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Der DAX40 verzeichnete einen Anstieg von über 20 % im ersten Halbjahr 2025 und markierte damit ein neues Allzeithoch. Trotz dieser starken Performance und der Einigung im Zollkonflikt zwischen den USA und Europa bleibt die Unsicherheit groß. Proxy Advisors stehen insbesondere in den USA unter Beschuss, ESG-Anforderungen werden zunehmend aufgeweicht. Damit droht, dass die Stimmrechtsberater auch in Deutschland an Einfluss verlieren und die Abstimmungsrichtlinien der Investoren künftig stärker variieren. Die Vorbereitung von Hauptversammlungen wird dadurch anspruchsvoller. Von Christoph Schwab und Dirk Vermehren

Organisatoren von Hauptversammlungen sollten auch die Entwicklungen auf dem Kapitalmarkt im Blick behalten, wie das laufende Jahr zeigt. So ist beachtenswert, dass die Kursanstiege im ersten Halbjahr 2025 vornehmlich durch Portfolioumschichtungen aus den USA nach Europa und weniger durch Unternehmensgewinne oder die Gewinnaussichten der deutschen Unternehmen getragen wurden. Die Mittelzuflüsse nach Europa erfolgten überwiegend in passive Fonds/ETFs; aktive Fonds verzeichneten im ersten Quartal dagegen Abflüsse. Investoren suchen nach liquiden Anlagen, die erlauben, schnell auf veränderte Bedingungen zu reagieren.

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Schwieriges Umfeld für ESG-Fonds

In diesem Umfeld sind ESG-Fonds einen besonderen Blick wert. Morningstar gibt den weltweiten Gesamtmarkt für ESG-Fonds mit 3,5 Bio. USD an. Europa ist der wichtigste Markt für ESG-Fonds; 85 % der Assets werden hier gehalten im Vergleich zu nur ca. 10 % in den USA. Während europäische Fonds in den letzten drei Jahren mit Ausnahme des ersten Quartals 2025 stetige Mittelzuflüsse verzeichneten, war der Trend in den USA im gleichen Zeitraum gegenläufig; es flossen jedes Quartal Mittel ab. Die ESG-Fonds-Entwicklung ist wegen des komplexen geopolitischen Umfelds schwer zu prognostizieren. In Europa werden Wirtschaftswachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Verteidigung stärker fokussiert, Nachhaltigkeitsthemen verlieren etwas an Fokus.

Flexibilität vor Nachhaltigkeitsbezeichnung

Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde will nachhaltige Fondsbezeichnungen transparenter machen. Begriffe wie „nachhaltig“ oder „ESG“ im Namen verpflichten dazu, mindestens 80 % des Kapitals entsprechend anzulegen und Investitionen in fossile Unternehmen auszuschließen. Das Ergebnis waren 674 bislang Fondsumbenennungen, damit die Portfolios nicht angepasst werden müssen. Den Fonds ist die Flexibilität offensichtlich wichtiger, als mit Nachhaltigkeitsbezeichnungen bei Anlegern zu punkten.

Kritik an Proxy Advisors in den USA

Die Stimmrechtsberater ISS & Glass Lewis sehen sich im US-Senat massiver Kritik ausgesetzt. Beiden Unternehmen wird unter anderem vorgeworfen, ideologisch motivierte Abstimmungsempfehlungen zu geben. Dies gelte besonders bei ESG- und DEI-Themen. Ihnen wird vorgehalten, dass bei den Empfehlungen eine wirtschaftliche Analyse fehle. Auch das Geschäftsmodell von ISS & Glass Lewis wird kritisiert, da sie sowohl Proxy Advisory als auch Governance-Beratung anbieten. Daraus könne ein Interessenkonflikt resultieren, durch den sich Unternehmen gezwungen sähen, die Wahrscheinlichkeit einer positiven Abstimmungsempfehlung durch den Kauf einer Beratungsleistung zu erhöhen. Dies ist besonders bedenklich, da ISS & Glass Lewis trotz ihrer marktbeherrschenden Stellung keiner direkten SEC-Regulierung unterliegen, obwohl sie faktisch wie Regulierungsbehörden agieren.

