Bildnachweis: AdriFerrer – stock.adobe.com, BIO Deutschland e.V..

Die Biotechnologieindustrie in Deutschland steckte vor rund 40 Jahren noch in den Kinderschuhen. Der Biotechnologie-Industrieverband BIO Deutschland e.V. erblickte vor 20 Jahren in Berlin das Licht der Welt; gegründet, um die mittlerweile erstarkte Branche zu vertreten.

Viel ist seitdem passiert. Enttäu­schungen und Verbesserungs­potenzial zum Trotz ziehen wir eine positive Bilanz.

Vor 40 Jahren …

Vor 40 Jahren wurde mit QIAGEN das erste, dauerhaft erfolgreiche, deutsche Biotechnologieunternehmen gegründet. Kurz danach kämpfte unter anderem ein grüner hessischer Landesminister dafür, den Betrieb einer gentechnischen Insulinproduktionsanlage von Hoechst zu ver­hindern. Zwischen Antrag und Inbetrieb­nahme der Anlage vergingen damals 14 Jahre. Erst 1990 konnte am Standort Frankfurt das erste gentechnisch herge­stellte Insulin verpackt werden.

V. l.: Pablo Serrano und Peter Heinrich. Die Männer der ersten Stunde von BIO Deutschland bei der Verabschiedung von Ersterem nach abgeschlossener Aufbauarbeit 2012. Copyright Foto: BIO Deutschland e.V.
V. l.: Pablo Serrano und Peter Heinrich. Die Männer der ersten Stunde von BIO Deutschland bei der Verabschiedung von  Ersterem nach abgeschlossener Aufbauarbeit 2012. Copyright Foto: BIO Deutschland e.V.

… und …heute

Die Erinnerung an die für den Biotech­standort Deutschland ausgesprochen nachteilige Ablehnung und Verzögerung wird 2024 schlagartig wach: Denn im Som­mer 2024 war zu lesen, dass sich die hessi­sche Landesregierung erfolgreich bemüht hat, das Unternehmen Sanofi-Aventis (in dem Hoechst aufgegangen ist) davon zu überzeugen, einen weiteren Produktionss­tandort für Gentechnikinsulin in Frankfurt zu etablieren. Diesmal setzten sich sogar der grüne Bundeswirtschaftsminister und der grüne Parteivorsitzende explizit dafür ein. Man reibt sich die Augen und denkt: großartig! Ein ähnlicher Ausdruck der Begeisterung spielte sich auch dieses Jahr beim Spatenstich für einen neuen Eli­Lilly­Produktionsstandort für gentechnisch produzierte Diabeteswirkstoffe in Rhein­land­Pfalz ab. Dafür war sogar der Bun­deskanzler angereist.

Vor 20 Jahren …

Als BIO Deutschland im September vor 20 Jahren in Berlin gegründet wurde, zählte Deutschland weniger als 400 Biotechno­logieunternehmen; viele davon mit Namen, die heute noch resonieren, weil sie entweder sehr groß und sehr erfolg­reich sind, wie die in den 1980er­Jahren gegründeten QIAGEN und Miltenyi Biotec, oder MorphoSys, das gerade für eine Rekordsumme an Novartis verkauft wur­de. Vor der Gründung von BIO Deutsch­land gab es auch schon organisierte Für­sprecher der Biotechnologiebranche, allerdings keine, die sich unabhängig von Traditionsbranchen und akademischen Bedarfen vor allem um die Belange der Biotechfirmen mit ihren verschiedenen Geschäftsmodellen aus der Biotechnologieanwendung kümmerten. Biotechno­logieunternehmen hatten keine eigene Lobby. Die Geschäftsmodelle rangieren von der immer viel beachteten und kapi­talintensivsten Therapieentwicklung über die Entwicklung von Technologieplatt­formen unter anderem für die Impfstoff­herstellung und Diagnostika, Auftrags­forschung und -­produktion bis hin zu biotechnologischen Verfahren für die industrielle Anwendung, für Biokraftstoffe, Lebensmittel, Bioinformatik/KI oder gen­technisch veränderte Pflanzen.

Als BIO Deutschland angetreten ist, um die Lobby der Biotechindustrie zu stär­ken, haben vielerlei Themen das Netzwerk bewegt: Verfügbarkeit von Venture Capital, Verlustvortrag zur Erhaltung von Ressourcen für die Forschung, steuerliche Forschungsförderung, Förderprogramme, Technologietransfer, Start­up-­Förderung, Regulierung und Erstattung im Gesund­heitsbereich, Sichtbarkeit in Politik und Gesellschaft, Vernetzung und vieles mehr.

… und heute

Heute zählen wir rund 1.000 Biotechno­logieunternehmen in Deutschland; die Pharma-­, Chemie-­ und Lebensmittelindus­trie, die auch biotechnologische Anwen­dungen nutzen, nicht eingerechnet. Mit der Anzahl der Unternehmen sind auch Mitarbeiterzahl, Umsatz und Forschungs­- und Entwicklungs-(F&E-)Investitionen der Branche deutlich gewachsen; zwar immer noch klein, verglichen etwa mit der Auto­mobilindustrie, aber mit großem Wachs­tum und noch größerem Wachstums­potenzial und hoch qualifizierten Arbeits­plätzen. Auch BIO Deutschland ist seit der Gründung kräftig gewachsen und kann seine Schlagkraft heute auf rund 400 Mit­glieder stützen, Biotechnologieunterneh­men und deren Geschäftspartner. So ist über zwei Jahrzehnte ein einzigartiges Netzwerk für die Biotechbranche ent­standen.

