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Klima, Klima, Klima, alle reden über das Klima. Nur eine Gruppe war bisher von der ­Diskussion ausgeschlossen: die Aktionäre. Zumindest die deutschen. Denn in anderen Ländern, wie vor allem Frankreich und Großbritannien, gehören Klimabeschlüsse vor allem der massiv CO2-emittierenden Gesellschaften schon länger zur Tagesordnung.

Aktiengesetz kein Hindernis

Juristische Gründe allein können für die deutsche Zurückhaltung jedenfalls keine Rolle spielen, denn auch wenn die Aktionäre ihre Verwaltungen nach dem Aktiengesetz nicht dazu zwingen können, ein Klima-Votum auf die Tagesordnung zu setzen, sind sie dennoch nicht allein auf ihr Rede- und ­Auskunftsrecht sowie den Entlastungsbeschluss beschränkt. Vielmehr steht es dem Vorstand frei, den Aktionären die Beschlussfassung über eine „Geschäftsführungsmaßnahme“ auch aus eigener Initiative vorzuschlagen. Und eben so hat es auch die ­Alzchem Group AG in der Hauptversammlung 2023 getan – freilich ohne zu ahnen, dass sie damit in der vergangenen HV-Saison die einzige börsennotierte Gesellschaft mit ­einer solchen Agenda bleiben sollte.

Aber wie ist es zu dieser Entscheidung überhaupt gekommen? Hätte sich die Alzchem nicht auch hinter all den prominenten ­Vorbildern verstecken und nach einem ­Rekord-Geschäftsjahr einfach eine traditionelle Hauptversammlung durchführen können? Bei den Überlegungen hierzu ­haben die Interessen der Aktionäre eine bedeutende Rolle gespielt. Denn an die Verantwortlichen der Gesellschaft wurden – wie an die chemische Industrie überhaupt – schon wegen ihres immensen Energiebedarfs bei jeder sich bietenden Gelegenheit bohrende Fragen nach der Nachhaltigkeit ihrer Wirtschaftsaktivitäten gestellt. Das hat die ­Alzchem schon seit Längerem dazu motiviert, eine belastbare Umwelt­strategie zu entwickeln. Von der Begründungsbedürftigkeit des eigenen Tuns über die Entwicklung eines dezidierten CO2-Profils bis zur Vorlage eines Klimafahrplans an die Aktionäre war dann gar kein so großer Schritt mehr.

Juristisches …

Zumindest in der Theorie. Denn die praktische Vorbereitung der Hauptversammlung war reinste Pionierarbeit, zumal kein einziges der ausländischen Vorbilder für eine deutsche Gesellschaft ohne weiteres verwertbar war. Das kleinste Problem stellten dabei noch die juristischen Fragen dar. Ein paar Weichen mussten aber dennoch ­gestellt werden: So sprachen gegen einen regulären Zustimmungsbeschluss der Hauptversammlung vor allem die „Fluidität“ ­eines naturgemäß über Jahre laufenden Klimaplans, aber auch die vielfältigen, für die Verwaltung nicht zuverlässig kontrollierbaren Reaktionsmöglichkeiten darauf. Das reine Konsultativvotum schien der ­Gesellschaft darauf die passende Antwort. Dass auch ein solcher, bloß beratender ­Beschluss theoretisch anfechtbar ist, spielte angesichts der überschaubaren Rechtsfolgen – eines unveränderten ­Klimafahrplans, nur mit gekipptem Aktionärsvotum – kaum eine Rolle. Schon ­größeres Interesse fand dagegen die Aussicht auf eine faktische „Enthaftung“ der Organmitglieder für die Folgen eines „schad­haften“ Fahrplans in Anlehnung an § 93 Abs. 4 AktG.

