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Die Digitalisierung hielt schon vor Corona zunehmend Einzug in die Gesundheitsversorgung – ob Prävention, Diagnostik oder Therapie. Durch die Pandemie hat sie aber noch einmal einen enormen Schub erlangt. Das Gesundheitswesen wird sich nachhaltig verändern. Prävention und Diagnose gewinnen an Bedeutung.

 

Die Studie „Future of Health 2 – The rise of healthcare platforms“[1] von Roland Berger beziffert das Marktvolumen für den digitalen Gesundheitsmarkt in Europa auf 232 Mrd. EUR bis ins Jahr 2025. Für Deutschland liegt die Prognose bei 57 Mrd. EUR. Demnach habe allein die Corona-Pandemie für einen Wachstumsschub von 50 Prozent gesorgt.

Im Markt selbst treffen große Technologie-Konzerne, diese im Besitz riesiger Datenmengen, auf kleinere, spezialisiertere Anbieter bestimmter Applikationen. Die Pandemie habe beispielsweise Vorbehalte gegenüber telemedizinischen Anwendungen abgebaut und dafür gesorgt, dass Patienten mit Vorerkrankungen vor allem kleinen und mittleren Plattformanbietern mehr Vertrauen entgegenbringen. Große Chancen ergeben sich für Dienstleister, die reale mit virtuellen Dienstleistungen kombinieren können. Mit anderen Worten: Ambulante Dienstleister müssen sich an diese Plattformmodelle anpassen. Andernfalls drohen sie, aus dem Markt gedrängt zu werden.

Digitalisierung: Ein neues Ökosystem entsteht

Die Digitalisierung hat zweifelsohne Auswirkungen auf alle Bereiche des Gesundheitswesens, also auf Patienten, Mediziner, Krankenkassen und die Pharma- (und Biotech-)Branche selbst. Es entsteht ein neues Start-up-Ökosystem, dessen Player sich untereinander zunehmend vernetzen. Zugleich kommen neue Stakeholder in den Kreis, deren Berührungspunkte mit dem Gesundheitswesen oder den Lebenswissenschaften allgemein eher marginal oder kaum vorhanden waren. Dies betrifft beispielsweise auch Investoren, wenn sich Kaptalgeber aus dem Hightech-Bereich im Zuge digitaler Innovationen in Biotech-Investments engagieren oder wohlhabende Family Offices aus klassischen Industriezweigen in Medtech-Finanzierungsrunden tummeln.

Nicht nur Daten sammeln

Dabei sind die Einsatzgebiete äußerst vielfältig: Plattformen unterschiedlichster Ausrichtung helfen schon heute ganz selbstverständlich bei der Suche nach dem richtigen Arzt oder informieren über die richtigen Therapieangebote. Immer häufiger kommen dabei Künstliche Intelligenz oder Machine Learning zum Einsatz. Die Digitalisierung erleichtert nicht nur Diagnostik- und Therapie, sie stellt auch die Kommunikation zwischen Arzt, Patient und Kassen auf ein neues Niveau. Versorgungslücken mangels personeller Ressourcen können überbrückt werden. Zudem kann der Patient viel einfacher seine Gesundheit kontrollieren.

Eine wesentliche Folge der Digitalisierung ist die Sammlung riesiger Datenmengen. Doch entscheidend ist nicht nur das Sammeln von Daten, sondern auch deren Auswertung und zielgerichtete Nutzung. Die Data-Driven-E-Health, die effiziente Nutzung von Daten, beruht ganz wesentlich auf dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Laut der Studie von Robert Berger können bis zu 20 Prozent aller derzeitigen medizinischen Dienstleistungen durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz ersetzt werden.

Künstliche Intelligenz findet ihren Weg zunehmend bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe sowie bei der Auswertung und Nutzung gesundheitsbezogener Daten und im Rahmen von digitalen Technologien bei Fertigungsprozessen und Zulassung der Arzneimittel beziehungsweise klinischen Studien. In der Pflege beispielsweise verhindert der Einsatz von KI das Wundliegen von Patienten durch intelligente Sensorsysteme. Diese sorgen auch für regelmäßige Windelwechsel oder Essenszeiten. Intelligente Spracherkennungs-Software erleichtert dem Arzt die Dokumentation, in dem das gesprochene Wort direkt in eine Textdatei umgewandelt wird.

Wearables sind erwachsen geworden

Nicht erst, aber vor allem durch Corona hat die Telemedizin erheblich an Bedeutung gewonnen. Laut des „McKinsey E-Health Monitors 2020“[2] boten im Frühjahr 2020 bereits 52 Prozent aller niedergelassener Ärzte in Deutschland Video-Sprechstunden an. Drei Jahre zuvor waren es gerade einmal zwei Prozent. Dazu kamen allein im ersten Quartal 2020 rund 2 Mio. Downloads von Gesundheits-Apps – ein Anstieg um 100 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Einführung eines flächendeckenden 5G-Netzes und damit eines neuen Mobilfunkstandards könnte der Telemedizin einen weiteren Schub verschaffen.

Parallel haben Wearables ihren Ausgangstatus als „Fitness-App“ längst verlassen. Im Gegenteil, sie sind dabei, im Gesundheitswesen eine gewichtige Rolle zu übernehmen. So können Herz-Rhythmus-Störungen oder nächtliche Atemaussetzer frühzeitig erkannt und direkt an den behandelnden Arzt übermittelt werden. Gesundheitsdaten können aus der Entfernung überwacht werden und personalisierte Behandlungsstrategien frühzeitig und personalisiert entworfen werden.

Freilich: Die gewonnenen Daten müssen jederzeit sicher verwahrt werden. Denn das Thema „Datenschutz“ genießt in Deutschland einen hohen Stellenwert. Von Industrieexperten wird genau hier allerdings ein möglicher Hemmschuh auf dem Weg weiterer Innovationen gesehen – noch immer.

Ein wesentliches Merkmal des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz in der Gesundheitsversorgung (und mit ihr der Digitalisierung allgemein) ist der Wandel von einem reaktiven zu einem proaktiven System. Daten werden nicht mehr nur gesammelt und ausgewertet um Krankheiten zu bekämpfen, sondern um sie von vornherein zu verhindern. Dieser Wandel kann auch Auswirkungen auf die Aus- und Weiterbildung von Ärzten und Pflegepersonal nach sich ziehen. Zwar wird die Bekämpfung von Krankheiten jeglicher Art auf absehbare Zeit der Schwerpunkt eines jeden Mediziners bleiben. Und doch kann Digitalisierung im Gesundheitswesen künftig dazu führen, dass der frühzeitigen Analyse komplexer personenbezogener Daten und damit der frühzeitigen Erkennung von Gefährdung durch Erkrankung ein höheres Maß in der medizinischen Arbeit zugemessen wird, als jemals zuvor.

[1] https://www.rolandberger.com/de/Media/Digitaler-Gesundheitsmarkt-in-Europa-soll-bis-2025-auf-232-Milliarden-Euro.html

[2] https://www.mckinsey.de/~/media/mckinsey/locations/europe%20and%20middle%20east/deutschland/news/presse/2020/2020-11-12%20ehealth%20monitor/ehealth%20monitor%202020.pdf

Autor/Autorin

Holger Garbs ist seit 2008 als Redakteur für die GoingPublic Media AG tätig. Er schreibt für die Plattform Life Sciences und die Unternehmeredition.