Bildnachweis: Aquamondis.
Ob Smarties oder Gummibärchen – ohne kräftiges Blau geht es nicht. Doch der einzige natürliche Farbstoff dafür ist weltweit knapp. Kann ein junges Unternehmen von den Kapverden diese Lücke schließen – und dabei weit mehr bieten als nur Farbe? Von Urs Moesenfechtel
Blue Curaçao ohne Blau? Gatorade Blau ohne seine typische Leuchtkraft? Oder die beliebten blauen Smarties und Schlümpfe im Gummibärchenregal? Für Konsumenten sind diese Produkte untrennbar mit ihrer Farbe verbunden. Doch was vielen nicht bewusst ist: Das kräftige Blau stammt in der Regel noch immer aus synthetischen Farbstoffen. Und genau diese geraten zunehmend unter Druck: In der EU müssen Hersteller auf Verpackungen warnen, wenn bestimmte Farbstoffe wie Tartrazin oder Allura Rot enthalten sind; Titandioxid (E171) wurde 2022 ganz verboten. In den USA prüft die FDA aktuell ein Verbot mehrerer synthetischer Farbstoffe, darunter „Blue 1“ und „Blue 2“ bis 2026. Parallel wächst die Verbrauchernachfrage nach „Clean Label“-Produkten ohne künstliche Zusätze.
Natürliches Blau ist knapp
Für Hersteller bedeutet das: natürliche Alternativen werden vom Nice-to-have zum regulatorischen Must. Doch der einzige zugelassene natürliche blaue Lebensmittelfarbstoff, Phycocyanin aus Spirulina-Algen, ist weltweit extrem knapp. Die gesamte Spirulina-Produktion liegt aktuell bei rund 10 000 Tonnen Trockenmasse pro Jahr. Daraus lassen sich zwar signifikante Mengen Phycocyanin gewinnen, doch der Bedarf der Lebensmittelindustrie übersteigt dies deutlich: Für die Färbung von Süßwaren oder Getränken werden als technischer Richtwert pro Liter ca. 16 mg Phycocyanin benötigt. Rechnet man diese Mengen auf große Markenprodukte hoch – etwa die blauen M&Ms oder Gatorade Blau – zeigt sich: Schon eine einzige globale Produktlinie würde ein Mehrfaches der heutigen Weltproduktion beanspruchen. Das aktuelle Phycocyanin-Angebot ist also global viel zu knapp.
Spirulina im Zentrum – Phycocyanin als Wertschöpfungsverlängerung
Genau hier setzt Aquamondis an: Das 2022 in Eckernförde gegründete Unternehmen baut auf den Kapverden eine industrielle Spirulina-Produktion in geschlossenen Gewächshaussystemen auf. Damit soll nicht nur der natürliche Farbstoff Phycocyanin in relevanten Mengen verfügbar werden, sondern vor allem Spirulina selbst als hochwertiger Proteinrohstoff – ein Produkt mit wachsender Nachfrage in Ernährung, Kosmetik und funktionalen Lebensmitteln. Der globale Spirulina-Markt lag 2023 bei etwa 480 Mio. US-Dollar und wird bis 2030 auf über 850 Mio. US-Dollar geschätzt – mit einer jährlichen Wachstumsrate von rund 9–10 %. Gleichzeitig klagen Abnehmer über fehlende Standardisierung. Qualität und Zusammensetzung schwanken stark. Und: Der europäische Spirulina-Markt ist stark fragmentiert: Weltweit gibt es über 400 Produktionsstätten in 23 Ländern, allein in Europa existieren mehr als 140 kleine Produzenten, die jeweils unterschiedlich ernten und verarbeiten.
