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Während Länder wie die USA und China Milliarden in eine „High-Tech-Bioökonomie“ investieren und sie durch kluge Regulierungen und gezielte wirtschaftliche Anreize vorantreiben, hat Deutschland den Anschluss an diese Entwicklungen verloren. Es bräuchte mutige und progressive Strategien und Initiativen, damit Deutschland noch eine Chance hat, wieder eine führende Rolle in diesem Strukturwandel einzunehmen.

 

Das erste Viertel des 21. Jahrhunderts ist von einer Polykrise geprägt, die sich aus Pandemie, Krieg, Ressourcenabhängigkeit und Klimakatastrophe zusammensetzt. Zur Bewältigung der damit einhergehenden Herausforderungen bedarf es eines umfassenden ökonomischen und strukturellen Wandels – hin zu einer nachhaltigen „High-Tech-Bioökonomie“. Diese Weiterentwicklung der Bioökonomie nutzt gezielt die Synergien aus künstlicher Intelligenz (KI), Automatisierung und modernsten biotechnologischen Verfahren, um eine tiefgreifende wirtschaftliche Transformation mit noch höherer Geschwindigkeit als bisherige Bioökonomie-Ansätze das vorsahen, voran zu treiben.

Andere Länder treiben Transformation voran – Deutschland nicht

Andere Länder haben die Dringlichkeit dieser Transformation längst erkannt und investieren massiv in den Ausbau der High-Tech-Bioökonomie. So haben allein die USA unter Biden-Harris erst kürzlich über 3,5 Milliarden Dollar bereitgestellt, um durch gezielte Maßnahmen die Bioproduktionskapazitäten des Landes auszubauen. Die USA treiben beispielsweise durch Programme wie die National Biotechnology and Biomanufacturing-Initiative und BioMADE ihre High-Tech-Bioökonomie gezielt voran. Auch China hat Biotechnologie als eine von sieben strategischen Schlüsseltechnologien definiert und investiert gezielt in sie. Programme wie „Made in China 2025“, „Healthy China 2030“ und der Fünfjahresplan zur Entwicklung der Bioökonomie unterstreichen Chinas ehrgeizige Vision, diese Zukunftstechnologie voran zu treiben. Beide Länder setzen auf einen klaren Technologie-Fokus.

In Deutschland hingegen wurde der Begriff Bioökonomie bis zur Unschärfe verwässert. Es fehlt bisher auch ein klares Bekenntnis und eine konsequente Priorisierung dieser Schlüsseltechnologie. So zeigen auch die Wahlprogramme nahezu aller Parteien zur bevorstehenden Bundestagswahl Ende Februar 2025 deutlich, dass sich die politische Debatte überwiegend mit der Vergangenheit und allenfalls mit der Gegenwart auseinandersetzt. Ohne ein entschlossenes und rasches Handeln – egal von welcher zukünftigen Regierung – droht Deutschland somit in diesem globalen Wettlauf zurückzufallen. Es gibt auch in Deutschland positive Ansätze wie die Gründung der SPRIND vor fünf Jahren und die von ihr initiierte Circular Biomanufacturing Challenge. Hier werden klare Ziele für die High-Tech-Bioökonomie definiert. Doch die Challenge der SPRIND allein, kann den bestehenden Innovationsstau nicht auflösen. Es bedarf deutlich größerer Investitionen und zusätzlicher Initiativen, insbesondere in die kapitalintensive High-Tech-Bioökonomie.

Die angesprochene Biorevolution ist kein Zukunftsschloss, sondern bereits heute Realität!

Der jüngste Chemie-Nobelpreis für die Entwicklung von KI-gestützten Proteindesign-Methoden zeigt eindrucksvoll das enorme Potenzial der Konvergenz von Biologie und KI. Doch während Europa in der Grundlagenforschung und auch im Bereich der Erfindungen noch Weltklasse ist, hinkt der Kontinent bei der Umsetzung in marktfähige Innovationen hinterher. Gerade bei Schlüsseltechnologien wie der Genomeditierung und Biotechnologie fehlt es an einem innovationsfreundlichen Regulierungsrahmen.

