Seit Jahren sind die Deutschen Biotechnologietage als DAS Klassentreffen der deutschen Biotechnologieszene bekannt. Routiniert organisiert vom Team des BIO Deutschland e.V. in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis der BioRegionen fand das Event in Berlin am 16. und 17. April zum 14. Mal mit rund 1.000 Besuchern aus 21. Nationen statt.

Ein Umdenken in der Politik erkennbar

Obwohl die Biotechnologiebranche schon lange Schlüsseltechnologien hervorbringt, schien sie von der Politik lange Zeit ignoriert worden zu sein. Erstmals hatte man jedoch auf diesen Biotechnologietagen, nicht nur bei den Eröffnungsreden, den Eindruck, dass ein Umdenken stattgefunden hat. Die Politik scheint sich zunehmend der Biotechnologie zu öffnen – auch wenn Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger dann doch nicht, wie vorgesehen, persönlich anwesend sein konnte. Die Eröffnungsrede hielt schließlich Prof. Dr. Veronika von Messling, Leiterin der Abteilung 6 – Lebenswissenschaften des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Sie sprach die großen und altbekannten Herausforderungen der Branche, Finanzierung, Scale-up, Translation, Ausbildung und weitere an. Gleichzeitig verwies sie aber auch auf die Chancen der Biotech als Querschnittsbranche zur Bewältigung drängender Zukunftsfragen wie Klimawandel, Ressourcenübernutzung, demografischer Wandel, Gesundheitsversorgung sowie KI als alles verändernde Technologie etc. So weit, so gut.

Chancen und Herausforderungen

Diesen Einstieg unterstrich Kristin Schreiber, Direktorin der Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU (GROW) der Europäischen Kommission. Sie wies auf die Bedeutung der Biotechnologie als Innovations-Motor für die nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit, für die Zukunftsfähigkeit Europas und des Forschungs-Standortes Deutschlands hin – und bedauerte gleichzeitig die Skepsis der Öffentlichkeit in Bezug auf Biotechnologie, gerade im Bereich der Landwirtschaft. Auch von dieser Seite sei eine Öffnung gegenüber neuen Technologien wichtig, so Schreiber. Ja, auch die drängenden Fragen der Branche in Bezug auf Finanzierung und Investments, der Vereinfachung rechtlicher Rahmenbedingungen, des Fachkräftemangels und weiterer würden seitens der EU gesehen, entsprechende Strategien und konkrete Handlungsvorhaben seien in Vorbereitung und Umsetzung, die Sorgen der Branche würden gehört. Nur in welchem Maße und mit welcher Dringlichkeit? Dies blieb mitunter doch vage. Konkreter Aussagen dazu, wo und was und wie denn nun in einzelnen Biotech-Sektoren geschehen werde, nicht müsse, wären wünschenswert gewesen.

Europäische Perspektiven

Der durchgängige Tenor aller Veranstaltungsteile war: Forschung kann Deutschland und Europa, aber auch Wirtschaft? In einem Plenum am zweiten Tag zum Thema „Innovationspolitik für Deutschland“ unterstrich diese Problematik auch Staatssekretär Michael Kellner des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz mit den Worten: „Wir sind in Deutschland nach wie vor gut im F&E-Bereich, aber wir sind noch nicht gut genug darin hochzuskalieren“. Und er mahnte: „Es gibt keinen Mangel an Strategien und Positionspapieren in Deutschland. Entscheidend ist das Umsetzen dieser, das Handeln. Nur weil bald Wahlen anstehen, können und werden wir jetzt aber nicht alles vertagen was noch zu tun ist.“ Dem pflichteten auch die weiteren im Plenum vertretenen politischen Vertreter bei und plädierten u.a. für eine bestmögliche Koordinierung und Bündelung aller Biotech-Aktivitäten in Deutschland (MdB Ruppert Stüwe, SPD), für die Einrichtung eines staatlichen Biotech-Funds (MdB Thomas Jarzombek, CDU/CSU) oder für mehr Ermessensspielräume der Verwaltung, um Innovationen voranzubringen (MdB Prof. Dr. Stephan Seiter, FDP). Mitunter klang es jedoch so, als adressierten sie mit diesen Forderungen andere Akteure als sich selbst.