„Unser Ziel ist eine standardisierte, saubere und industriell skalierbare Spirulina-Produktion“, erklärt Aquamondis-Gründer und -Geschäftsführer Jan Dohrmann. „Das blaue Pigment Phycocyanin ist dabei die natürliche Weiterverarbeitung – sozusagen die Kürbiskerne im Kürbis. Doch wir denken über das ‚Blau‘ hinaus: Unser Anspruch ist es, den bisher stark fragmentierten Markt zu zentralisieren und Spirulina selbst als einheitlich hochwertiges Proteinpulver verfügbar zu machen. Ein Teil der Ernte wird zusätzlich extrahiert und liefert Phycocyanin – ein hochpreisiges Nebenprodukt mit großem Potenzial im Farbstoffmarkt.“
Standort Kapverden: Vierfache Erträge, konstante Qualität
Warum die Kapverden? Die Inselgruppe bietet nahezu ideale Produktionsbedingungen: ganzjährig stabile Temperaturen zwischen 25 und 30 °C, über 3 500 Sonnenstunden pro Jahr und konstante Passatwinde. Während europäische Anlagen im Winter hohe Energiekosten für Heizung, Belichtung und Belüftung haben, entfallen diese auf den Kapverden fast vollständig. Hinzu kommen niedrigere Personalkosten und geringere Grundstückspreise. In Summe kann so bei gleicher Anlagengröße mit bis zu 50 % geringeren Betriebskosten kalkuliert werden, so Dohrmann, „bei zugleich bis zu vierfach höheren Flächenerträgen gegenüber Mitteleuropa.“ Die erste geplante Anlage umfasst 1,2 Hektar mit zwölf Becken. Daraus sollen jährlich rund 60 Tonnen Spirulina gewonnen werden – fast die Hälfte der heutigen europäischen Gesamtproduktion von 142 Tonnen. Durch die geschlossenen Gewächshäuser werden Kontaminationen vermieden. Für Abnehmer aus der Lebensmittelindustrie wäre dies ein entscheidendes Argument: Gleichbleibende Qualität und reduzierte Risiken in der Weiterverarbeitung.
Marktpotenziale und Wettbewerb
In Europa wird Spirulina derzeit zu rund 30 Euro pro Kilogramm gehandelt. Dank der klimatischen und kostenseitigen Vorteile auf den Kapverden kann Aquamondis selbst bei 15 Euro pro Kilogramm noch profitabel produzieren. Damit verschafft sich das Unternehmen einen klaren Wettbewerbsvorteil – sowohl gegenüber hochpreisigen europäischen Kleinanbietern als auch gegenüber Importen schwankender Qualität aus Asien. Die Nachfrage wächst: Neben dem klassischen Markt für Nahrungsergänzungsmittel setzen zunehmend auch große Lebensmittelhersteller auf natürliche Farbstoffe. Nestlé hat Smarties bereits auf Spirulina-Blau umgestellt, weitere Marken wie Haribo, Katjes oder Getränkehersteller wie Gatorade testen den Einsatz. Für neue Anbieter eröffnen sich dadurch erheblich wachsende Marktchancen.
Finanzierung und Investmentperspektiven
Für die Realisierung der ersten Anlage kalkuliert Aquamondis mit einem Investitionsbedarf von rund 2,5 Mio. Euro. Eine in den nächsten Monaten abgeschlossene Crowd-Investing-Kampagne über 750.000 EUR soll zunächst den Proof of Concept sichern und den Ertragsvorteil der Kapverden gegenüber europäischen Anlagen belegen. Parallel sucht das Unternehmen nach strategischen Investoren. Banken haben signalisiert, Mittel spiegeln zu können, sobald ein Lead-Investor an Bord ist. Für Investoren bietet sich damit die Möglichkeit, in eine frühe Phase einzusteigen – mit vergleichsweise moderatem Kapitalbedarf und klaren Skalierungsperspektiven.
Zeitplan und Ausblick
Die ersten Komponenten der Anlage sind bereits unterwegs auf die Kapverden, Baubeginn soll noch im laufenden Jahr erfolgen. Innerhalb von drei Monaten kann die Pilotanlage errichtet werden; die ersten Ernten werden für Mitte 2026 erwartet. Langfristig will Aquamondis die Produktionskapazitäten schrittweise ausweiten und sowohl den europäischen Markt stabil bedienen als auch internationale Märkte erschließen. Fazit: Das „natürliche Blau“ ist der sichtbare Aufhänger, Spirulina aber das Fundament des Unternehmens. In der Kombination entsteht ein Modell, das wirtschaftliche Skalierbarkeit und ökologische Verantwortung vereint.
Autor/Autorin
Urs Moesenfechtel, M.A., ist seit 2021 Redaktionsleiter der GoingPublic Media AG - Plattform Life Sciences und für die Themenfelder Biotechnologie und Bioökonomie zuständig. Zuvor war er u.a. als Wissenschaftsredakteur für mehrere Forschungseinrichtungen tätig.