds Mubadala mit 200 Mio. EUR. Für Evotec arbeiten mehr als 3.900 Mitarbeiter an 14 Standorten weltweit. www.evotec.com

Autor/Autorin

Enno Spillner