Bildnachweis: Amgen.

Von 2011 bis 2021 hat sich die Zahl der Biopharmazeutika auf dem deutschen Markt nahezu verdoppelt, nämlich von 197 auf 362. Allein im vergangenen Jahr wurden 26 biotechnologisch hergestellte Arzneimittel neu zugelassen. Fast jede zweite Neuzulassung auf dem Pharmamarkt war 2021 ein biotechnologisch hergestelltes Arzneimittel (46%). Von Manfred Heinzer

 

Diese Ergebnisse des aktuellen Biotechreports vom Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) zeigen deutlich, dass biotechnologische Therapien einen festen Platz in der Gesundheitsversorgung einnehmen – und zwar nicht erst seit der Coronapandemie.[1]

Auch in den nächsten Jahren wird sich diese Entwicklung fortsetzen, denn die Pipeline ist breit aufgestellt: 113 neue Wirkstoffe befinden sich aktuell in Phase III der klinischen Forschung, so der Biotech­report. Auch die Pipeline des Forschungsstandorts von Amgen in Deutschland ist gut gefüllt.

Forschung „made in Germany“

Die Amgen Research (Munich) GmbH (ARM) arbeitet an einer neuen Generation von Immuntherapien gegen Krebs. Der innovative Ansatz aus München aktiviert dafür körpereigene T-Zellen. Vor zehn Jahren hat das Biotechnologieunternehmen Amgen Micromet, eine Ausgründung der Ludwig-Maximilians-Universität München, übernommen und mit dem Forscherteam des Start-ups die Bispecific-T-Cell-Engager-(BiTE-)Technologie zur Marktreife gebracht.

Manfred Heinzer, Amgen Deutschland GmbH.

2015 wurde in der EU das erste Arzneimittel, das auf der BiTE-Technologie basiert, zur Therapie einer Form der Leukämie zugelassen. Heute sind weitere Wirkstoffe gegen fünf verschiedene Krebserkrankungen in der Pipeline. Das ARM-Team arbeitet daran, die BiTE-Moleküle sowohl bei hämatologischen als auch bei soliden ­Tumoren einzusetzen. Ein Schwerpunkt der aktuellen Forschung besteht darin, BiTE-Moleküle zu entwickeln, die an zwei Targets auf Tumorzellen andocken können. Dieser Ansatz hilft, solide Tumore zu attackieren, deren Angriffspunkte oft sehr unspezifisch sind.

Darüber hinaus werden vorhandene immunonkologische Ansätze mit Blick auf Wirksamkeit, Nebenwirkungen und spezielle Zielgruppen optimiert. So arbeitet Amgen an BiTE-Molekülen mit einer längeren Halbwertszeit, damit die Zeiträume zwischen den notwendigen Infusionen verlängert werden können und die Patientinnen und Patienten weniger oft behandelt werden müssen.

Forschungsstandort im internationalen Wettbewerb

Der Forschungsstandort in München ist für Amgen von internationaler Bedeutung. In München entwickelt, arbeiten heute Forscherteams weltweit an der BiTE-Technologie. Sie wird für rund die Hälfte der hämatologisch-onkologischen Pipeline von Amgen verwendet. Die Krebsforschung von ARM ist ein Beispiel für das Potenzial und die internationale Bedeutung des ­Forschungsstandorts Deutschland.

Das Beispiel zeigt aber auch, wie vernetzt die Forschungslandschaft ist. Vor diesem Hintergrund hat die Diskussion, das deutsche Gesundheitssystem auf Kosten der Pharmaindustrie zu sanieren – sei es mit einer Abschlagszahlung, einem erhöhten Herstellerabschlag oder einem verlängerten Preismoratorium – internationale Auswirkungen. Solche Debatten verunsichern Investoren, schwächen die Attraktivität des Standorts und erschweren die Auseinandersetzung im internationalen Wettbewerb.

Pilotmarkt Deutschland

Die aktuellen vfa-Zahlen zeigen die Bedeutung von biotechnologisch hergestellten Arzneimitteln für die Gesundheitsversorgung in Deutschland. Sie machen aber nicht nur einen hohen Anteil am Markt und an der Versorgung aus – innovative Arzneimittel kommen nach der europäischen Zulassung auch zügig auf den deutschen Markt. Das heißt, Patientinnen und Patienten können schnell von Innovationen profitieren. In diesem Sinne ist Deutschland eine Art Pilotmarkt in Europa. Amgen kann innovative Arzneimittel zeitgleich oder nur leicht zeitversetzt zu den USA auch in Deutschland einführen.

Die schnelle Markteinführung ermöglicht aktuell noch das besondere Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) in Deutschland, denn Zusatznutzenbewertung und Preisverhandlung laufen parallel zur Markteinführung. Das neue, patentgeschützte Arzneimittel ist also während der Verhandlungen bereits erhältlich. Daher besteht während des einjährigen AMNOG-Verfahrens eine freie Preisgestaltung für das neue Arzneimittel.

