Bildnachweis: Cristina – stock.adobe.com, Rentschler Biopharma.

Plattform Life Sciences: Herr Dettmer, Rentschler Biopharma feiert heuer das 150-jährige Bestehen. An welchem Punkt steht das Unternehmen in seiner operativen Entwicklung?

Dettmer: Wir sind ein weltweit tätiges Auftragsentwicklungs- und Produktionsunternehmen (CDMO) der Biopharmazie, das u.a. für seine Qualität und Flexibilität bekannt ist. Für unsere Kunden, die in verschiedensten Ländern mit ihren Präparaten gegen seltene, schwere Krankheiten kämpfen, fertigen wir innovative Wirkstoffe, um Leben zu verlängern und zu verbessern. Als international aufgestelltes Unternehmen mit 1.100 Mitarbeitern in Laupheim, im US-amerikanischen Milford und in Stevenage nahe London sind wir nicht nur produzierend, sondern auch beratend tätig: Unseren Kunden helfen wir dabei, aus einer innovativen Idee ein schlagkräftiges Produkt zu machen. In zukunftsorientierten Allianzen wie der Xpert Alliance mit Vetter gelten wir als verlässlicher Partner für medizinischen Fortschritt.

150 Jahre – das klingt auch nach Bodenständigkeit im manchmal schnelllebigen Life-Sciences-Geschäft. Würden Sie dem zustimmen?

Bodenständigkeit klingt für manche schwerfällig, langsam und träge. Wenn Sie das meinen, dann nein. Wir setzen Bodenständigkeit mit Solidität gleich: finanziell solide und unabhängig zu sein sowie Entscheidungen zu treffen, die nachhaltig Nutzen stiften für unsere Kunden und deren Patienten – das ist unser Credo. In manchen Dingen sind wir blitzschnell; andere Entscheidungen brauchen mehr Zeit, um umfassend durchdacht und mit Überzeugung getroffen zu sein. Als Familienunternehmen nehmen wir uns für Entscheidungen und Prozesse genau so viel Zeit wie für „die beste Lösung“ für unsere Kunden. Wachstumschancen gehen immer auch mit Herausforderungen einher, die es zu bewältigen gilt. Strukturen und Prozesse müssen so weiterentwickelt werden, dass auch in Wachstumsphasen die nötige Agilität bewahrt wird.

Alexander Dettmer, Rentschler Biopharma SE.

Ein Motto von Rentschler lautet „nachhaltig Nutzen stiften“. Wie definieren Sie Nachhaltigkeit in diesem Zusammenhang? Dieses Wort fällt aktuell sehr häufig.

Bei Rentschler Biopharma ist mit dem nachhaltigen Nutzen derjenige gemeint, der langfristig wirkt und kontinuierlich immer wieder gefördert wird. So setzen wir uns seit 150 Jahren für medizinischen Fortschritt ein, um Leben zu verbessern. Das ist jeden Tag aufs Neue unser Anspruch, der für unsere Kunden übrigens einen wesentlichen Unterschied macht – denn dadurch entwickeln wir gemeinsam zukunftsträchtige Medizin, die sehr lange am Markt Bestand hat und deren Entwicklung sich auszahlt. Alle unsere Wirkstoffe sollen im Leben von Patienten einen Unterschied machen – das meinen wir, wenn wir „nachhaltig Nutzen stiften“ fordern und fördern.

Trotzdem gab es in der Geschichte von Rentschler auch einige Turning Points. Welche können Sie uns nennen?

