Bildnachweis: AdriFerrer – stock.adobe.com, BIO Deutschland e.V..
Die Biotechnologieindustrie in Deutschland steckte vor rund 40 Jahren noch in den Kinderschuhen. Der Biotechnologie-Industrieverband BIO Deutschland e.V. erblickte vor 20 Jahren in Berlin das Licht der Welt; gegründet, um die mittlerweile erstarkte Branche zu vertreten.
Viel ist seitdem passiert. Enttäuschungen und Verbesserungspotenzial zum Trotz ziehen wir eine positive Bilanz.
Vor 40 Jahren …
Vor 40 Jahren wurde mit QIAGEN das erste, dauerhaft erfolgreiche, deutsche Biotechnologieunternehmen gegründet. Kurz danach kämpfte unter anderem ein grüner hessischer Landesminister dafür, den Betrieb einer gentechnischen Insulinproduktionsanlage von Hoechst zu verhindern. Zwischen Antrag und Inbetriebnahme der Anlage vergingen damals 14 Jahre. Erst 1990 konnte am Standort Frankfurt das erste gentechnisch hergestellte Insulin verpackt werden.
… und …heute
Die Erinnerung an die für den Biotechstandort Deutschland ausgesprochen nachteilige Ablehnung und Verzögerung wird 2024 schlagartig wach: Denn im Sommer 2024 war zu lesen, dass sich die hessische Landesregierung erfolgreich bemüht hat, das Unternehmen Sanofi-Aventis (in dem Hoechst aufgegangen ist) davon zu überzeugen, einen weiteren Produktionsstandort für Gentechnikinsulin in Frankfurt zu etablieren. Diesmal setzten sich sogar der grüne Bundeswirtschaftsminister und der grüne Parteivorsitzende explizit dafür ein. Man reibt sich die Augen und denkt: großartig! Ein ähnlicher Ausdruck der Begeisterung spielte sich auch dieses Jahr beim Spatenstich für einen neuen EliLillyProduktionsstandort für gentechnisch produzierte Diabeteswirkstoffe in RheinlandPfalz ab. Dafür war sogar der Bundeskanzler angereist.
Vor 20 Jahren …
Als BIO Deutschland im September vor 20 Jahren in Berlin gegründet wurde, zählte Deutschland weniger als 400 Biotechnologieunternehmen; viele davon mit Namen, die heute noch resonieren, weil sie entweder sehr groß und sehr erfolgreich sind, wie die in den 1980erJahren gegründeten QIAGEN und Miltenyi Biotec, oder MorphoSys, das gerade für eine Rekordsumme an Novartis verkauft wurde. Vor der Gründung von BIO Deutschland gab es auch schon organisierte Fürsprecher der Biotechnologiebranche, allerdings keine, die sich unabhängig von Traditionsbranchen und akademischen Bedarfen vor allem um die Belange der Biotechfirmen mit ihren verschiedenen Geschäftsmodellen aus der Biotechnologieanwendung kümmerten. Biotechnologieunternehmen hatten keine eigene Lobby. Die Geschäftsmodelle rangieren von der immer viel beachteten und kapitalintensivsten Therapieentwicklung über die Entwicklung von Technologieplattformen unter anderem für die Impfstoffherstellung und Diagnostika, Auftragsforschung und -produktion bis hin zu biotechnologischen Verfahren für die industrielle Anwendung, für Biokraftstoffe, Lebensmittel, Bioinformatik/KI oder gentechnisch veränderte Pflanzen.
Als BIO Deutschland angetreten ist, um die Lobby der Biotechindustrie zu stärken, haben vielerlei Themen das Netzwerk bewegt: Verfügbarkeit von Venture Capital, Verlustvortrag zur Erhaltung von Ressourcen für die Forschung, steuerliche Forschungsförderung, Förderprogramme, Technologietransfer, Startup-Förderung, Regulierung und Erstattung im Gesundheitsbereich, Sichtbarkeit in Politik und Gesellschaft, Vernetzung und vieles mehr.
… und heute
Heute zählen wir rund 1.000 Biotechnologieunternehmen in Deutschland; die Pharma-, Chemie- und Lebensmittelindustrie, die auch biotechnologische Anwendungen nutzen, nicht eingerechnet. Mit der Anzahl der Unternehmen sind auch Mitarbeiterzahl, Umsatz und Forschungs- und Entwicklungs-(F&E-)Investitionen der Branche deutlich gewachsen; zwar immer noch klein, verglichen etwa mit der Automobilindustrie, aber mit großem Wachstum und noch größerem Wachstumspotenzial und hoch qualifizierten Arbeitsplätzen. Auch BIO Deutschland ist seit der Gründung kräftig gewachsen und kann seine Schlagkraft heute auf rund 400 Mitglieder stützen, Biotechnologieunternehmen und deren Geschäftspartner. So ist über zwei Jahrzehnte ein einzigartiges Netzwerk für die Biotechbranche entstanden.