Die Herausforderungen sind groß und gerade Deutschland hätte einiges zu tun

Die Potenziale für das Vorantreiben einer High-Tech-Bioökonomie sind in Deutschland grundsätzlich vorhanden, aber sie können nicht genutzt werden, da die ökonomischen Risiken, für die jeweiligen Entrepreneure zu hoch sind. Punktuelle Initiativen zur Verbesserung dieser Situation reichen nicht aus. Es bräuchte eine konstatierte Aktion im Schulterschluss mit der EU, um die politischen, regulatorischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu verbessern. Deutschland könnte dabei innerhalb Europas auch mutig vorangehen, denn gerade mit der produzierenden Industrie, insbesondere im Chemiebereich, hätte sie alle Voraussetzungen dafür, die Transformation voran zu treiben.

Konkret bräuchte die High-Tech-Bioökonomie mehr öffentliche Förderung: flexibel, unbürokratisch und über alle Technology Readiness Levels (TRLs) hinweg. Programme wie SPRIND müssten ausgebaut, bioökonomische Geschäftsmodelle validiert und ein nationales Biomanufacturing-Programm vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) nach dem US-Vorbild BioMADE gestartet werden. Besonders wichtig wäre eine innovationsfreundliche Regulierung und Rechtssicherheit für Schlüsseltechnologien wie Gene Editing und genetisch modifizierte Organismen. Steuerliche Anreize könnten zusätzlich die Transformation beschleunigen und der High-Tech-Bioökonomie ermöglichen, mit der traditionellen chemischen Industrie, die auf 100 Jahre Optimierungshistorie zurückblickt, gleichzuziehen. High-Tech-Bioökonomie steht nicht nur für Nachhaltigkeit, sondern für Zukunftsfähigkeit in einer komplexen Welt.

High-Tech-Bioökonomie fördert Resilienz

Spätestens seit Verteidigungsminister Pistorius von einer „kriegstüchtigen Wirtschaft“ spricht, wird vielen deutlich, wie stark Deutschland von externer Versorgung in essenziellen Bereichen wie Energie, Lebensmitteln und Gesundheit abhängig war und weiterhin ist. Diese Abhängigkeit offenbart nicht nur wirtschaftliche und sicherheitspolitische Schwächen, sondern verdeutlicht auch die Dringlichkeit, eine widerstandsfähigere und unabhängigere Infrastruktur aufzubauen. Auch aus diesem Grund muss an einer zukunftsfähigen High-Tech-Bioökonomie gearbeitet werden, die in all diesen Bereichen Abhängigkeiten reduzieren kann.

In den USA ist das Potenzial der High-Tech-Bioökonomie, insbesondere der synthetischen Biologie und Biomanufakturen, längst erkannt. Organisationen wie DARPA und das Office of Naval Research investieren massiv in den Ausbau dieser Technologien. Zudem widmet sich die Kongressabteilung für Emerging Biotechnology unter der National Security Commission diesem Thema. In Deutschland hingegen wird kaum über den Beitrag der Biotechnologie zur Resilienz und zum Schutz von Sicherheit und nationalen Interessen gesprochen, trotz des Sprechens von einer „kriegstüchtigen Wirtschaft“, die eben nichts anderes ist als eine unabhängige, resiliente Wirtschaft.

High-Tech-Bioökonomie braucht zentrale Steuerung

Um in Deutschland eine High-Tech-Bioökonomie aufzubauen, bräuchte es die Einrichtung einer zentralen Koordinierungsstelle. Ebenso bedürfte es der Neuberufung eines innovations- und wirtschaftsnahen High-Tech-Bioökonomierats. Nur so könnten die verschiedenen, durchaus positiven Initiativen und Maßnahmen der Bundesländer, effektiv gebündelt und gezielt vorangetrieben werden. Nur durch ein holistisches Vorgehen in all diesen Bereichen könnte Deutschland seine Position in der globalen High-Tech-Bioökonomie stärken und die Chancen dieses zukunftsträchtigen Sektors voll ausschöpfen. Es ist dabei weniger Konsens, sondern progressive Initiative gefragt.

Ohne Köpfe, die eine Revolution stemmen, geht es nicht

Für diese Revolution sind Experten mit interdisziplinären Kompetenzen unerlässlich – Fachkräfte, die sowohl in der Biotechnologie als auch im Bereich Wirtschaft ausgebildet sind. Daher ist es entscheidend, die Bildung im Bereich Biobusiness zu fördern. So müssten beispielsweise an Hochschulen spezialisierte und internationale Studiengänge für Wirtschaftsbiotechnologie und Bio-Unternehmertum etabliert werden. Dies würde einem Mangel an sektorspezifischen Businessentwicklern und späteren Geschäftsführern entgegenwirken.