Quelle: Alzchem

„Konsultativbeschluss“ – das löst Asso­ziationen zum vertrauten „Say-on-Pay“ aus. Und ganz ähnlich wollte auch die Alzchem die Einbeziehung ihrer Aktionäre verstanden wissen: Mit ihrem Votum sollte die Hauptversammlung der Gesellschaft ihre Rückendeckung (oder eben ihre Ablehnung) für den vom Vorstand vorgelegten, gemeinsam mit dem Aufsichtsrat zur ­Annahme empfohlenen Klimaplan bescheinigen. Auch hier ging es daher nicht darum, nur eine rechnerische, sondern eine „überzeugende“ Mehrheit für den Plan zu gewinnen. Damit ging (und geht) für die Alzchem freilich die Verpflichtung einher, der Hauptversammlung nicht nur einen abgelehnten Plan – in dann verbesserter Form –, sondern auch jede künftige Planänderung zur erneuten Konsultation vorzulegen. Klar war damit, dass Say-on-Climate für die Alzchem nicht ein einmaliger Knalleffekt, sondern ein womöglich jahrelanger Dauerbrenner sein würde. So soll – auch dies in Anlehnung an das vertraute Say-on-Pay – zumindest alle fünf Jahre eine Bestätigung der Aktionäre zu ihrem letzten Klima-Votum eingeholt werden. Einen jährlichen „Klima-Bericht“, versehen gar mit einem ausdrücklichen Billigungsbeschluss der Hauptversammlung, wird es angesichts der umfassenden anderweitigen Informationsmöglichkeiten, z.B. im Rahmen des Nachhaltigkeitsberichts, dagegen nicht geben.

… und praktisches Pionier-Projekt

Bei Weitem am herausforderndsten waren die praktischen Probleme der Aktionärs-Vorlage. Drei Kernfragen standen dabei im Vordergrund:

  • Wie soll das Klimakonzept aussehen, über das die Aktionäre abstimmen ­sollen?
  • Wie lassen sich die dafür erforderlichen Informationen gewinnen?
  • Und: Wie kann die Gesellschaft die Hauptversammlung von dem vorge­legten Plan überzeugen?

Zunächst der wichtigste Punkt, die Frage nach dem Zuschnitt des Klimakonzepts, genauer: nach den Scopes (1–3), auf die sich das Klima-Votum erstrecken sollte. Hier sprach nach Überzeugung der Alzchem viel dafür, sich ausschließlich auf die Scope-1-Emissionen zu konzentrieren, ­also die THG-Ströme, die die Gesellschaft selbst beeinflussen kann. Die Freistellung namentlich des Stroms (Scope 2) und des Kalks (Scope 3) – beides wichtige Rohstoffe der Alzchem – ist nach dieser Philosophie ­eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe bzw. ­eine Verpflichtung der jeweiligen Lieferanten, deren Erfüllung die Gesellschaft mit ihren beschränkten Mitteln unmöglich gewährleisten kann – und für die sie daher auch nicht auf die Legitimation ihrer Aktionäre zurückgreifen wollte.

Die zweite Herausforderung bestand darin, die konkreten Handlungsfelder und Maßnahmen zu definieren, die den Klimafahrplan tragen konnten. All das musste mit belastbaren Daten unterlegt werden – akribisch zusammenzutragen, in klausurartigen Sitzungen zu bewerten und möglichst anschaulich zu beschreiben von Mitarbeitern, die mit Hauptversammlungen und ihrer Vorbereitung bisher nichts zu tun hatten.

Risikofaktor Stimmrechtsberater

Schon deshalb hat die harsche Reaktion des weltweit wichtigsten Proxy Advisors auf die veröffentlichte Tagesordnung beim Projektteam wenig Begeisterung gefunden. Außer einer lauen Anerkennung für den Mut, überhaupt ein Aktionärsvotum zuzulassen, konnte ISS dem Alzchem’schen Klimaplan wenig abgewinnen. Die Aktionäre selbst hatten hierzu freilich eine andere Meinung – mit einer Zustimmung von mehr als 95% (bei einer HV-Präsenz von über 73%) hatte innerhalb des Alzchem-Teams jedenfalls niemand gerechnet. Und selbst nach der Hauptversammlung ­haben eine Reihe potentieller Investoren, aber auch nicht wenige Geschäftspartner, dem Projekt ihren Respekt gezollt. Trostberg scheint damit endgültig auf der Klima-Landkarte angekommen zu sein.

Fazit

Aber vielleicht überholt der Gesetzgeber schon bald alle Überlegungen klimabewegter Verwaltungen und ihrer Aktionäre. Denn bereits für das Geschäftsjahr 2024 ordnet die CSRD umfangreiche nachhaltigkeitsbezogene Berichtspflichten an. Und weitere Anforderungen, auch in Form obligatorischer Klimafahrpläne, werden sich womöglich aus der CSDDD ergeben. Man darf gespannt sein, was sich daraus für das zarte Say-on-Climate-Pflänzchen – und damit für das letzte Wort der Aktionäre in Klimafragen – noch ergibt.

Autor/Autorin

Dr. Cornelius Simons LL.M. (Cornell)

Dr. Cornelius Simons LL.M. (Cornell) ist General Counsel & Compliance Officer bei der Alzchem Group AG.