Die Wurzel des heutigen Unternehmens ist die 7-Schwaben-Apotheke. Sie wurde 1872 von Gottlob Müller, dem Ur-Ur-Großvater des heutigen Inhabers, Prof. Dr. Nikolaus F. Rentschler, an der noch jungen Bahnlinie der Schwäbischen Eisenbahn gegründet. Nachdem Müller noch selbst Arzneimittel produziert hatte, ging das Herstellungsmonopol bald auf die pharmazeutische Industrie über; die Apotheken waren für Lagerung und Ausgabe zuständig. Ein Wendepunkt nach dem Zweiten Weltkrieg war der Einstieg in die Produktion von Impfstoff gegen Rindertuberkulose. Diese stiftete nachhaltig Nutzen, sicherte sie nach dem verheerenden Krieg doch die Ernährung der Bevölkerung. Ebenso revolutionär war für unser Familienunternehmen der Eintritt in die Biopharmazie mit dem ersten Interferon-Produkt im Jahr 1968. Auf diesem Gebiet haben wir dann derart umfangreiches Know-how aufgebaut, dass wir uns ganz auf die Biopharmazie fokussiert haben. Und zuletzt mit der Entscheidung, in der Coronapandemie durch Einstieg in die Impfstoffproduktion den weltweiten Kampf gegen dieses Virus zu unterstützen, was für uns aus ethischen Gründen eine Selbstverständlichkeit war – so wie unsere Aktivitäten in Stevenage mit unserer englischen Tochter ATMP: Nahe London bauen wir dort unser Kompetenzzentrum auf, um auf dem Gebiet der Zell- und Gentherapie tätig zu werden. Das ist ebenfalls Medizin, die vielen Menschen großen Nutzen stiften wird.

Strategische Partnerschaften bilden eine feste Säule im Geschäft. Warum sind solche Partnerschaften so wichtig und wie profitiert Rentschler Biopharma davon?

Beim Angebotsspektrum arbeitet Rentschler Biopharma in einem kollaborativen „Ökosystem“ mit strategischen Partnern zusammen, die mit unseren Werten und der Einstellung zu Exzellenz und Leistung übereinstimmen. Durch diese koordinierte Zusammenarbeit entsteht ein verbesserter und beschleunigter Service für die Kunden. So können wir uns als mittelständisches Unternehmen vollumfänglich auf die Leistung „Entwicklung und Wirkstoffproduktion“ konzentrieren und gleichzeitig die biopharmazeutische Wertschöpfungskette breit abdecken, wenn dies vom Kunden gewünscht wird. Um Ihnen ein Beispiel zu nennen: Wir haben eine strategische Partnerschaft mit Vetter Pharma für hochwertige aseptische Abfüllung und Sekundärver­packung geschlossen. Gemeinsam erweitern wir unsere Dienstleistungen, indem wir komplementäre Fähigkeiten und Erfahrungen anbieten, damit Kunden ihre Produkte einfacher und schneller zum Patienten bringen können.

Ein weiteres Beispiel ist die Zusammenarbeit mit dem Inkubator Catapult: Die Kooperation mit dem britischen Cluster war opportun, um sich im Bereich ATMP zu etablieren, ein neues Angebot für die Produktion von Zell- und Gentherapien (CGT) zu schaffen und auch in diesem Bereich dem Kundenbedarf nachzukommen.

Es gibt immer wieder auch Kooperationen im Sinne der sogenannten Co-opetition mit Wettbewerbern aus der Industrie, z.B. um bei spezifischen Anfragen gemeinsam Lösungen für Kunden zu finden oder um bei Ausfällen in der Lieferkette durch Zusammenarbeit die Wertschöpfungskette stabil zu halten und Kunden bedienen zu können.

Und natürlich arbeiten wir auch mit unseren Kunden in langfristigen strategischen Partnerschaften zusammen. Diese basieren auf Vertrauen, offener Kommunikation und dem Bestreben, ein gemeinsames Ziel zu erreichen.

Ein großer Faktor in der zukünftigen Entwicklung des Gesundheitswesens ist die Digitalisierung. Wie setzt Rentschler Biopharma diese um?

Durch die optimale Nutzung der Digitalisierung will Rentschler Biopharma die Produktqualität modellieren, um Materialverschwendung und Zeitaufwand zu minimieren. Durch den Einsatz modernster und praktikabler Technologien arbeiten wir an der kontinuierlichen Steigerung der Produkt- und Servicequalität.

Fortschritte bei den Technologien, die sowohl die Produktions- als auch die Vertriebsprozesse digitalisieren, sind von entscheidender Bedeutung, um Rentschler Biopharma für die Zukunft zu rüsten. Solche Technologien ermöglichen den Verzicht auf Papier, die Digitalisierung von Laborergebnissen und die automatische Transkription von Datenpunkten zwischen Geräten. Dadurch wird das Risiko von manuellen Fehlern und Abweichungen erheblich reduziert und eine schnellere und effektivere Verarbeitung ermöglicht.

