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Braucht es nicht auch einen größeren Blick auf das Thema Kapitalmarkt?

Bialojan: Es gibt kein Beispiel für eine vernünftige Industrietransformation, die ohne einen funktionierenden Kapitalmarkt stattgefunden hätte – und da gehört für mich das Thema IPO einfach dazu. Es ist zu eng, das Thema Kapitalmarkt nur von der Warte Venture Capital oder Frühphasenfinanzierung zu sehen. Entscheidend ist das gesamte Ökosystem, und das gilt vor allem für die USA, aber auch für Europa: Die IPOs treiben das gesamte Ökosystem enorm an. Diese Exit-Schiene IPO kann eine enorme Sogwirkung auf Venture Capital haben. Das Thema Kapitalmarkt ist natürlich ein politisches – daher würde ich das Thema Rahmenbedingungen weiter auf den Kapitalmarkt ausdehnen, anstatt nur zu sagen: „Wir brauchen mehr Venture Capital!“

Höger: Es gibt in Deutschland keine Cross-over-Investoren. Etwas, was in den USA selbst­verständlich ist, nämlich auf IPOs spezialisierte Kapitalgeber, ist hierzulande quasi nicht vorhanden. Ebenso wenig gibt es die spezialisierten Researchanalysten für dieses Thema in Deutschland. Letztlich läuft die deutsche Biotechindustrie Gefahr, sich zunehmend zu einer Zuliefererindustrie zu entwickeln. Das muss nicht von vornherein ­negativ sein, doch aus volkswirtschaftlicher Sicht sehe ich dies kritisch, dass man sich vornehmlich auf die traditionellen Branchen wie Automobilbau oder Chemie konzentriert und weniger auf die neuen Indus­triebranchen.

Pfister: Eine Alternative existiert in Form des Reverse Mergers. Im Falle der Immunic kam das nötige Kapital von den Altinvestoren, ­inklusive des High-Tech Gründerfonds, die bereit waren, das Reverse-IPO mitzutragen. Entscheidend war hier auch, dass die Immunic über eine exzellente Wissenschaft und ein Team verfügt, welches in der Lage war, dieses IPO zu stemmen. Auch das ist ein entscheidender Punkt: ein Team zu haben, welches ein IPO umsetzen kann.

Frau Schwenkert, welche konkrete ­Unterstützung können Sie gründungswilligen Wissenschaftlern geben?

Schwenkert: In vielen Fällen transportieren wir Wissen, beispielsweise: Welche Möglichkeiten gibt es, öffentliches Geld für die Forschung zu akquirieren? Die wenigsten Wissenschaftler kommen mit einem klaren Gründungswillen zu uns. Gründen ist eher eine von mehreren Optionen, um ein bestimmtes Thema voranzutreiben. Interessanterweise ist es z.B. für bereits bestehende Firmen in bestimmten Bereichen momentan einfacher, eine neue Firma zu gründen, als geförderte Forschung zu betreiben. Im ­Moment ist viel Seed-Kapital vorhanden, während es schwieriger ist, für bestimmte Themen eine öffentliche Förderung zu generieren. Natürlich verweisen wir auch auf ­bekannte Maßnahmen, etwa Businessplan-Wettbewerbe als Möglichkeit, Werbung in eigener Sache zu machen oder erstes Geld einzuwerben. Interessanterweise ist gerade diese Möglichkeit vielen Forschern unbekannt, was uns immer wieder überrascht. Es gibt unter den Hochschulen und Forschungseinrichtungen viele Leuchttürme, in denen Gründungsvorhaben aktiv gefördert werden. Doch in der Breite herrscht auch viel Unkenntnis. Wir sind immer wieder erstaunt darüber, dass gängige Finanzierungsoptionen für Gründungen von Wissenschaftlern seitens der Technologietransferstellen nicht angesprochen werden.

Ist also letztlich auch das mangelnde Wissen innerhalb der Wissenschaft über das Thema Gründen eine Ursache für die zaghafte Gründungstätigkeit in den Life Sciences?

