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Die Biotechnologiebranche steht vor einem fundamentalen Wandel: Neue Investorengruppen, flexible Modelle und internationale Dynamiken verändern die Spielregeln. Prof. Dr. Ralf Huss, Geschäftsführer von BioM, erklärt im Gespräch, warum Europa mehr Mut braucht, wie Crowdfunding ein Comeback feiern könnte – und was Start-ups heute wirklich weiterbringt. Von Urs Moesenfechtel

 

Plattform Life Sciences: Herr Professor Huss, Sie begleiten die Biotech-/Life-Sciences-Branche bereits seit vielen Jahren. Wie hat sich insbesondere die Investmentlandschaft aus Ihrer Sicht in dieser Zeit verändert?

Prof. Dr. Ralf Huss: Der klassische Finanzierungspfad – vom Business Angel über den Venture Capitalist bis hin zum Exit oder IPO – verliert an Alleinstellung. Heute sehen wir eine deutlich vielfältigere Struktur. Es kommen neue Akteure hinzu, etwa Private-Equity-Gesellschaften, die sich bislang kaum im Biotech-Bereich engagiert haben. Manche kommen über einen Technologiefokus hinein, und nicht mehr zwingend nur über die Medizin- oder Biologie-Seite. Auch Crowdfunding spielt neuerdings wieder eine Rolle.

PLS: Was bedeuten diese Entwicklungen für Unternehmen? 

BayOConnect 2025. Copyright: © BioM / Andreas Schebesta

Huss: Unternehmen müssen zunehmend vielfältigeren Zielsetzungen, Erwartungen und Zeithorizonten, einer wachsenden Zahl an Akteuren gerecht werden und diese miteinander verbinden. Diese Entwicklung verändert grundlegend, wie Unternehmen bewertet und wie ihre Meilensteine gestaltet werden. Es reicht auch nicht mehr aus, sich ausschließlich auf finanzielle Mittel zu stützen; vielmehr gewinnen strategische Partnerschaften und langfristige Planungen an Bedeutung. Allerdings könnte so auch der Druck abnehmen, rasch einen Exit zu erzielen. Und es entsteht auch mehr Raum für nachhaltige Innovationen und den Aufbau robuster Geschäftsmodelle wie in einem klassischen MIttelstand. Diese neue Dynamik verlangt von Unternehmen mehr Flexibilität und eine stärkere Ausrichtung ihrer Strategien auf die langfristigen Interessen der neuen Investorengruppen, über nationale Grenzen hinweg.

PLS: Neue Akteure und Dynamiken, wachsende Komplexität. Ist Deutschland dafür bereit?

Huss: Ich sehe die Lage in Deutschland nicht als grundsätzlich schlecht an. Es gibt genügend innovative Ideen – die Herausforderung liegt aber eben darin, alternative Kapitalquellen gezielter zu erschließen. Klassische Wege wie IPOs sind aktuell ohnehin weltweit schwierig. Doch das Kapital ist da, etwa in großen Töpfen wie Pensionsfonds., denen möglichst stärker als bisher innovationsgetriebene Risikobeteiligungen auch regulatorisch ermöglicht werden sollte. Neue Finanzierungsinstrumente sind hier entscheidend gleichzeitig die Risiken zu streuen oder abfedern. Gleichzeitig benötigen wir eine Mentalität mit Rückschlägen besser umzugehen. In den USA ist „Fail and rise again“ Teil der Innovationskultur – bei uns herrscht da oft noch Zurückhaltung. Gerade für Frühphasenfinanzierung ist dieser Spirit für alle Beteiligten relevant. Grundsätzlich gilt es aber Deutschland nicht isoliert zu betrachten. Eine europäische Perspektive ist entscheidend, wenn wir im globalen Wettbewerb bestehen wollen. Ein rein nationaler oder lokaler Ansatz reicht nicht mehr aus – weder in der Finanzierung noch in der Skalierung innovativer Geschäftsmodelle.

BioM Biotech Cluster Development GmbH ist die zentrale Netzwerkorganisation für die Biotechnologiebranche in Bayern mit Sitz in Martinsried bei München – einem der führenden Biotechnologie-Cluster Europas. Seit über 25 Jahren unterstützt BioM Start-ups und Wachstumsunternehmen aus dem Bereich der Biowissenschaften beim Aufbau, der Finanzierung und der Internationalisierung.

