Anlegerschutz auch beim Delisting im Freiverkehr geboten?

Vor dem Hintergrund eines auch im Rahmen eines Delistings aus dem Freiverkehr etwaig zu wahrenden Anlegerschutzes wird in der Literatur unter Verweis auf die durch die MAR erfolgte Angleichung des Freiverkehrs an den regulierten Markt teilweise eine analoge Anwendung des § 39 BörsG befürwortet. Insbesondere sei aus Sicht des Anlegers aufgrund der Angleichung der Folgepflichten die Unterscheidung zwischen Emittenten im regulierten Markt und solchen im Freiverkehr nicht nachvollziehbar. Auch würden bei einem Delisting im Freiverkehr dem Anleger vergleichbare Nachteile durch Verlust einer Handels- und Ertragschance entstehen. Alternativ wird ein dem Delisting zustimmender Hauptversammlungsbeschluss angeführt.

Da Letzterer aber nicht einmal für ein Delisting aus dem regulierten Markt erforderlich ist und auch vom BGH in seiner FRoSTA-Entscheidung zuletzt verneint wurde, wird man dies für ein Delisting aus dem Freiverkehr erst recht nicht fordern können. Auch lässt sich für ein Delisting eine Kompetenz der Hauptversammlung weder dem Gesetz (§ 119 Abs. 1 AktG) entnehmen noch aus der Rechtsprechung des BGH zu den ungeschriebenen Kompetenzen (Holzmüller/Gelatine) ableiten. Bei einem Delisting handelt es sich richtigerweise nicht um eine Strukturmaßnahme, die „(so) tief in die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre und deren im Anteilseigentum verkörpertes Vermögensinteresse (eingreift)“. Anleger verlieren bei einem Delisting (lediglich) eine Handels- und Ertragschance, nicht aber ihre mitgliedschaftsrechtliche Stellung in der Gesellschaft.

Ob die Rechtsprechung eine analoge Anwendung des § 39 BörsG auf Delisting-Entscheidungen von Emittenten im Freiverkehr befürwortet, bleibt abzuwarten. Anhaltspunkte hierfür liegen gegenwärtig aber nicht vor.

Nachdem diese Frage aber nicht abschließend geklärt ist, könnten Emittenten erwägen, zur Vermeidung von Risiken die Entscheidung zum Delisting der Hauptversammlung zur Beschlussfassung vorzulegen. Damit wären aber entsprechende Anfechtungsrisiken verbunden.

Fazit

Ob eine Angleichung des Freiverkehrs an den regulierten Markt auch im Hinblick auf ein Delisting erfolgen wird, insbesondere durch eine analoge Anwendung des § 39 Abs. 2 Satz 2 BörsG, bleibt abzuwarten. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird man eine solche Anwendung überwiegend verneinen müssen. Zudem würde eine entsprechende Anwendung des § 39 Abs. 2 Satz 2 BörsG im Falle eines Widerrufs aus einem Freiverkehrssegment nur ein flankierendes Erwerbsangebot in Anlehnung an die Bestimmungen des WpÜG bedeuten. Die Zustimmung der Hauptversammlung wäre auch in einem solchen Fall nicht notwendig. Eine freiwillige Delisting-Entscheidung der Hauptversammlung könnte Risiken vermeiden, wäre aber mit Anfechtungsrisiken verbunden.

Ein Delisting ändert jedenfalls nicht die Aktionärsstruktur. Zwar werden aufgrund der Ankündigung eines Delistings einige Minderheitsaktionäre (eher) bereit sein, ihre Aktien etwa noch über die Börse oder direkt an den Hauptaktionär zu veräußern. Im Regelfall bleiben zahlreiche Minderheitsaktionäre auch nach Durchführung eines Delistings an der Gesellschaft beteiligt. Die Durchführung von Hauptversammlungen bleibt somit nach einem Delisting weiterhin erforderlich. Ein Ausschluss von Minderheitsaktionären erfolgt typischerweise erst nach dem Delisting über eine Squeeze-out-Maßnahme auf Betreiben des Hauptaktionärs. Hierfür sind ein entsprechender Beschluss der Hauptversammlung sowie die Gewährung einer angemessenen Barabfindung erforderlich.

Die Autoren:

 

Dr. Alexander Thomas ist Partner bei Pinsent Masons Germany LLP.

alexander.thomas@pinsentmasons.com

 

Natalie Stark ist Associate bei Pinsent Masons Germany LLP.

natalie.stark@pinsentmasons.com

 

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