Dieser Standortvorteil wird verspielt, wenn das AMNOG-Verfahren als reines Kosteneinsparinstrument interpretiert wird. Es muss eine vernünftige Balance zwischen medizinischem Fortschritt und Kostenkontrolle herrschen. Forschende Pharmaunternehmen benötigen zudem verlässliche Rahmenbedingungen für ihre langfristigen und per se risikoreichen Investitionen. Dazu gehört auch eine Nutzenanalyse, die auf modernen Studiendesigns basiert und am Outcome orientiert ist. Nur so können spezialisierte und zunehmend personalisierte Therapien, z.B. im Kampf gegen Krebs, im AMNOG-Prozess adäquat abgebildet werden.

Standort für klinische Studien

Deutschland ist auch als Standort für klinische Studien interessant, verfügt es doch über eine hohe Bevölkerungsdichte mit einem engmaschigen Netz von Gesundheitseinrichtungen, ärztlichem Fachpersonal und Universitäten von hoher Qualität. Im vergangenen Jahr hat z.B. Amgen 44 Studien durchgeführt und mit 201 Studienzentren zusammengearbeitet. Knapp 590 Patientinnen und Patienten waren an den Studien beteiligt. Auch in diesem Sinne ist Deutschland ein Pilotmarkt für Amgen.

Aber auch beim Studienstandort zeigen sich Risse im Bild, denn Föderalismus, Bürokratie und langwierige Genehmigungsprozesse schmälern seine Attraktivität. Zahlen des vfa zeigen, dass die Anzahl an hierzulande durchgeführten klinischen Studien stetig abnimmt (2020: 542), sodass Deutschland nun auf Platz vier hinter den USA, China und Spanien rangiert.[2] Zweifellos hat Deutschland als Studienstandort für forschende Pharmaunternehmen – auch für Amgen – weiterhin einen hohen Stellenwert, aber von der bis 2016 gehaltenen Position als Europameister und weltweiter Nummer zwei hat es sich weit entfernt.

Voraussetzung Patentschutz

Der Schutz des geistigen Eigentums wird meist als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt. Die Debatte anlässlich der COVID-19-Pandemie zeigt jedoch, dass dieses Grundrecht keineswegs unantastbar ist. Auf politischer Bühne hat sich Deutschland bisher klar für die Einhaltung der Patentrechte ausgesprochen. Diese klare Positionierung ist notwendig, denn der Patentschutz ist Voraussetzung für Forschung und Innovation. Patentgeschützte Arzneimittel auf dem Markt sichern die erheblichen Investitionen in Forschung und Entwicklung und refinanzieren zugleich „Fehlschläge“ in der Forschung, die nicht bis zur Marktreife gelangt sind.

Standortfaktor Mensch

Die Mehrheit der Deutschen schätzt Deutschland als Wissenschafts- und Forschungsstandort unter den Top Three im Ländervergleich ein (58%). Nur die USA werden mit 73% in einer von Amgen beauftragten Bevölkerungsumfrage noch häufiger genannt.[3] Ein Viertel hält Deutschland sogar als Wissenschaftsstandort für führend im Vergleich zu anderen Ländern. Die Universitäten und die gute Ausbildung von Wissenschaftlern in den MINT-Fächern, also in den Disziplinen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, machen für die meisten der Befragten den guten Ruf aus.

Neben all den politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist der Faktor Mensch entscheidend für den Biotechstandort Deutschland. Gut ausgebildete Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler sind für die Erfolge in der Forschung verantwortlich. Deshalb ist es unerlässlich, gute Ausbildungs- und Arbeitsverhältnisse in der Forschung zu schaffen und auch weiterhin in die Universitäten und die Ausbildung von Fachkräften zu investieren.

 

ZUM AUTOR

Seit September 2020 ist Manfred Heinzer Geschäftsführer der Amgen GmbH in München. Als führendes unabhängiges Biotechnologieunternehmen ist Amgen mit etwa 24.000 Mitarbeitenden in fast 100 Ländern vertreten. Deutschland ist für Amgen außerhalb der USA der zweitwichtigste Markt sowie ein wesentlicher Forschungsstandort.

[1] Biotechreport „Medizinische Biotechnologie in Deutschland 2022“, Boston Consulting Group, vfa bio – Verband forschender Arzneimittelhersteller e.V.

[2] Deutschland verliert bei klinischen Studien an Boden. Auswertung des öffentlichen Studienregisters Clincaltrials.gov durch vfa: www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/forschungsstandort-deutschland/klinische-studien-deutschland.html

[3] Amgen-Studie „Wissenschaftsstandort Deutschland“, Marktforschungsinstitut Toluna, Oktober 2021.

Autor/Autorin

Manfred Heinzer