Bildnachweis: Urs Moesenfechtel – GP -PLS, Urs Moesenfechtel, GP-PLS, Carola Graf, biosaxony.
Man hätte sich gut vorstellen können, die Besucher der BIO-Europe 2024 mit ABBAs Hit „Dancing Queen“ zu empfangen – schließlich fand das größte europäische Partnering-Event der Biotech- und Pharmabranche dieses Jahr in Stockholm statt, der Heimatstadt der schwedischen Poplegende. Auch erinnerte das bunte Treiben in der Stockholmsmässan stellenweise wie gewohnt an eine Großraumdisko, und auch die Panel-Titel zitierten Hits der beliebten Band…
Doch so verlockend eine musikalische Hommage an die Leichtigkeit der 70er-Jahre auch gewesen wäre – sie hätte wohl kaum zur Atmosphäre der diesjährigen BIO-Europe gepasst. Schweden und ABBA hin oder her: Die diesjährige „Tanzveranstaltung“ der Branche glich weniger einer ausgelassenen Party Jugendlicher als vielmehr einem vorsichtigen Zusammentreffen älterer Semester: Jeder ist erst einmal zurückhaltend, abwartend. Nachdenkliche Gespräche bestimmen die Runde, bevor sich erst zu späterer Stunde die ersten aus der Deckung wagen und das Tanzbein schwingen. Aber es handelte sich ja schließlich auch um ein dreißigjähriges Jubiläum und keinen 17. Geburtstag.
„Take a Chance on Me“
Vielleicht lag die leicht gedämpfte Stimmung auch daran, dass die üblichen „Queens of the Dance Floor“ diesmal fehlten? Jene, die mit ihrer Energie und Begeisterung jede noch so stockende Veranstaltung zum Leben erwecken? Besonders die sonst so feierfreudigen Gäste aus den USA waren auffällig schwach vertreten. Lag es allein daran, dass die Veranstaltung mit der Wahlwoche in den Vereinigten Staaten zusammenfiel? Oder steckt mehr dahinter? Haben sie das Interesse an ausgelassenen Auftritten auf der europäischen Biotech-Bühne verloren? Ist der europäische Biotech-Club nicht mehr angesagt genug, oder fehlt der Reiz, weil es keine „neue heiße Scheibe“ auf dem Markt gibt? Dafür machten asiatische Unternehmen umso stärker auf sich aufmerksam und nutzten die Bühne, um ihre wachsende Bedeutung zu unterstreichen. Doch ob sie langfristig die altbekannten Partylöwen ersetzen werden, bleibt abzuwarten. Im Großen und Ganzen sangen sich also die Europäer untereinander den Hit „Take a Chance on Me“ ins Ohr.
„Super Trouper, beams are gonna blind me“
Damit die Party dennoch ans Laufen kommt, setzte man auf vertraute und bewährte Partyhit-Klassiker wie Radiopharmazie, verbesserte Wirkstoffforschung mittels KI, ADCs oder GLP-Medikamente. Es wurden also keine „Super Trouper“ auf neue Bühnenstars gerichtet. Dennoch präsentierten viele Unternehmen beeindruckende Technologieplattformen in diesen Feldern. Doch berichteten viele Unternehmen von Finanzierungshorizonten, die nur bis zum Ende des kommenden Jahres reichen. Auch die eher wenigen, anwesenden europäischen Investoren zeigten mäßiges Interesse an frühen, risikoreichen Projekten. Das Hauptinteresse der Investoren galt mehr den großen Pharmaunternehmen, mit denen sie ihre Portfolios abstimmten, die aber eben nicht zahlreich vertreten waren. Bei dieser BIO-Europe standen also sicherlich einige ohne einen passenden Partner am Rand der Tanzfläche. Und hoffentlich erleben nur wenige in Zukunft ihr unternehmerisches „Waterloo“.
„Waterloo, I was defeated, you won the war“
Viele Teilnehmer zögerten, sich zu einer möglichen Wiederwahl von Donald Trump und deren Auswirkungen auf den Biotechnologiesektor zu äußern. Denn wie genau sich die Handelspolitik unter seiner Amtsperiode ändern wird, weiß wohl noch niemand so recht. Wird Europa nun unabhängiger handeln – müssen – und weiter in einer globalisierten Welt agieren – können? Werden bereits angebahnte oder bestehende Kooperationen in der Biotechnologiebranche nun weiterverfolgt werden können, oder müssen Unternehmen aufgrund politischer Entscheidungen der USA neuerliche Umstrukturierungen vornehmen? Man wird sehen.
„Knowing Me, Knowing You“
Die diesjährige BIO-Europe war also kein Ort für ausgelassene Feiern, sondern ein gut organisiertes Event im Stil eines vorsichtig-optimistischen und trotzigen „Knowing Me, Knowing You, there is nothing we can’t do“. Die Veranstaltung aber unterstrich erneut, wie entscheidend Kooperationen für den Erfolg in der Biotechnologie sind – auch wenn größere, richtungsweisende Entscheidungen noch auf sich warten lassen. Europa bleibt selbstverständlich ein bedeutender Akteur auf der globalen Bühne, aber um das volle Potenzial seiner Biotech-Branche zu entfalten, braucht es frischen Wind von neuen „politischen DJs“. Diese sollten mit innovativen Ideen und einer klaren Vision den nötigen Schwung in die „Partycrowd“ bringen. Ob die absehbar neue deutsche Regierung hierfür die richtigen Impulse setzen wird, bleibt abzuwarten. Die Branche befindet sich also wie schon so auf einer Party, bei der man sich permanent die Frage stellt: Bleiben oder gehen? Verpasse ich vielleicht etwas – oder eher nicht?
Mit dem ABBA-Song „Mamma Mia“ im Ohr, voller Herzschmerz um die Zukunft, haben wir die BIO-Europe verlassen. Doch die Hoffnung bleibt, dass sich die Situation bei der nächsten BIO-Europe in Wien vielleicht schon wieder in eine positivere Richtung bewegt – und sich dann alle im Walzer-Schritt wiegen.
Autor/Autorin
Urs Moesenfechtel, M.A., ist seit 2021 Redaktionsleiter der GoingPublic Media AG - Plattform Life Sciences und für die Themenfelder Biotechnologie und Bioökonomie zuständig. Zuvor war er u.a. als Wissenschaftsredakteur für mehrere Forschungseinrichtungen tätig.