Bildnachweis: luminara – stock.adobe.com, Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI.
Mit dem Vorhaben CREATION – Center for Gene- and Cell-Therapy in Regeneration and Transplantation – stehen Leipzig, Hannover und Göttingen im Fokus eines ambitionierten Bundesverfahrens zur Förderung herausragender Forschungsinfrastrukturen. Ziel des Verfahrens ist die Auswahl von Forschungsinfrastrukturen, die für den Ausbau und Erhalt der deutschen Spitzenposition in Forschung und Innovation im internationalen Wettbewerb prioritär sind. Von Urs Moesenfechtel
Zwar bedeutet die Shortlist-Platzierung per se noch keine Finanzierung, aber sie zeigt schon jetzt: Das Thema Zell- und Gentherapie ist von zentraler Bedeutung für die Gesundheitsversorgung. Der Wissenschaftsrat bewertete CREATION in den Aspekten wissenschaftliches Potential, Nutzung, Relevanz für den Standort Deutschland und Umsetzbarkeit als „exzellent“ bzw. „sehr gut“.
Medizin von morgen – Chancen und Lücken
Regenerative Zell- und Gentherapien zählen zu den technologischen Kernthemen der Medizin von morgen. Sie versprechen hochpräzise Heilansätze für Krebs, Erbkrankheiten, degenerative Leiden und die großen Volkskrankheiten. Doch die Übersetzung ins klinische Umfeld bleibt derzeit in Deutschland mäßig entwickelt. Klinische Studien, GMP-Produktion und industrielle Skalierung verlaufen getrennt – mit Verzögerungen, hohen Kosten und Fragmentierung. Genau diese Lücke soll nun geschlossen werden. Deshalb startete das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) im Sommer 2024 ein Priorisierungsverfahren für neue Forschungsinfrastrukturen, von der Batteriezellfertigung bis zur Medizin. Im Juli 2025 wurde schließlich die Shortlist mit neun Projekten von nationaler Bedeutung vorgestellt. CREATION gehört dazu, das finale Votum des BMFTR wird im November 2025 veröffentlicht.
Drei Standorte, eine integrierte Struktur
CREATION soll ein integratives Zentrum werden, das Forschung, klinische Anwendung und industrielle Translation von Zell- und Gentherapien unter einem Dach vereint. Die geplante Infrastruktur ist verteilt auf die drei Standorte Hannover, Göttingen und Leipzig – mit erheblichen Erweiterungen der GMP-Anlagen in Hannover und Leipzig. In Kooperation mit Niedersachsen schickt Leipzig dafür zwei starke Partner ins Rennen: Erstens die Universitätsmedizin Leipzig, die mit ihrer medizinischen Fakultät und dem Universitätsklinikum sowohl über klinische Exzellenz als auch über Zugang zu großen Patientenkohorten und Studieninfrastrukturen verfügt. Zweitens das Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie (IZI), das mit seinen GMP-Einrichtungen eine einzigartige Ressource bietet, die europaweit wahrgenommen wird. Dazu gehören rund 630 m² Reinraumfläche für die Herstellung zellbasierter Therapeutika, 640 m² Labore zur Qualitätskontrolle, und weitere rund 240 m² Labore zur GMP-Prozessentwicklung. Bis 2026 soll zusätzlich eine neue GMP-Anlage zur Vektorproduktion entstehen. Seit 2006 wurden am Fraunhofer IZI bereits über 4.000 Zellprodukte freigegeben – darunter 600 CAR-T-Zelltherapien, sogenannte „lebende Krebsmedikamente“.
In Kooperation und im Auftrag von akademischen Einrichtungen, KMUs und großen pharmazeutischen Industriepartnern (z.B. Novartis, BMS), werden am Fraunhofer IZI Zell- und Gentherapeutika für europa- und weltweite Anwendungen im Rahmen klinischer Studien hergestellt. Leipzig gehört zu den wenigen Standorten in Deutschland, an denen Forschung, GMP-Produktion und klinische Entwicklung nahtlos ineinandergreifen. Zusammen mit den Partnern in Hannover und Göttingen würde CREATION diese Stärken strategisch bündeln und international kompetitiver machen.
Von Einzellösungen zu „Off-the-Shelf“-Therapien
Im Mittelpunkt von CREATION soll die Entwicklung von „Off-the-Shelf“-Therapien stehen. Darunter versteht man standardisierte, lagerfähige Präparate, die nicht erst individuell für einzelne Patient:innen hergestellt werden müssen. Gleichzeitig sollen die Produktionsverfahren durch KI-gestützte Automatisierung effizienter, schneller und kostengünstiger werden. Diese Ansätze zielen direkt auf Krankheiten wie Krebs, genetische Erkrankungen sowie Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Leiden. Insbesondere die Beschleunigung der großvolumigen Produktion von GTMPs (Gene Therapy Medicinal Products) stellt ein Alleinstellungsmerkmal dar.