Vielfältige Themen und Expertise

Die diesjährigen Biotechnologietagen waren  von einem bunten Themenblumenstrauß und geballter Expertise geprägt. Bioökonomie, KI sowie Pflanzenzüchtung bestimmten das zweitägige Programm. Das Thema Zell- und Gentherapien kam eine prominente Stellung zu, vor allem auch vor dem Hintergrund der in Arbeit befindlichen nationalen CGT-Strategie, deren Fortschritte, moderiert von der Journalistin Sabine Rieser von Thomas Helmstorf (Bayer), Faten Gaber (Roche Pharma), Prof. Dr. Michael Hudecek (Universitätsklinikum Würzburg), Michael Kahnert (Miltenyi Biotec) und Prof Dr. Christof von Kalle (BIH Charité) diskutiert wurden. Einig waren sich selbstverständlich alle darin, dass bei CGTs der Patientennutzen im Fokus stehen und regulatorische Rahmenbedingungen speziell für CGT, insbesondere auch bei der AMNOG, angepasst werden müssten. Ziel sei schließlich, dass der Pharmastandort Deutschland an der sich weltweit abzeichnenden, zunehmenden Wertschöpfung Teil hat. Dazu sei der Technologietransfer essentiell, damit Patienten in Deutschland schneller von den innovativen Therapien profitieren könnten. Wie auch bei anderen Paneldiskussionen war auch hier der Tenor, dass es bei Strategien nicht bleiben dürfe, um Deutschland als führenden Standort in diesem hochinnovativen medizinischen Sektor zu etablieren.

Innovationen und Start-ups

Innovationspreis der Deutschen BioRegionen

Ein Highlight war sicherlich die Verleihung des Innovationspreises der Deutschen BioRegionen. Unter vielen hervorragenden Pitches konnten sich am Ende Niklas Beyersdorf und Daniela Langenhorst von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg mit dem Start-up FungiMAB (Neuartige Therapien für invasive Pilzinfektionen), Anja Himmelstein und Marius Hittinger von MucosaTec (Bifunktionale Peptide zur Bekämpfung von Pathogenen) und Bernd Giebel vom Universitätsklinikum Essen (Extrazelluläre Vesikel: Zellfreie Stammzelltherapie 2.0) durchsetzen. Der Publikumspreis ging an Uwe Freudenberg vom Leibniz-Institut für Polymerforschung Dresden für den Beitrag Polymermaterialien zur Heilung entzündlicher Erkrankungen.

Diskussionen zu Finanzierungsfragen

Panel: Finanzierung – Neue Instrumente für die Biotech? von links nach rechts: Dr Patrick Rose (SPRIND), Dr. Angelika Vlachou (High-Tech Gründerfonds), Tobias Faupel (DeepTech & Climate Fonds), Ulrike Hinrichs (BVK) und Moderator Prof. Dr. Dirk Honold (TH Nürnberg)