Auch Jamie Dimon, CEO und Chairman von JPMorgan Chase & Co., kritisiert ISS & Glass Lewis schon seit Längerem. So bezeichnete er sie als „inkompetent“ und warf ihnen vor, mit falschen Daten, Interessenkonflikten und ideologisch motivierten Empfehlungen zu arbeiten. „Sie sind Eigentum von NGOs. Ihre Daten sind falsch, und sie müssen sie nicht korrigieren.  Unternehmen können sie sogar bezahlen, um bessere Governance-Ratings zu bekommen. Wirklich? Sie sollten verschwinden.“ ISS-&-Glass-Lewis-Fürsprecher, die auf deren wichtige Rolle im Kapitalmarkt hinweisen, finden hingegen wenig Gehör.

Erste Regulierung der Proxy Advisory

Auf Bundesstaatenebene verabschiedete Texas Ende Juni dieses Jahres ein neues Gesetz: Für in Texas ansässige Unternehmen müssen Proxy Advisors künftig offenlegen, inwieweit nichtfinanzielle Faktoren wie ESG- oder DEI-Faktoren in die Empfehlungen einbezogen wurden. Des Weiteren müssen Proxy Advisors transparent machen, inwieweit unterschiedliche Abstimmungsempfehlungen an verschiedene Kunden simultan abgegeben wurden.

Die Entwicklungen in den USA betreffen auch die Assetmanager und Banken. Große US-Banken sind aus der Net Zero Banking Alliance ausgetreten. Ähnliche Bewegungen gibt es in Europa. Dort haben sich unter anderem HSBC, Barclays und die UBS zurückgezogen. In den vergangenen Monaten sind zehn große Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen aus der Net- Zero Insurance Alliance (NZIA) ausgetreten, darunter AXA, Allianz, SCOR und Swiss Re.

Veränderte ESG-Ziele auch in Europa

UBS bleibt eigenen Angaben zufolge weiterhin klimabewusst, hat aber ihre Ziele angepasst. Das Net-Zero-Ziel für eigene Emissionen wurde auf 2035 verschoben. Auch das Ziel, 20 % der verwalteten Vermögen bis 2030 auf Net-Zero auszurichten, wurde zurückgezogen. Der Mineralölkonzern BP hat sich von ambitionierten Zielen zur Produktionskürzung und erneuerbaren Energien ebenfalls distanziert. Das Ziel, die Öl- und Gasproduktion bis 2030 zu senken, wurde aufgegeben. Auch das Ziel, die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien bis 2030 um das 20-Fache zu steigern, wurde gestrichen. Stattdessen investiert BP wieder verstärkt in Öl und Gas.

Abstimmungsrichtlinien angepasst

ISS hat, dem Druck nachgebend, die Richtlinien für die USA, Kanada und Lateinamerika aktualisiert und berücksichtigt regionale Unterschiede wie auch die finanzielle Materialität bei ESG-Themen. BlackRock hat seine ESG-Strategie depolitisiert und flexibilisiert, um regulatorischen Konflikten in konservativen US-Bundesstaaten zu entgehen und für deren Pensions- und Investmentfonds weiter bzw. wieder investierbar zu sein. Wir erwarten, dass sich die Abstimmrichtlinien stärker differenzieren. Besonders ESG-Ziele werden im Fokus der Anpassungen stehen.

Fazit

Es bleibt abzuwarten, ob und wie sich die Abstimmungsrichtlinien für Deutschland ändern. Man kann aber auch für Deutschland davon ausgehen, dass Proxy Advisors an Einfluss verlieren und die Abstimmungsrichtlinien der Investoren stärker variieren. Die Hauptversammlungsvorbereitung wird dadurch anspruchsvoller und direkte Corporate-Governance-Gespräche werden noch stärker an Bedeutung gewinnen. Aktionärsidentifikationen, die darstellen, wer über die Anteile abstimmt, müssen daher noch granularer und das Angebot der Dienstleister dahin gehend optimiert werden. Computershare trägt dieser Entwicklung bereits Rechnung und baut ihr Angebot im Bereich Investor Engagement kontinuierlich weiter aus.

Autor/Autorin

Christof Schwab
Director Business Development at  | Website

Director Business Development,
Sales & Strategy, Computershare

Christof.schwab@computershare.de

Dirk Vermehren

Director Sales, Computershare

Dirk.vermehren@computershare.de