Die Themen, die unsere Mitglieder heute beschäftigen, sind zum Teil noch die gleichen wie vor 20 Jahren, was aber nicht bedeutet, dass sich nicht vieles zum Positiven gewandelt hätte. Nicht zuletzt dank der Coronapandemie ist die Biotechnologie als Schlüsseltechnologie jetzt auf dem Radar der Politikerinnen und Politiker. Kommunikation und Arbeit der Verbände sind unverzichtbar, doch sind es die Erfolgsgeschichten aus der Branche, die zuverlässig mehr Öffentlichkeit und Sichtbarkeit garantieren. Erfolgsgeschichten erleichtern es uns Lobbyisten, Themen auf der politischen Agenda zu platzieren. Im Fall der medizinischen Biotechnologie sind wir nach dem erbitterten Widerstand aus den 1980erJahren heute längst im gesellschaftlichen Mainstream angekommen. Erinnern wir uns an die Frage am Abendbrottisch während der Pandemie „Hattest Du nur einen Antigentest oder auch eine PCR?“ Nur noch ganz Hartgesottene plädieren für Insulin aus der Bauchspeicheldrüse von Schweinen oder Rindern.
2020 wurde die steuerliche Forschungszulage eingeführt und 2024 mit dem Wachstumschancengesetz noch einmal verbessert, auch für kleine und mittlere Unternehmen. Für die Biotechnologiebranche wichtige Förderprogramme wurden über die Jahre aufgelegt, wieder einkassiert, um dann wieder aufgelegt zu werden; zuletzt das beliebte und prestigeträchtige Gründungsförderprogramm GOBio, aus dem BioNTech seiner Zeit hervorgegangen war. Die Politik hat verstanden, dass innovative Technologieunternehmen, allen voran aus der Biotechnologie, lange Entwicklungszeiten haben und große Summen Kapital benötigen, vor allem in der Wachstumsphase.
Ob der Zukunftsfonds oder der jüngst angekündigte „HTGF Opportunity Fonds“ einen Unterschied machen, wird sich erst noch zeigen. Ausreichend Anreize, um in Biotechnologie zu investieren, fehlen noch. Nach wie vor dürfen Renten und Pensionskassen nur wenig in diese Assetklasse investieren.
Die Verantwortung, die „Third Mission“ – die Translation in die praktische Anwendung – an Hochschulen zu stärken und auszubauen, liegt klar bei den Ländern. Auch hier hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Manche Hochschulen legen heute großen Wert auf die Vermarktung von Erfindungen und haben entsprechende Stellen eingerichtet. Die Hebel des Bundes, den Technologietransfer zu verbessern, wurden und werden nicht von allen gut aufgenommen. Die Agentur für Sprunginnovationen (SPRIND), die geplante Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) oder die Start-up Factories aus der Startup-Strategie sind umstritten. So zweifeln manche an dem Nutzen von Bundesagenturen für den Technologietransfer und wünschen sich stattdessen eine Stärkung bewährter Transferstrukturen.
Die Regulierung im Gesundheitswesen spielt sich heute weitgehend auf EU-Ebene ab. Hier liegen noch viele Stolpersteine für Biotechunternehmen, ob bei der Registrierung von klinischen Prüfungen, der Zulassung von Medizinprodukten oder Novel Food. Gut gemeint ist leider oft nicht gut gemacht, oder einfach zu langsam. Hoffnungen liegen nun auch auf der Biotech and Biomanufacturing Initiative der EU-Kommission und dem geplanten Biotech Act 2025.
Auch im Bereich der Bioökonomie hat sich in den letzten Jahrzehnten viel bewegt. Die Bundesregierung hat dazu Strategien auf den Weg gebracht und Förderinstrumente etabliert. Trotzdem hinkt Deutschland bei der Skalierung mithilfe industrieller Pilot und Demonstrationsprojekten noch hinterher.
Ausblick
Die Liste der oben angerissenen Themen ist natürlich nicht vollständig. Alles in allem lässt sich aber sagen, dass sich vieles in den letzten Jahrzehnten für unsere Branche deutlich verbessert hat. Der recht großen Unterstützung in den 1990er Jahren mit dem BioRegioWettbewerb und ausgewiesenen Fürsprechern der Biotechnologie in der Politik folgte eine Zeit politischer Zurückhaltung. Heute steht im Koalitionsvertrag, dass Deutschland die Chance hat, zu einem international führenden Biotechnologiestandort zu werden. Das war immer unser Ziel – und wir werden es nicht aus den Augen verlieren.
Autor/Autorin
Dr Viola Bronsema
Dr Viola Bronsema is Managing Director of the biotechnology industry association BIO Deutschland e. V. and a member of the German Bioeconomy Council.