Leipzigs Rolle im nationalen Biotech-Cluster
Während Hannover und Göttingen ihre Stärken vor allem in der Grundlagenforschung und klinischen Entwicklung einbringen, sind in Leipzig Patientenversorgung, GMP-Produktion und regulatorische Expertise optimal miteinander verzahnt. Dieses Alleinstellungsmerkmal könnte CREATION in Deutschland zur nationalen Plattform machen. In Kombination mit dem seit vier Jahren geförderten Zukunftscluster SaxoCell, dem neu geförderten Exzellenzcluster LeiCEM (Leipzig Center of Metabolism), sowie dem Biotech-Hub BIO CITY LEIPZIG, bietet Leipzig schon jetzt ein integriertes Innovationsökosystem für Start-ups, Zulieferer und internationale Big Pharma-Partner. Als weiterer Partner ist das Unternehmen GMPunlimited vorgesehen, das spezifische Expertise in der industriellen Skalierung und GMP-Produktion einbringt. Geplant ist, dass jährlich etwa 200–300 externe Nutzer:innen (ca. 60% akademische sowie 40% privatwirtschaftliche und außeruniversitäre Wissenschaftler:innen) Zugang zu den CREATION-Ressourcen erhalten, zusätzlich zu den Forschenden der vier verantwortlichen Institutionen.
Für den regionalen Wirtschaftsraum Sachsen wäre die Realisierung von CREATION ein deutlicher Impuls. Neue Start-ups, spezialisierte Zulieferer und internationale Partnerunternehmen könnten sich verstärkt ansiedeln und damit den Biotech-Cluster in Sachsen nachhaltig verdichten. Schon heute gilt Leipzigs BioCity Campus als Magnet der sächsischen Life-Science-Szene. Auf über 100.000 m2 vereint er Forschungsinstitute, (außer-)universitäre Einrichtungen, Start-ups und etablierte Biotech-Unternehmen. Der Campus ist nicht nur räumlich, sondern auch inhaltlich eng mit der Universitätsmedizin und dem Fraunhofer IZI verzahnt. Hinzu kommt die exzellente Infrastruktur: Mit dem Flughafen Leipzig/Halle steht der Region ein international angebundener 24/7-Frachtflughafen zur Verfügung, der gerade für die hochsensible Pharmalogistik unverzichtbar ist. Mit CREATION könnte sich das Cluster entscheidend weiterentwickeln: In Ergänzung und unmittelbarer Nachbarschaft zum Fraunhofer IZI entstünde ein europaweit sichtbarer Knotenpunkt für Zell- und Gentherapien.
Nationale Strategie und Finanzierung
Mit der Nationalen Strategie für Gen- und zellbasierte Therapien (Nationale Strategie GCT) stellt der Bund gemeinsam mit den Ländern von 2023 bis 2026 insgesamt 48 Mio. EUR bereit und folgt damit erfolgreichen Beispielen in UK, BeNeLux und Frankreich. Das macht deutlich: Das Thema ist auf höchster politischer Ebene angekommen. CREATION knüpft an diese Agenda an und soll die dafür nötigen Strukturen schaffen. Für den Aufbau des Zentrums selbst ist jedoch ein ganz anderer Maßstab erforderlich. Der aktuelle Finanzrahmen des Projekts sieht bis 2029 Investitionen von rund 84 Mio. EUR für Bau und Ausstattung vor. Für den anschließenden Betrieb bis 2038 sind weitere etwa 100 Mio. EUR veranschlagt. Damit gehört CREATION zu den größten biomedizinischen Infrastrukturvorhaben, die Deutschland derzeit diskutiert. Entscheidend wird neben der Höhe der Mittel auch die Organisationsform sein. Nur ein Modell, das akademische Freiheit mit industrieller Kooperation verbindet, kann die notwendige Dynamik entfalten.
Ausblick
CREATION ist derzeit noch eine Vision. Doch mit den bereits vorhandenen Strukturen, klar definierten Ausbauplänen und einem Finanzrahmen von fast 200 Mio. EUR über Aufbau und Betrieb liegen die Grundlagen für weitere Entscheidungen auf dem Tisch.
Autor/Autorin
Urs Moesenfechtel, M.A., ist seit 2021 Redaktionsleiter der GoingPublic Media AG - Plattform Life Sciences und für die Themenfelder Biotechnologie und Bioökonomie zuständig. Zuvor war er u.a. als Wissenschaftsredakteur für mehrere Forschungseinrichtungen tätig.