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Im Jahr 2017 brachte die Europäische Union die Aktionärsrechterichtlinie II (SRD II) auf den Weg. Banken und die Dienstleister stehen nun vor der Herausforderung, die auf der SRD II basierenden Anforderungen an die Information von Emittenten und Aktionären über Intermediäre umzusetzen. Was bedeutet das konkret für die Hauptversammlung?
Die für Deutschland relevante Umsetzung der SRD II in nationales Recht erfolgte im September 2020. Die Verzögerung bei der Implementierung eines neuen sogenannten ISO-Standards 20022 für den Informationsaustausch unter Intermediären lässt sich sicher teilweise durch coronabedingte zusätzliche IT-Projekte erklären; in der Praxis waren die technische Umsetzung und die rechtlichen Herausforderungen für viele Marktteilnehmer komplexer als erwartet. Bisher auf mehrere Systeme verteilte Daten mussten zusammengeführt werden.
Die Shareholder-Identifikation auf der Basis der SRD II ist bereits seit 2020 möglich. Anfänglich war der Prozess noch sehr holprig, mittlerweile erfolgen Rückmeldungen zeitnah. Die gewünschte Transparenzsteigerung wurde erreicht; damit diese auch praktische Relevanz erhalten, müssten die Gebühren der Intermediäre, die den Emittenten verrechnet werden, deutlich sinken.
Standardisierung rechtlicher Vielfalt
Gewachsene Prozesse, wie die Hauptversammlungsabwicklung, sind deutlich komplexer als die Share ID – daher dauerte die Umsetzung länger als erwartet. Das betraf sowohl einzelne Intermediäre als auch Zentralverwahrer wie Clearstream. Letzterer ist seit Anfang 2025 mit einer IS0-20022-basierten Lösung auf dem Markt. Neben der technischen Fragestellung wurde aber auch die rechtlich eindeutige Befüllung der in dem Standard übermittelten Felder in den unterschiedlichen Ländern diskutiert. Die Vision der EU war unter anderem die Erleichterung der grenzübergreifenden Ausübung von Aktionärsrechten, ohne das Aktienrecht innerhalb der EU zu verändern.
Die rechtlichen Anforderungen in Deutschland im Rahmen der Hauptversammlung gehören zu den komplexesten in Europa. So ist z.B. der Stimmrechtsvertreter kein europäischer oder internationaler Standard. Um das ISO-20022-Format im deutschen HV-Umfeld anwenden zu können, reichte die ISO-20022-Arbeitsgruppe der Deutschen Marktteilnehmer 16 Change Requests ein. Nicht alle dieser Requests wurden berücksichtigt, für einige Fragestellungen mussten „Workarounds“ gefunden werden.
Die rechtlichen Anforderungen in Deutschland im Rahmen der Hauptversammlung gehören zu den komplexesten in Europa.
Vollumfänglicher Start von ISO 20022 im Jahr 2025
Nach langer Vorbereitung und vereinzelten Anwendungen in der letzten HV-Saison kommt es in der HV-Saison 2025 erstmals zu einem breiteren Einsatz des neuen grenzüberschreitenden Formats für die Kommunikation zwischen den Finanzmarktteilnehmern im ISO-20022-Format. Die in den Tabellen der Durchführungsverordnung festgelegten Inhalte, die aus Pflichtfeldern und optionalen Feldern für den Nachrichtenaustausch bestehen, können über sichere bidirektionale Verfahren oder die SWIFT-Plattform ausgetauscht werden.
Der Nutzen von ISO 20022
Die EU beabsichtigte mit der Richtlinie SRD II unter anderem eine Verbesserung der Aktionärsmitwirkung bei börsennotierten Gesellschaften sowie eine Erleichterung der grenzüberschreitenden Kommunikation und Ausübung von Aktionärsrechten. Gesellschaften soll eine bessere Identifikation und Kenntnis ihrer Aktionäre („Know Your Shareholder“) ermöglicht werden.
Wird sich die Kapitalpräsenz auf deutschen HVs durch ISO 20022 erhöhen? Es ist zu früh, dies abschließend zu beurteilen; aus heutiger Sicht ist es aber eher unwahrscheinlich. Institutionelle Investoren haben schon vor der Nutzung des ISO-20022-Prozesses ihre Aktien abgestimmt. Privataktionäre nehmen europaweit nur vereinzelt an den Abstimmungen teil.