Es braucht entschlossene Maßnahmen für eine neue Gründerzeit

Für neue Unternehmen sind niedrigschwellige Investitionen entscheidend. Nach britischem Vorbild sollten steuerliche Anreize für Angel-Investments geschaffen werden (Enterprise Investment Scheme – EIS). Gleichzeitig bräuchte es nicht nur in Deutschland, sondern in Europa, bessere Wachstumsfinanzierungen für Scale-ups, etwa durch Ansätze wie in Italien, wo Pensionsfonds in Venture-Capital investieren müssen. Deutschland sollte solche Maßnahmen prüfen, um Hightech-Unternehmen zu fördern. Geld allein reicht jedoch nicht: Universitäten treiben Forschung und Erfindungen voran, bremsen aber oft den Markteintritt und somit bei der eigentlichen Innovation. Der Transfer von Forschung in marktfähige Produkte muss verbessert, standardisiert und beschleunigt werden, etwa durch innovative Ansätze wie das SPRIND IP 3.0-Modell.

Fazit: Vom Reden ins Handeln kommen!

Deutschland muss den present bias überwinden, mutig handeln und mit der High-Tech-Bioökonomie als Schlüsselindustrie die Zukunft gestalten, ansonsten verpasst das Land eine wirtschaftliche Revolution. Deutschland, eingebettet in ein progressives Europa, hat das Potenzial die Zukunft zu gestalten.

Spätestens nach der Bundestagswahl sind nun klare Weichenstellungen und eine mutige, progressive Agenda erforderlich, um den Weg zu einer resilienten Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt zu ebnen und deren Potenziale voll auszuschöpfen. Deutschland sollte es wie Brecht halten: Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren.

 

Hinweis: Die Autoren waren an der Erarbeitung relevanter Positionspapiere zur Bioökonomie beteiligt, darunter das Papier „Nachhaltige Bioökonomie jetzt weiterentwickeln!“ und die Positionierung der Bundesagentur für Sprunginnovationen – SPRIND, welche unter folgenden Links ab dem 15. Januar abrufbar sein werden: https://bioeconomy-science-hub.uni-hohenheim.de/ und https://www.sprind.org/. Der Artikel spiegelt die persönliche Meinung der Autoren wider und wurde in keiner Weise mit den ihnen zugeordneten Organisationen abgestimmt. Die dargestellten Ansichten entsprechen nicht notwendigerweise den Positionen dieser Organisationen.

Autor/Autorin

Dr. Nicolas Krink
Dr. Nicolas Krink
CEO und Co-Founder des Spin-Outs BioHalo, Senior Analyst bei der Bundesagentur für Sprunginnovationen – SPRIND at  | Website

Dr. Nicolas Krink ist CEO und Co-Founder des Spin-Outs BioHalo sowie Senior Analyst bei der Bundesagentur für Sprunginnovationen – SPRIND. Er studierte in Freiburg, Stanford, Paris und Berkeley und promovierte am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie sowie am Zentrum für Synthetische Biologie – SYNMIKRO in Marburg. Anschließend wechselte er mit einem Stipendium der Novo Nordisk Foundation an die Dänische Technische Universität (DTU), zunächst als Postdoc und später als Projekt-PI. Dr. Nicolas Krink ist außerdem im Beirat der German Association for Synthetic Biology – GASB e.V. tätig, die er während seiner Promotion gründete und leitete, als auch Existential Hope Fellow beim Foresight Institute.

Johann Liebeton
Johann Liebeton
Business Developer at  | Website

Johann Liebeton ist Business Developer beim Start-up BioHalo in Kopenhagen. Er studierte Biologie an der TU Darmstadt und Bioentrepreneurship in Kopenhagen. Bei BioHalo arbeitet er an der Kommerzialisierung von biobasierten High-Performance-Materialien. Seit 2020 ist er Bioeconomy Youth Champion des International Advisory Council on Global Bioeconomy (IACGB) und Beirat beim VBIO e.V.