Schwenkert: Es ist auf jeden Fall ein Problem der Gründerpersönlichkeit. Nicht jeder Forscher oder Wissenschaftler ist auch ein guter Gründer oder Unternehmer. Wir müssen verstärkt darauf setzen, gute Gründerteams ­zusammenzustellen. Inkubatoren sind dabei sehr hilfreich – das darf aber auf der anderen Seite nicht dazu führen, dass der Gründer selbst gar nicht mehr in Erscheinung tritt. Wichtige Fragen sind: Wie sieht ein guter Businessplan aus? Wer kauft mein Produkt? Häufig findet kein geeigneter Austausch statt, und viele Forscher bewegen sich immer noch im sprichwörtlichen Elfenbeinturm.

Kerber: Oft ist der Technologietransfer auch in der Kultur einer Universität oder einer Forschungseinrichtung nicht ausreichend verankert. Die Technologietransferstellen müssen deshalb präsent sein sowie von den Wissenschaftlern als Partner wahrgenommen und geschätzt werden, der sie fördert und dabei unterstützt, ihre Forschung auf den Markt zu bringen. Dazu muss man den institutionellen Technologietransfer mit den entsprechenden Personal- und Finanzmitteln sowie Tools ausstatten. Das bedeutet zum einen ausreichendes und qualifiziertes Personal, zum anderen beispielsweise interne „proof-of-concept funds“, Raum für Indus­triekollaboration und Co-Location von Industriepartnern bis hin zu Inkubatoren. Zum Glück hat man teilweise bereits erkannt, dass die „klassische“ Patentverwertungsagentur zu kurz greift, und den Technologietransfer auf eine breitere Basis gestellt. Teilweise besteht da noch Nachholbedarf. Dieser umfassende Technologietransfer ist attraktiver für alle Beteiligten, und dabei geht es nicht nur um Kapital für Ausgründungen. Man kann so mehr an der wissenschaft­lichen Basis arbeiten und das Bewusstsein für das Potenzial von translationaler Forschung und Gründungen fördern. Dabei möchte ich aus Technologietransfersicht noch anmerken, dass eine Gründung nicht das Allheilmittel ist. Es gibt viele Möglichkeiten, ein Produkt in den Markt zu bringen. Die ­Zusammenarbeit zwischen Forschung und einem bereits etablierten Unternehmen ist eine valide Alternative.

Wieland: Da gibt es aber ein strukturelles Problem in Deutschland, nämlich nicht nur die regionale, sondern auch die institutionelle Zersplitterung von Technologietransferstellen: Eine zentralisiertere Anlaufstelle in einer Region für potenzielle Erfinder/Gründer einerseits und für Unternehmen andererseits, die auf der Suche nach einer Technologie, nach einem Target sind, wäre hilfreich. Eine positivere Wahrnehmung ­einer Gründung/Auslizenzierung durch einen Wissenschaftler ähnlich wie in den USA wäre ebenso hilfreich als Motor der Trans­lation und als große Aufgabe der Technologietransferstellen.

Domin: Das war eine Motivation zur Gründung der Heidelberg Startup Partners, nämlich dass alle gründungswilligen Lebenswissenschaftler in Heidelberg einen zentralen Ansprechpartner haben. Vorrangig geht es um grundlegende Fragen des Teambuilding, der Patentanmeldung bzw. des Darauffolgenden. Solche Fragen werden in vielen Forschungseinrichtungen nicht beantwortet. Dabei gibt es zwei Arten von Gründern: zum einen jene, die bereits vormals ein Unternehmen gegründet haben und bereits über entsprechende Erfahrung verfügen. Was wir aber in vielen Programmen, Inkubatoren oder Acceleratoren erleben, sind junge Gründer, die zwar gute Ideen haben und sehr motiviert sind, ansonsten aber nicht einschätzen können, welchen Reifegrad ihre Ideen tatsächlich besitzen oder was sie einmal auf dem Markt wert sein könnten. Eine schon erwähnte Alternative ist die direkte Zusammenarbeit zwischen Forschungseinrichtung und etabliertem Unternehmen. Hier wird die Gründung quasi umgangen und die Idee direkt in den Markt gebracht. Evotec ist hier ein gutes Beispiel.