 

A strategic investment deal represented in double exposure, intertwining a handshake with a vibrant financial landscape, dynamic stock analytics flowing, holographic trade. Copyright: LuvTK - stock.adobe.com
Copyright: LuvTK – stock.adobe.com

Es bräuchte daher verstärkt europäische Fonds und Plattformen, die ausreichend Kapital bündeln, internationale Expertise einbinden und grenzüberschreitende Kooperationen ermöglichen. Gerade im Biotechbereich beobachten wir genau das – ein wachsendes Interesse globaler Akteure. Beim letzten IZB-Brunch waren beispielsweise auch Vertreterinnen von Großbanken anwesend. Das verdeutlicht: Der VC-Markt wird noch internationaler und komplexer. Für europäische Akteure liegt darin eine große Chance – wenn wir bereit sind, stärker zusammenzuarbeiten und europäische Lösungen entschlossen voranzutreiben. Europa muss dabei eine eigenständige Rolle finden – nicht als Abbild des US-Markts, sondern als starker, eigenständiger Raum für Innovation. Dazu gehören mutige Gründer, verlässliche Partnerschaften – und flexible Finanzierungsmodelle wie beispielsweise Managed Account-Modelle. Sie erlauben Investoren themenspezifisch und je nach Risikoprofil zu investieren – flexibler als klassische Fonds mit festen Laufzeiten. So könnten breitere Investorengruppen erreicht werden, von institutionellen bis hin zu semi-professionellen Anlegern.

PLS: Als neues Finanzierungsinstrument hatten Sie eben auch das Crowdfunding angesprochen. Das Thema wurde vor knapp zehn Jahren intensiv für Biotech diskutiert, verschwand dann aber wieder weitgehend von der Bildfläche. Sie sehen nun einer Renaissance?

Huss: Vor rund zehn Jahren stieß Crowdfunding im Biotech-Bereich an klare Grenzen. Die damals üblichen Modelle waren schlicht nicht auf die hohen Kapitalbedarfe und langen Entwicklungszyklen forschungsintensiver Unternehmen ausgelegt. Hinzu kam, dass eine Vielzahl an Mikroinvestoren die Struktur des Cap Tables oft unübersichtlich machte – was wiederum Folgeinvestitionen durch institutionelle Partner erschwerte. Heute sehen wir jedoch neue Ansätze: Plattformen arbeiten zunehmend mit gebündelten Investorenvehikeln, die dieses Problem umgehen. In den USA gewinnt Crowdfunding im Biotech-Sektor dadurch bereits wieder an Relevanz – in Deutschland hingegen stehen wir noch am Anfang dieser Entwicklung. Bei BioM beobachten wir die Dynamik aufmerksam.

Crowdfunding word cloud. Copyright: ibreakstock - stock.adobe.com
Crowdfunding word cloud. Copyright: ibreakstock – stock.adobe.com

Wir sehen insbesondere Potenzial in Bereichen, die eine hohe gesellschaftliche Relevanz und emotionale Strahlkraft haben – etwa personalisierte Medizin, Bioökonomie oder Umwelttechnologien. Crowdfunding kann dort eine sinnvolle Ergänzung klassischer Finanzierungsformen sein – etwa in der Frühphase oder als Brückenfinanzierung. Zusätzlich können Unternehmen über Crowdfunding-Kampagnen Sichtbarkeit erzielen, eine engagierte Community aufbauen und spezialisierte Investorenkreise aktivieren. Als alleinige Finanzierungsquelle für klassische Biotech-Modelle bleibt Crowdfunding aber aus unserer Sicht weiterhin schwierig. Dafür sind die Anforderungen an Kapital, Geduld und Expertise einfach zu hoch.

PLS: Welche Lösungen bietet BioM an, damit sich Unternehmen wie Investoren in dieser zunehmend komplexeren Landschaft zurechtfinden können?

Huss: BioM versteht sich als Plattform und aktiver Gestalter eines zunehmend vielfältigen Innovations- und Investorenökosystems. Unser Ziel ist es, Orientierung zu geben und gezielt Brücken zwischen den relevanten Akteuren zu schlagen. Mit unserer Veranstaltungsreihe MAxL meets the money bringen wir Gründerinnen und Gründer in unserem MAxL Inkubator mit unterschiedlichsten Investoren zusammen – von klassischen VCs über Corporates bis hin zu Family Offices. Unser BayOConnectEvent vernetzt darüber hinaus Wissenschaft, Start-ups, Kapitalgebende und weitere Stakeholder – in offenen wie geschlossenen Formaten. Ein Beispiel für unsere Weiterentwicklung ist die Umgestaltung unseres Matchmaking-Formats von BioAngels zu „BioInvestors“. Damit sprechen wir gezielt auch Investoren und Unternehmen aus dem Tech-Bereich an. Denn gerade dort entstehen derzeit enorme Synergien mit der Biotechnologie – auf Produkt- wie auf Prozessebene. Die Innovationskulturen aus „Bio“ und „Tech“ befruchten sich gegenseitig: mehr privates Kapital, höhere Risikoaffinität, ein konstruktiverer Umgang mit Rückschlägen. BioInvestors greift diese Dynamik auf und verstärkt sie gezielt

PLS: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Urs Moesenfechtel.

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Autor/Autorin

Redaktionsleiter Plattform Life Sciences at  | Website

Urs Moesenfechtel, M.A., ist seit 2021 Redaktionsleiter der GoingPublic Media AG - Plattform Life Sciences und für die Themenfelder Biotechnologie und Bioökonomie zuständig. Zuvor war er u.a. als Wissenschaftsredakteur für mehrere Forschungseinrichtungen tätig.