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Die multiplen Krisen der letzten Jahre haben die Themen Klima- und Ressourcenschutz in den Hintergrund gedrängt. Dabei sind die Eindämmung der Erderwärmung, der Naturschutz und der Erhalt der Biodiversität nach wie vor unabdingbar als Lebensgrundlage für jetzige und folgende Generationen. Dies muss gelingen, ohne die Industrie auszubremsen und das Wirtschaftswachstum zum Erliegen zu bringen. Die Biotechnologie kann einen wichtigen Beitrag leisten, um die Wirtschaft zu transformieren und zu „biologisieren“. Als Plattformtechnologie vereint sie Ingenieurskunst und Biologie im industriellen Maßstab. Dafür braucht es aber die entsprechenden Rahmenbedingungen. Von Dr. Viola Bronsema

Allein mit erneuerbaren Energien oder klimaneutralem Wasserstoff wird es nicht gelingen, Deutschland unabhängiger von Öl und Gas zu machen und die Transformation zu einem treibhausgasneutralen Deutschland zu verwirklichen. Um dieses Ziel zu erreichen, sind der Einsatz nachwachsender Rohstoffe ohne Überbelastung der Agrarflächen, die ressourcen- und energieeffizientere Rohstoffnutzung durch Biotechnologie und die Anpassung bestehender Geschäftsmodelle erforderlich. Mithilfe der Biotechnologie kann die Versorgung mit Industriegütern, Energie und die Ernährungssicherheit verbessert und der ökologische Fußabdruck verringert werden. Nur so kann die Transformation in eine biobasierte, nachhaltige Wirtschaftsweise – eine Bioökonomie – gelingen.
Transformation als Lösung
Unternehmer der Biotechnologie entwickeln eine Vielzahl von Technologien, Prozesse und Produkte, z.B. Bioethanol aus Restoffen oder biobasierte Chemikalien und Spezialitäten, die den CO2-Ausstoß und das Abfallaufkommen reduzieren können. Unter den jetzigen Rahmenbedingungen erreicht die biotechnologische Forschungs- und Entwicklungsarbeit (F&E) deutscher Bioökonomieunternehmen aber immer noch nur schwer den Markt. Ergebnisse werden, wenn überhaupt, in anderen Teilen der Welt tatsächlich genutzt, wo günstigere Rahmenbedingungen und Regulierungen existieren. Deutschland und die EU befassen sich allerdings bereits sehr lange mit der Frage, wie eine Bioökonomie Realität werden kann.
Strategien und Gremien
Seit der ersten „Nationalen Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030“ von 2010 wurden von der Bundesregierung noch zwei weitere Bioökonomiestrategien aufgelegt (2013: Nationale Politikstrategie Bioökonomie; 2020: Nationale Bioökonomiestrategie). Auch auf EU-Ebene ist die Bioökonomie schon seit Langem ein Thema; aktuell wird an einer neuen EU-Bioökonomiestrategie gearbeitet. Die erste stammt von 2012 und wurde 2018 aktualisiert. Auch auf föderaler Ebene haben die Länder unterschiedliche politische Strategien und Fördermaßnahmen entwickelt.
Die Notwendigkeit einer Umstellung unseres Wirtschaftens auf biobasierte und nachhaltige Verfahren und Prozesse ist also hinlänglich erkannt. Der Bioökonomierat stand der Bundesregierung von 2009 bis 2023 mit Expertenwissen zur Seite. 2018 folgten zudem viele Stakeholder dem Aufruf des damaligen Wirtschaftsministers Peter Altmaier und bündelten ihr Know-how in der Dialogplattform Industrielle Bioökonomie. Ihre Empfehlungen befassten sich unter anderem mit Finanzierung, Skalierung und Rohstoffen.
Ein Ergebnis davon ist beispielsweise das Förderprogramm „Industrielle Bioökonomie“ des Bundeswirtschaftsministeriums. Die Dialogplattform fokussiert aktuell Handlungsempfehlungen zu Themen wie dem Emmissionshandelssystem, der Gesetzgebung zu gentechnisch veränderten Organismen (GVO) oder einem anvisierten „Important Project of common European Interest (IPCEI)“ Biotechnologie. Auch SPRIND, die Bundesagentur für Sprunginnovationen, hat ein Positionspapier zur Bioökonomie veröffentlicht und dort den Begriff „Hightech-Bioökonomie“ eingeführt mit Fokus auf die Biotechnologie. Die Arbeitsgruppe Industrielle Bioökonomie von BIO Deutschland hat sich ebenso intensiv damit beschäftigt, wie Bioökonomie und Kreislaufwirtschaft mithilfe der Biotechnologie gelingen können. Über die vergangenen Jahre ist also erhebliche Expertise in die Ausarbeitung von Vorschlägen und Handlungsempfehlungen geflossen, von denen einige im Folgenden aufgeführt sind.
