Bildnachweis: GöCam – stock.adobe.com, Life Science Factory.

Es sind erfreuliche Kennzahlen, die u.a. der aktuelle Biotechnologie-Report 2022 von EY aufführt: Das ­Finanzierungsvolumen in der Biotechnologiebranche hat sich im vergangenen Jahr um 170% gegenüber 2019 gesteigert. Damit wuchs die gesamte Kapitalaufnahme der Branche auf 2,4 Mrd. EUR. Die Zeichen für den Innovationsstandort Deutschland scheinen damit gut zu stehen.

 

Neben dem erhöhten Investitionsvolumen offenbart sich noch eine weitere interessante Entwicklung: Die Finanzierungen stammen zu einem großen Teil aus dem Kapital der sich gerade deutschlandweit etablierenden Biotechcluster. Den sich aktuell stark entwickelnden Wissenszentren in Baden-Württemberg, Niedersachsen, Bayern, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Nordrhein-Westfalen scheint mehr und mehr eine signifikante Schlüsselrolle zuzukommen.

Marco Janezic, Life Science Factory.

So zeichnen sich in Deutschland erste Entwicklungen ab, wie wir sie bereits als Erfolgsgeschichte in den USA beobachten können: Dort gibt es an zahlreichen Standorten starke und vor allem ausdifferenzierte Biotechcluster, in denen gezielt ein breites Angebot an Förderprogrammen, Wissensvermittlung sowie Austausch und Ressourcen für junge Unternehmen zur Verfügung stehen. Schauen wir nach Boston: 1.100 Life-Sciences-Unternehmen, 3,7 Mio. Quadratmeter Laborfläche, fünf der sechs Top-National-Institutes-of-Health-Krankenhäuser, zwei Business Schools von Weltrang und all dies in einem Umkreis von 50 Kilometern. Die Innovationskraft der Region: unermesslich!

Cluster und Hubs als Orte der Kooperation und Entwicklung

Ich bin daher davon überzeugt, dass der Stellenwert von Wissensclustern und Orten der Kollaboration immens ist. Die dort vorherrschenden Netzwerke verschiedenster Institutionen, erfolgreiche Vorbilder, Wissenschaftler und bereits etablierte Life-Sciences- und Biotechunternehmen bieten insbesondere Start-ups zahlreiche individuelle Förderungsmöglichkeiten. So war es uns bei der Gründung der Life ­Science Factory von Beginn an wichtig, eine gezielte und starke Community mit etablierten Partnern wie Helmholtz München oder dem Fraunhofer-Institut rund um unsere eigenen Angebote aufzubauen. Das gemeinsam initiierte und erfolgreich laufende ELSA-Programm ist eine der Früchte dieser Zusammenarbeit. ELSA (Entrepreneurial Life Science Accelerator)  ist eine Fortsetzung des AHEAD Life Science Track und wird von der Life ­Science Factory, Fraunhofer AHEAD und Helmholtz München umgesetzt. Life-Sciences-Start-ups wird umfangreiche Unterstützung angeboten, u.a. zu den Themen Life Sciences, Industry und Go-to-Market, sowie One-on-One-Coachings mit Experten zu individuellen Themen wie Finanzierungsmodellen, IP-Strategie oder Pitch-Training. Zudem lassen sich auch Einzelakteure innerhalb eines starken Netzwerks leichter miteinander verknüpfen. Ein gelungenes Beispiel hierfür ist das Göttinger „Life Science Valley“ als Bündelung regionaler Initiativen: Geförderte Teams erhalten über die „Hightech-Inkubator Förderung“ des Landes Niedersachsen eine Anschubfinanzierung und werden zudem von Venture-Managern auf ihrem unternehmerischen Weg begleitet.

Auf der Wunschliste: Fachkenntnisse und konkrete Unterstützung

Neben finanzieller Förderung ist für mich gerade das Mentoring innerhalb der Cluster ein weiterer wichtiger Aspekt bei (Aus-)Gründungen. Die Vermittlung von unternehmerischen Fachkenntnissen an junge Biotechunternehmer durch etablierte Investoren und Coaches ist ein Schlüsselelement. So können die erfahrenen Akteure bereits bei der Auswahl von bedarfsgerechten Programmen unterstützen und ggf. gemeinsam am „Pitchdeck“ feilen, um dann erfolgreich die für sie passenden privaten wie auch öffentlichen Fördergeber anzusprechen. Diese Form der inhaltlichen Förderung stellt einen Mehrwert für junge Biotechunternehmer dar, der über staatliche Investitionen bisher noch lange nicht abgebildet wird.

Auf der Wunschliste vieler junger Unternehmen steht zudem die konkrete Unterstützung bei der Entwicklung von Produkten – und zwar bis hin zur kommerziellen Marktreife. Das beginnt beim kostengünstigen und schnellen Zugang zu modernsten S1- und S2-Laboren oder Prototyping-Werkstätten bis hin zu generellen Büroräumen und geht weiter über die Möglichkeit der fachlichen Beratung, etwa von Rechtsexperten, Qualitätsmanagern und Medizinern hinaus.

Das ist auch der Ansatz, den wir in der Life Science Factory im Sartorius Quartier in Göttingen bieten – alles an ­einem Ort, aus einer Hand und flexibel nutzbar –, um Unternehmen aus der Biotechnologie wirkliche Starthilfe im Sinne eines Inkubators zu bieten. Dabei darf nicht vergessen werden, dass alle Seiten vom Austausch profitieren: Denn auch Fördergeber und Institutionen können die Möglichkeit nutzen und etwas über die konkreten Bedarfe erfahren, um weiter an den eigenen Programmen zu arbeiten. Schließlich braucht es für alle Seiten Austausch und Kooperation, um unternehmerisches Wachstum zu generieren. Nur wenn Interdisziplinarität und eine Mentalität der Unterstützung und des Teilens vorherrschten, kann gemeinsam Marktreife und Innovation geschaffen werden und damit Deutschland als Innovationsstandort weltweit seine Strahlkraft entfalten. Obwohl wir an einigen Stellen im Land bereits wirklich gut aufgestellt sind, brauchen wir noch viele solcher Inkubatoren – denn die Life Sciences werden nicht aufhören und der Bedarf wird wachsen, so viel ist sicher!

 

ZUM AUTOR

Marco Janezic ist CEO und Mitgründer der Eternygen GmbH, CEO und Gründungspartner von Blue Ribbon Partners sowie Geschäftsführer der Life Science Factory Göttingen. Er gründete mehrere Unternehmen im Biotechbereich, von denen er vier erfolgreich zum Exit führte.