Die Themen, die unsere Mitglieder heute beschäftigen, sind zum Teil noch die gleichen wie vor 20 Jahren, was aber nicht bedeutet, dass sich nicht vieles zum Positiven gewandelt hätte. Nicht zuletzt dank der Coronapandemie ist die Biotech­nologie als Schlüsseltechnologie jetzt auf dem Radar der Politikerinnen und Poli­tiker. Kommunikation und Arbeit der Verbände sind unverzichtbar, doch sind es die Erfolgsgeschichten aus der Branche, die zuverlässig mehr Öffentlichkeit und Sichtbarkeit garantieren. Erfolgsgeschichten erleichtern es uns Lobby­isten, Themen auf der politischen Agenda zu platzieren. Im Fall der medizinischen Biotechnologie sind wir nach dem erbit­terten Widerstand aus den 1980er­Jahren heute längst im gesellschaftlichen Main­stream angekommen. Erinnern wir uns an die Frage am Abendbrottisch während der Pandemie „Hattest Du nur einen Antigentest oder auch eine PCR?“ Nur noch ganz Hartgesottene plädieren für Insulin aus der Bauchspeicheldrüse von Schweinen oder Rindern.

Peter Altmaier, damaliger Chef des Bundeskanzleramtes, forderte auf dem Forschungsgipfel 2017 eine Biotechnologieagenda. Daraufhin verfasste BIO Deutschland 2018 einen Vorschlag zur Ausgestaltung einer solchen Agenda (https://bit.ly/biodagenda). Dieser wurde jedoch bis heute nicht umgesetzt. Copyright: BIO Deutschland e.V.
Peter Altmaier, damaliger Chef des Bundeskanzleramtes, forderte auf dem Forschungsgipfel 2017 eine Biotechnologieagenda. Daraufhin verfasste BIO Deutschland 2018 einen Vorschlag zur Ausgestaltung einer solchen Agenda. Dieser wurde jedoch bis heute nicht umgesetzt. Copyright: BIO Deutschland e.V.

2020 wurde die steuerliche Forschungszulage eingeführt und 2024 mit dem Wachstumschancengesetz noch einmal verbessert, auch für kleine und mittlere Unternehmen. Für die Biotechnologiebranche wichtige Förderprogramme wur­den über die Jahre aufgelegt, wieder einkassiert, um dann wieder aufgelegt zu werden; zuletzt das beliebte und prestigeträchtige Gründungsförderprogramm GO­Bio, aus dem BioNTech seiner Zeit hervorgegangen war. Die Politik hat ver­standen, dass innovative Technologieunternehmen, allen voran aus der Bio­technologie, lange Entwicklungszeiten haben und große Summen Kapital benöti­gen, vor allem in der Wachstumsphase.

Ob der Zukunftsfonds oder der jüngst angekündigte „HTGF Opportunity Fonds“ einen Unterschied machen, wird sich erst noch zeigen. Ausreichend Anreize, um in Biotechnologie zu investieren, fehlen noch. Nach wie vor dürfen Renten­ und Pensionskassen nur wenig in diese Asset­klasse investieren.

Die Verantwortung, die „Third Mission“ – die Translation in die praktische Anwen­dung – an Hochschulen zu stärken und auszubauen, liegt klar bei den Ländern. Auch hier hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Manche Hochschulen legen heute großen Wert auf die Vermarktung von Erfindungen und haben entsprechende Stellen eingerichtet. Die Hebel des Bun­des, den Technologietransfer zu verbes­sern, wurden und werden nicht von allen gut aufgenommen. Die Agentur für Sprung­innovationen (SPRIND), die geplante Deut­sche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) oder die Start-up Factories aus der Start­up­-Strategie sind umstritten. So zweifeln manche an dem Nutzen von Bun­desagenturen für den Technologietransfer und wünschen sich stattdessen eine Stärkung bewährter Transferstrukturen.

Die Regulierung im Gesundheitswesen spielt sich heute weitgehend auf EU­-Ebene ab. Hier liegen noch viele Stolpersteine für Biotechunternehmen, ob bei der Regis­trierung von klinischen Prüfungen, der Zulassung von Medizinprodukten oder Novel Food. Gut gemeint ist leider oft nicht gut gemacht, oder einfach zu lang­sam. Hoffnungen liegen nun auch auf der Biotech and Biomanufacturing Initiative der EU-­Kommission und dem geplanten Biotech Act 2025.

Auch im Bereich der Bioökonomie hat sich in den letzten Jahrzehnten viel bewegt. Die Bundesregierung hat dazu Strategien auf den Weg gebracht und Förderinstrumente etabliert. Trotzdem hinkt Deutschland bei der Skalierung mithilfe industrieller Pilot­ und Demons­trationsprojekten noch hinterher.

Ausblick

Die Liste der oben angerissenen Themen ist natürlich nicht vollständig. Alles in allem lässt sich aber sagen, dass sich vieles in den letzten Jahrzehnten für unse­re Branche deutlich verbessert hat. Der recht großen Unterstützung in den 1990er­ Jahren mit dem BioRegio­Wettbewerb und ausgewiesenen Fürsprechern der Biotech­nologie in der Politik folgte eine Zeit politischer Zurückhaltung. Heute steht im Koalitionsvertrag, dass Deutschland die Chance hat, zu einem international führenden Biotechnologiestandort zu werden. Das war immer unser Ziel – und wir werden es nicht aus den Augen verlieren.

Autor/Autorin

Dr Viola Bronsema
CEO, Secretary General at BIO Deutschland e.V. | Website

Dr Viola Bronsema is Managing Director of the biotechnology industry association BIO Deutschland e. V. and a member of the German Bioeconomy Council.