- Der Vergleich von biobasierten mit traditionellen Produkten und Verfahren sollte unter Einbeziehung aller Kosten erfolgen. Dabei muss auch der ökologische Fußabdruck eines Produkts berücksichtigen werden, um die Vorteile innovativer Technologien sichtbar zu machen.
- Biotechnologische Innovationen müssen durch klare Rahmenbedingungen für neue Technologien gefördert werden. Hierzu zählt eine konsequente Überarbeitung aller auf nationaler und EU-Ebene bestehenden Gesetze und Richtlinien, die für biotechnologische Herstellprozesse und Produkte relevant sind. Der angekündigte EU Biotech Act sollte hier wichtige Erleichterungen schaffen – ebenso eine Anpassung diverser EU-Gentechnikrichtlinien für Pflanzen und Mikroorganismen, die nicht mehr dem Stand der Wissenschaft entsprechen. Auch Zulassungsprozesse, z.B. für Novel Food, müssen transparenter gestaltet und beschleunigt werden.
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Foto: © hkama – stock.adobe.com Die Umsetzung bioökonomischer Ansätze in der Industrie muss unterstützt werden. Hierfür ist die langfristige Förderung vorwettbewerblicher Pilotanlagen und Prototypentwicklungen erforderlich.
- Es bedarf einer massiven Unterstützung sowohl bei der Entwicklung neuer Herstellverfahren von biotechnologischen Produkten und Vorprodukten als auch beim Aufbau der dafür erforderlichen Wertschöpfungsketten: vom biobasierten Rohstoff aus der Land- oder Forstwirtschaft über die chemische oder biotechnologische Produktion bis hin zur Verarbeitung zu den Endprodukten. Hierfür ist auch das geforderte IPCEI Biotechnologie wichtig.
- Der Markteintritt für biobasierte Produkte sollte durch Beimischungsquoten und Materialvorgaben sowie höhere Abgaben auf die Emission von CO2 erleichtert werden.
- Gesetzliche Möglichkeiten für deutsche bzw. europäische Kapitalsammelstellen müssen geschaffen werden, um in Chancenkapital zu investieren. Außerdem brauchen wir steuerliche Anreize insbesondere für Privatinvestoren, wenn sie in die Anlageklasse Chancenkapital investieren.
- In Deutschland wird Nachhaltigkeit mittlerweile ganz wesentlich mit dem Begriff Biomasse in Verbindung gebracht und nicht mit technologischen bzw. biotechnologischen Lösungen. Daher ist ein klares Bekenntnis der Bundesregierung zur zentralen Bedeutung der Biotechnologie bei der Umsetzung der Bioökonomiestrategien nötig – auch im Hinblick auf Themen wie Schonung von Anbauflächen.
- Bei der Umsetzung von Bioökonomiestrategien spielt der Wunsch der Bevölkerung, nachhaltige biobasierte Produkte zu nutzen, eine entscheidende Rolle. Die Unterstützung von Öffentlichkeitsarbeit und des Dialogs mit der Gesellschaft und ein klares Bekenntnis zur transparenten Darstellung von innovativen Technologien und Produkten ist daher unabdingbar.
- Reallabore für biotechnologische Produkte und Prozesse, z.B. für die Verkostung von biotechnologischen Nahrungsmitteln aus dem Novel-Food-Bereich müssen ermöglicht werden, um die Einführung nachhaltiger Alternativen zu Lebensmitteln auf Basis von Nutztieren zu beschleunigen.
Jetzt den Wendepunkt nutzen
Der schwarz-rote Koalitionsvertrag und die Hightech Agenda 2025 räumen der Biotechnologie als Schlüsseltechnologie Priorität ein, und zwar nicht nur in der Medizin, sondern auch mit Blick auf Ernährung, Klima- und Ressourcenschutz. Dieses Momentum müssen wir jetzt nutzen, um endlich Rahmenbedingungen zu schaffen, die es neuen nachhaltigen Technologien hierzulande ermöglichen, den Markt auch zu erreichen.
Autor/Autorin

Dr Viola Bronsema
Dr. Viola Bronsema ist Geschäftsführerin des BIO Deutschland e.V.





