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Bürokratieabbau wird in Sonntagsreden seit vielen Jahren beschworen. Doch schon am nächsten Tag geschieht das Gegenteil: Regeln und Berichtspflichten legen sich wie Mehltau übers Land. Die Regulierungsdichte lähmt unsere Wirtschaft. Auch das Aktienrecht wirkt wenig einladend. Insbesondere das rechtliche Korsett der deutschen Hauptversammlungen enthält reichlich Ballast. Kein Wunder, dass hierzulande kaum noch Börsengänge (IPOs) stattfinden.
Angesichts der Lähmung der heimischen Wirtschaft wächst das Problembewusstsein. Damit entstehen realistische Chancen, dass überfällige Reformen endlich in Angriff genommen werden. Die Beseitigung entbehrlicher Pflichten kann mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: Unternehmerische Planungen werden vereinfacht, Investitionen angeregt und Overheadkosten reduziert.
Entbürokratisierung ist eine Win-win-Situation mit geringeren Kosten nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch aufseiten des Staates.
Müssen Behörden weniger Regeln überwachen, benötigt auch der Staat weniger Manpower. Entbürokratisierung ist eine Win-win-Situation mit geringeren Kosten nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch aufseiten des Staates. Vergleichbares gilt für den Rechtsrahmen der Hauptversammlungen. Regulatorischer Ballast strapaziert die Organisatoren und langweilt die Aktionäre. Die berüchtigte Beschallungspflicht der gesamten HV-Location war so überflüssig wie ein Kropf. Jahrzehntelang wurden auch Toilettenräume aufwendig beschallt.Geräuschstarke Handtrockner mussten von Elektrikern stillgelegt werden. Die Beschallungspflicht der WCs eröffnete zudem erpresserischen Akteuren die Möglichkeit, die Kabel der Lautsprecher zu durchtrennen und die Gültigkeit der HV anzufechten.
Dies ist gemäß einem BGH-Urteil inzwischen glücklicherweise Geschichte. Die richterliche Begründung war – unjuristisch formuliert: „Wenn man dort ist, wo man nichts hört, kann man ja da hingehen, wo man was hört.“ Seither muss der Versammlungsleiter lediglich klarstellen, wo eine Beschallung erfolgt und wo nicht. Da wir uns bei der Verschlankung der HV nicht auf die Gerichte verlassen sollten, empfiehlt sich eine umfassende rechtliche Entschlackung durch den Gesetzgeber.
Erstens: Vorabeinreichung von Fragen in virtuellen HVs abschaffen
Die zwingende Vorabeinreichung von Fragen bei virtuellen HVs verbunden mit einem beschränkten Auskunftsrecht wird von vielen Aktionären zu Recht massiv kritisiert. Die praktische Bedeutung ist zwar gering, denn nur wenige AGs gehen diesen Weg. Trotzdem sollte dies abgestellt werden, sodass eine Vorabeinreichung freiwillig ist und ein volles Auskunftsrecht in allen HVs erhalten bleibt. Dies wird schon heute von der Sartorius AG praktiziert. Vorab eingereichte Fragen ermöglichen hochwertige(re) Antworten. Zugleich bleiben während der HV die Fragerechte der Aktionäre unberührt.
Zweitens: Anfechtungen erschweren
Das umfangreiche Recht zur Anfechtung von HV-Beschlüssen ist kontraproduktiv. Schon kleinste Flüchtigkeitsfehler berechtigen zur Anfechtung. Aus purer Angst verschanzen sich deshalb viele Versammlungsleiter hinter einem Wall formaljuristischer Formulierungen. Solch langatmige juristische Passagen machen die Veranstaltungen dröge und gehen auf Kosten wichtiger (betriebs)wirtschaftlicher Aussagen. Nur wesentliche – also schwere – Fehler bei den erteilten Auskünften sollten Aktionäre zur Anfechtung der HV-Beschlüsse berechtigen.
Drittens: Zufallsmehrheiten vermeiden
Während laufender HVs können einzelne Aktionäre überraschende Anträge „wie Kai aus der Kiste“ präsentieren. Andere Aktionäre sind dann nur selten in der Lage, die Bedeutung und Tragweite solcher Vorschläge „aus dem Stand“ zu erfassen, oder haben bei überraschenden Anträgen nicht die Möglichkeit, sich in die HV „einzuklinken“. Damit geht die Gefahr zufälliger Mehrheiten einher. Anträge sollten deshalb grundsätzlich spätestens 14 Tage vor einer Hauptversammlung eingereicht werden. Nur wenn die zugrunde liegenden Tatsachen zuvor nicht bekannt waren, sollten ausnahmsweise auch während der Versammlung noch zusätzliche Anträge möglich sein.
Viertens: Hybride HVs rechtssicher(er) machen
Hybride Formate gehen mit zusätzlichen Rechtsrisiken einher. Wird für eine rein virtuelle HV ein kompetenter HV-Dienstleister ausgewählt, ist eine Anfechtung wegen möglicher technischer Unzulänglichkeiten in der Begründung der entsprechenden Gesetzgebung bereits weitestgehend ausgeschlossen. Bei einer Angleichung in diesem Punkt für die hybride HV würden voraussichtlich zahlreiche Unternehmen auch die oft geforderte Hybridvariante trotz der damit verbundenen höheren Kosten wählen. Solange die höheren Kosten der hybriden HV mit einem zusätzlichen Risiko verbunden sind, ist dies ein toxisches Set-up. Deshalb wählt bisher kaum ein Unternehmen das hybride Format. Der Rechtsrahmen der hybriden HV sollte daher dem der virtuellen HV angepasst werden.
Fazit
Bereits heute können Unternehmen HVs besser gestalten. Sie sollten sich von den zumeist sehr tradierten Präsentationsformen lösen und ein lockereres Set-up präferieren: Das wertet die Vorstandspräsentation auf und ist wirkungsvoller als frontalunterrichtsähnliche Vorträge. Hier agiert die Deutsche Telekom vorbildlich, deren CEO Timotheus Höttges wesentliche Aussagen anschaulich herüberbringt. Das passt nicht zu jedem Vorstand, ist aber deutlich gefälliger und aufmerksamkeitsstärker. Aber für einen echten Durchbruch bedarf es einer Entschlackung rechtlicher Vorgaben. Hier könnte sich Deutschland von den europäischen Nachbarn eine Scheibe abschneiden. Dies wäre auch ein Element zur Wiederbelebung des heimischen IPO-Markts.
Autor/Autorin
Torsten Fues
Managing Director
Geschäftsführer, Link Market Services GmbH, und Vorstand, Better Orange IR HV AG