Wird der Prozess durch den ISO-20022-Standard günstiger und führt er zu einer finanziellen Entlastung der Investoren? Dies wäre wünschenswert, scheint aber aus heutiger Sicht ebenfalls eher unwahrscheinlich. Die Kosten werden durch mehr Interaktionen (Weisungseingangsquittungen, Abstimmbestätigungen, internationale Einladungen …) voraussichtlich steigen. Der ISO-20022-Standard wird ein zusätzliches, wenn auch international dominierendes Verfahren. Einige Marktteilnehmer planen aktuell, nicht auf den neuen Standard umzustellen. Daher wird ISO 20022 ein zusätzliches Format.
ISO 20022 in der HV
Für Hauptversammlungen bedeutet
ISO 20022, dass nunmehr auch Einladungen versandt und Anmeldungen von Intermediären im ISO-20022-Format eingehen können und werden. Der ISO-20022-Austausch funktioniert dabei bilateral; auch Bestandsnachweise, Weisungseingangs- oder Abstimmbestätigungen können auf diesem Weg ausgetauscht werden.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Die Übermittlung von Informationen im ISO-Standard ist 2025 nicht verpflichtend, bietet aber den Vorteil, schon jetzt die Prozesse zu optimieren. Bei den ersten HVs des Jahres sind mehr als 50% der Stimmen im Format ISO 20022 eingegangen. Emittenten können durch einen Zusatzservice bereits zwei bis drei Wochen vor der Hauptversammlung einen Einblick in das Abstimmverhalten erhalten.
Neue Übermittlungswege notwendig
Deutsche Aktionäre halten weniger als ein Drittel der Aktien des DAX40. Daher spielt der internationale Interbankenaustausch seit Jahren eine wichtige Rolle. Neben der Datensicherheit muss hierbei die Legitimationsüberprüfung sichergestellt sein. Banken haben sich dabei seit jeher darauf geeinigt, dass Vertretungsbefugnisse bei Letztintermediären geprüft werden müssen. Nur wenn eine Vollmacht der im Handelsregister eingetragenen Vertretungsbefugten vorliegt, werden diese Nachrichten international verteilt. Diese Legitimation der Intermediäre zur Informationsübermittlung wird wiederum durch den jeweiligen Zentralverwahrer übernommen; in Deutschland ist dies die Clearstream. Dabei greift sie auf das in der Bankenwelt schon lange bewährte SWIFT-System zurück. Erfolgt eine Übermittlung über diesen Kanal, kann der Empfänger sicher sein, dass es sich um eine vertrauenswürdige, geprüfte Information handelt. Über die Jahre hat SWIFT die Kommunikationsstandards weiterentwickelt und unterstützt nunmehr auch das ISO-20022-Format.
Daher ist die Aufnahme einer SWIFT-Adresse in die Teilnahmebedingungen als ein möglicher Weg der Anmeldung im Format ISO 20022 ratsam. Die Angabe ist nicht als Einschränkung auf diesen Kommunikationsweg zu verstehen, es handelt sich um eine zusätzliche – zukünftig wahrscheinlich meistgenutzte – Möglichkeit.
Es besteht die Gefahr, dass der Emittentennutzen aus den Augen verloren wird.
Was ändert sich für den Aktionär?
Privataktionäre werden keine Veränderung wahrnehmen, da SWIFT ein Kommunikationsweg ausschließlich für Intermediäre ist. Privataktionäre werden somit weiterhin über Intermediäre kommunizieren oder sich im Falle von Namensaktien direkt an den Emittenten gemäß dessen Empfangsangeboten richten, z.B. per Post, E-Mail oder Aktionärsportal.
Fazit
Intermediäre streben mit ISO 20022 ein „Straight Through Processing“ an, einen automatisierten, sicheren und schnellen Prozess ohne manuelle Eingriffe. Es besteht die Gefahr, dass der Emittentennutzen aus den Augen verloren wird. Wünschenswert wäre, dass die Standardisierung zu sinkenden und nicht steigenden Kosten führt.
Autor/Autorin
Christof Schwab
Christof Schwab verantwortet in seiner Rolle als Director Business Development die Weiterentwicklung des gesamten Dienstleistungsportfolios für Emittenten bei Computershare. Schwab verfügt über 25 Jahre Managementerfahrung in den Bereichen Business Development und Corporate Finance. Bei einem DAX40-Unternehmen war er als Head of Equity Capital Markets unter anderem für die Vorbereitung und Begleitung von Eigenkapitalmaßnahmen sowie die Organisation von Hauptversammlungen verantwortlich, bevor er 2016 zu Computershare kam.