Wir erleben auch eine kontinuierliche Zunahme von Online- und Inline-Überwachungsmöglichkeiten. In Verbindung mit der computergestützten Modellierung führen diese zu einem besseren Verständnis dafür, wie technische Beschränkungen die Produktqualität beeinträchtigen können, und ermöglichen so eine bessere Qualitätskontrolle und Prozessoptimierung.

Rentschler ist ein gewachsenes und nach wie vor wachsendes mittelständisches Unternehmen. Wie können junge Life-Sciences-Unternehmen oder Start-ups von Firmen wie Rentschler lernen – und was?

Ein Erfolgsrezept von Rentschler war sicherlich immer, kontinuierlich nutzenstiftende Leistung zu erbringen, dabei den vollen Fokus auf Qualität zu legen und auch bei neuen Technologien am Ball zu bleiben.

Für uns steht die Schaffung langfristiger und nachhaltiger Werte zugunsten der Verbesserung von Menschenleben im Zentrum. Diese Orientierung am „Purpose“ ist wichtig und wurde untermauert durch eine klare Weichenstellung, mit ausschließlicher Konzentration auf Kundenprojekte.

Fragen zur Unternehmensfinanzierung werden in den Life Sciences schon immer heiß diskutiert (Venture Capital, IPOs). Empfinden Sie es als angenehm, mit einer solchen Thematik nicht direkt konfrontiert zu sein?

Rentschler Biopharma ist ein Familienunternehmen und wir legen großen Wert auf unsere Unabhängigkeit, die einige Vorteile beim Verfolgen langfristiger Ziele mit sich bringt. Allerdings müssen wir als innovatives Unternehmen natürlich auch kontinuierlich in unsere Infrastruktur und Prozesse investieren, um unsere Kunden optimal bedienen zu können. Insofern steht das Thema Finanzierung auch bei uns auf der Tagungsordnung. Hierbei wägen wir in enger Abstimmung interne und externe Finanzierungen ab, die bei einem Familienunternehmen natürlich anders gewichtet werden als z.B. bei gelisteten oder über Private Equity finanzierten Firmen.

Welches sind die wichtigsten Meilen­steine für Rentschler Biopharma in den nächsten 24 Monaten?

Wir wollen unseren weltweiten Kunden weiterhin hochwertige Dienstleistungen entlang der biopharmazeutischen Wertschöpfungskette anbieten, um letztlich Patienten zu helfen. Unsere Vision inspiriert uns, „Medizin vorantreiben, um Leben zu schützen. Gemeinsam.“

Dazu ist es notwendig, unsere Programme und Prozesse für kontinuierliche Verbesserungen weiterzuentwickeln und zu optimieren. Natürlich gibt es aber auch einzelne herausragende Meilensteine in den nächsten zwei Jahren.

Bei der Rentschler ATMP in in Stevenage, UK, werden wir in Kürze unsere neuen Laborflächen für Prozess- und Analytikentwicklung einweihen, wo wir noch in diesem Geschäftsjahr die ersten Kundenprojekte starten werden; zunächst in der Prozessentwicklung. Ein ganz besonderer Meilenstein wird die Erteilung der cGMP-Lizenz durch die britische Gesundheitsbehörde MHRA sein, die wir ebenfalls im laufenden Fiskaljahr anstreben.

Weitere Meilensteine erwarten wir beim Ausbau unserer Produktionsstätte in Milford, MA, USA, wo wir schon in Kürze eine erste Erweiterung unserer Produktionsanlagen für unsere Kunden nutzen werden.

Herr Dettmer, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!

Das Interview führte Holger Garbs.

 

ZUM INTERVIEWPARTNER

Alexander Dettmer hält ein Diplom (Lic.Oec. HSG) in Wirtschaftswissenschaften und ist seit Juli 2020 Chief Financial Officer bei Rentschler Biopharma. Davor hatte Dettmer mehrere Führungspositionen innerhalb der Fresenius SE & Co. KGaA inne.