Die Zeiten quasi-kommunistischer HV-Mehrheiten sind endgültig vorbei. Deutsche Emittenten waren gezwungen, sich an diese Tatsache sowie an  die Kritik an verschiedenen Tagesordnungspunkten von der Investoren- bzw. der Proxy-Advisor-Seite zu gewöhnen.

Dabei stehen globale Thematiken wie Klimawandel, Diversity und Vorstandsvergütung sowie deren langfristige und nachhaltige Gestaltung im  Vordergrund. Die Interaktion mit diesen passiven Investoren ist nicht das traditionelle InvestorHV Unternehmen-Meeting. Bei diesen ETFs gibt es oft kein Investmentteam, das konstanten Kontakt mit dem Investor-Relations-Team des Unternehmens hält, sondern hier sind es die gut  aufgestellten Governance-Teams, die das alleinige Sagen haben. Diese sind dem Emittenten in der Regel leider nicht bekannt.

Die Erfahrung zeigt, dass deutsche Emittenten zunehmend individuell auf ihre Investoren zugehen müssen. Dies sollte alljährlich und nicht nur von der Investmentseite her, sondern auch mit Fokus auf ESG-Themen geschehen. Sonst könnten Überraschungen bei der Hauptversammlung die Folge sein, wenn ein besonders sensibles Thema auf der Tagesordnung steht. Und diese Überraschungen können eben manchmal auch zur Ablehnung der  vorgeschlagenen Tagesordnungspunkte führen. Langfristiger Kontakt, gegenseitiges Verstehen und Kommunikation zwischen Unternehmens- und  Investorenseite machen es den Unternehmen möglich, sich intern und extern besser aufzustellen, sich auf kritische Punkte vorzubereiten und  Überraschungen beim Abstimmverhalten ihrer Investoren zu minimieren

Wie funktioniert die Praxis?

Die Agendaentwicklung für eine HV beginnt mit der Überlegung, welche TOPs grundsätzlich anstehen. Die Standardpunkte sind Entlastung von  Vorstand und Aufsichtsrat, ggf. Gewinnverwendung und die Wahl des Wirtschaftsprüfers. Außerdem sind z.B. Satzungsänderungen, Kapitalia und  sonstige Vorratsbeschlüsse denkbar, stehen Wahlen zum Aufsichtsrat an usw. Dabei sind häufig bereits ab diesem Moment sowohl der Proxy  Solicitor, der HV-Dienstleister als auch die beratenden Anwälte mit im Boot.

Im nächsten Schritt ist zu prüfen, ob von den angedachten Punkten irgendwelche mit den Abstimmungsrichtlinien der großen Stimmrechtsberater  kollidieren. Deren Bedeutung nimmt zwar ab, sie sind aber nicht irrelevant.

In einem zweiten Schritt werden die individuellen Richtlinien der beim jeweiligen Unternehmen größten Investoren betrachtet. Kommt es zu  Verletzungen der Richtlinien, lässt sich etwa mit einer Szenariorechnung feststellen, ob bei einem Nein-Votum der betroffenen Investoren die  notwendige Mehrheit in der HV unter Berücksichtigung der mindestens letztjährigen HV-Präsenz noch erreichbar bleibt. Falls nicht, sollten  Maßnahmen zur Steigerung der HV-Präsenz ergriffen werden.