So energiegeladen die Start-ups pitchten, so energiegeladen war auch die Diskussion des Panels „Finanzierung – Neue Instrumente für die Biotechnologie?“, professionell moderiert von Prof. Dr. Dirk Honold. Hier wurde u.a – und durchaus kontrovers – über die Möglichkeiten der SPRIND und den durch das Freiheitsgesetzt geschaffenen größeren Spielraum bei Investitionen gesprochen. SPRIND kann mittlerweile Summen von 20-30 Mio. EUR in hoch-riskante „groundbreaking technologies“ investieren. Patrick Rose (SPRIND) betonte, dass radikale Innovationen nur erfolgen würden, wenn man Start-ups entstresse – basal notwenidg dazu seien natürlich eine entsprechende finanzielle Ausstattung, ein großes Maß an Vertrauen und eben auch Freiheiten bei der Forschung und Entwicklung sowie dem Scale-up von Start-ups nötig. Nur dann seien erfolgreiche Exits möglich, wie das beispielsweise erst kürzlich mit Cardior, Emergence Therapeutics (2023) oder Mia (in 2020) der Fall gewesen sei – über die schließlich Dr. Angelika Vlachou (HTGF)  berichtete. Doch man dürfe nicht allein auf diese herausragendne Erfolge schauen, so Tobias Faupel vom DeepTech & Climate Fonds. Er gab zu bedenken „Wir müssen weg kommen vom Unicorn oder Exit-Multiples-Denken.“ Es brauche längerfristige Entwicklungspfade, die nicht auf ein schnelles Rein- und wieder Raus fokussiert seien, so Faupel. In Kombination mit starken Finanzierungsmixen sei das „the winning concept“. Der DeepTech & Climate Fonds, setzt mit seinen Investments erst ab der A-Runde, also nach dem HTGF, an. Im zweiten Jahr seiner Tätigkeit ist nun neu, dass der Fonds auch in Life Sciences (Medtech, Diagnostik, Biotech, weiße Biotech) investiert und klassische Fonds wie TVM oder Wellington zu seinen Partnern zählt.

Zitronen, die zur Limonade werden – können

Prof. Dr. Dirk Honold (TH Nürnberg) und Ulrike Hinrichs (BVK)

Ulrike Hinrichs (BVK) ergänzte das Finanzierungs-Panel mit ihrer mehr als 10-jährigen Expertise als BVK-Geschäftsführerin. „Biotech ist ganz ‚toll‘, wenn es nicht so frustrierend wäre mit der Kohle“, so hatte Hinrichs aus dem Auditorium vernommen. Sie beklagte, dass zu wenig Kapital für zu viele suchende Unternehmen zur Verfügung stünde. Der Exit müsse für VCs wieder attraktiver werden, sowie das derzeit eher in den USA oder Skandinavien der Fall sei. Sie sprach sich auch dafür aus, dass die KfW wieder stärker als Ankerinvestor in den VC-Bereich einsteigt. „Unsere Fonds sind unterkapitalisiert. Wir sind kein Land, das sich positiv zu Kapital verhält. Dennoch: 25 % aller Investitionen in Deutschland erfolgen im Biotech-Bereich“. Die entscheidende Frage sei laut Hinrichs daher: „Wo ist noch Saft in der Zitrone?“, also wo gibt es noch Kapitalressourcen, die man für Biotech mobilisieren kann. Hinrichs schlug vor, Privatinvestoren mehr ‚Anknüpfungsmöglichkeiten‘ an die Biotech zu eröffnen und dazu ‚Kapitalsammelstellen‘ einzurichten.

Ausblick auf die Zukunft

Staffelstabübergabe

Alles in allem: Zwei volle, spannende Tage liegen hinter uns. Erfüllt mit Möglichkeiten, die sich im Biotech-Sektor bieten – manche mögen wie saure Zitronen wirken, doch in ihnen steckt das Potential für erfrischende Limonade.

Wir freuen uns bereits jetzt auf die Deutschen Biotechnologietage am 2025 – diesmal in Heidelberg, mit dem BioRN Life Science Cluster Rhine-Neckar als Gastgeber.

Autor/Autorin

Redaktionsleiter Plattform Life Sciences at GoingPublic Media AG | Website

Urs Moesenfechtel, M.A., ist seit 2021 Redaktionsleiter der GoingPublic Media AG - Plattform Life Sciences und für die Themenfelder Biotechnologie und Bioökonomie zuständig. Zuvor war er u.a. als Wissenschaftsredakteur für mehrere Forschungseinrichtungen tätig.