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Die virtuelle Hauptversammlung wurde erfreulicherweise in der Dauergesetzgebung verankert, gewissermaßen als eine Version 2.0 nach der Notgesetzgebung aus der Corona-Pandemie. Damit stehen die Unternehmen vor der freien Entscheidung, ob sie ihre Hauptversammlung virtuell oder in Präsenz abhalten werden. Fällt die Wahl auf eine virtuelle HV, bestehen für die Emittenten auch keinerlei Rechtferigungs- oder Begründungspflichten mehr.

Diesen Artikel finden Sie im HV-Magazin, Ausgabe 03-2022 – JETZT KOSTENFREI DOWNLOADEN!

Zahlreiche juristische Kommentare bewerten die Gesetzesänderung zur dauerhaften Ermöglichung der virtuellen HV eher als ­verpasste Chance und vermissen eine ­umfassende Aktienrechtsnovelle. Die Gesetzesänderung zur neuen virtuellen HV 2.0 ist eindeutig geprägt vom Leitbild einer Eins-zu-eins-Überführung der Präsenz-HV mit all ihren Defiziten in ein virtuelles ­Format. Wir wollen mit diesem Artikel eine Lanze für das neue Format brechen.

Stärken und Schwächen der Präsenz-HV übernommen

Die Rechte der Aktionäre werden im Gegensatz zur virtuellen HV der Notgesetzgebung nicht mehr eingeschränkt. Aktionäre haben in der virtuellen HV 2.0 grundsätzlich dieselben Rechte wie in einer Präsenz-HV. Die Stärken und Schwächen der Präsenz-HV wurden vollständig in die virtuelle HV überführt.

Durch die nun verbindlich festgeschriebene Gewährung der Möglichkeit der Vorabeinreichung von Stellungnahmen und die aus der Notgesetzgebung übernommene Antragsfiktion, wonach fristgerecht eingereichte und zugänglich zu machende Anträge und Wahlvorschläge als im Zeitpunkt der Zugänglichmachung als gestellt gelten, haben Aktionäre im virtuellen Format sogar ein Mehr an Rechten.

Ergebnisse einer Blitzumfrage, Quelle: Better Orange

Wesentliche Argumente für eine virtuelle HV

1. Reichweite
Das positive Resümee aus drei Jahren ­virtueller HV: An der virtuellen HV nehmen wesentlich mehr Aktionäre mit einem qualifizierten Interesse an der Gesellschaft ­aktiv teil.

2. ESG/Nachhaltigkeitsdebatte
Das Thema Nachhaltigkeit rückt in den Vordergrund der Debatten, denen sich Unternehmen im Dialog mit Investoren und in der kommenden Hauptversammlung stellen müssen. Neben den bekannten Punkten wird sicherlich der CO2-Fußabdruck einer Hauptversammlung relevant. Bei gleichen Rechten in Präsenz und im virtuellen Format stellt sich die Frage, wie die negative Ökobilanz der zur Anreise zu einer Präsenz-HV gezwungenen Aktionäre noch gerechtfertigt werden kann, die ihre Rechte schließlich auch vom Büroschreibtisch oder dem Sofa daheim vollumfänglich hätten wahrnehmen können.

Lesen Sie hier „Ein Plädoyer für die Präsenz-Hauptversammlung“ von Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz.

3. Fragerechte
a. Die Option der verpflichtenden Vorabeinreichung von Fragen bis drei Tage vor der HV werden im gesetzlich vorgegebenen Rahmen wohl nur wenige Unternehmen wählen – zu aufwendig und damit kostenintensiv sind die vom Gesetzgeber festgeschriebenen Folgeverpflichtungen, wie die Vorabveröffentlichung des Berichts des Vorstands sowie der schriftlich beantworteten Fragen vor der HV. Lieber ein intensiver HV-Tag mit ad hoc zu beantwortenden Fragen als ein mehrtägiger Prozess zur Beantwortung von Vorabfragen und zusätzlich die Beantwortung von Nachfragen in der HV selbst.

b. Fragen während der HV müssen in irgendeiner Form aus dem Wortbeitrag des Aktionärs extrahiert und in das Q&A-System aufgenommen werden. Da nur noch wenige Stenografen verfügbar sind, wird die Fragenerfassung häufig durch ein Erfassungsteam erfolgen müssen. Dies haben Präsenz-HV und virtuelle HV gemein. Die bei einer virtuellen HV demgegenüber verfügbaren Softwarelösungen zur Übersetzung von Sprache in Text sind meist für die englische Sprache optimiert und haben – neben allen ggf. vorhandenen Datenschutz­problematiken – noch Schwierigkeiten mit deutschen Dialekten und Spezialausdrücken. Wir bewerten diese daher zum jetzigen Zeitpunkt als ungeeignet. Für kleine bis mittelgroße unkritische Hauptversammlungen bietet es sich daher an, zumindest nicht von Anfang an von der gesetzlichen Möglichkeit Gebrauch zu machen, dass der Versammlungsleiter die Frageneinreichung auf den Weg der Videokommunikation beschränkt. Dann wird die elektronische Frageneinreichung ab Beginn der HV über ein Textfeld im Portal nach dem Login ermöglicht. Der Versammlungsleiter sollte darum bitten, die Fragen auf schriftlichem Weg einzureichen. Zusätzlich können diese Fragen auf Wunsch auch noch verbal im Video­beitrag gestellt werden. Dann sollte deutlich gemacht werden, welche Fragen ggf. neu gestellt werden, also noch nicht per Textfeld eingereicht wurden. Bei ­einer übergroßen Zahl an Frageneinreichungen kann der Versammlungsleiter diese Möglichkeit jederzeit beenden und das Textfeld wird sofort abgeschaltet. Dies ist aber beim Großteil der Hauptversammlungen nicht zu erwarten. So kann ausschließlich bei der virtuellen HV die Fragenerfassungsproblematik entschärft werden.

c. Erste Unternehmen denken darüber nach, auf freiwilliger Basis eine schriftliche Vorabfrageneinreichung zu ermöglichen. Diese Fragen werden dann in die HV eingebracht, ohne dass dies die im Gesetz vorgesehenen aufwands- und damit kostenintensiven Folgeverpflichtungen für Unternehmen hat. Ob dieser Ansatz die Lösung für die Entzerrung der Fragen­thematik in der HV sein wird, bleibt abzuwarten. Interessant ist der Ansatz auf jeden Fall.

Fazit

Bei den befragten Unternehmen besteht Offenheit und ein großes Interesse an der virtuellen HV 2.0. Gute Argumente sprechen dafür, die HV virtuell durchzuführen. Wir sind gespannt, wie die finalen Entscheidungen ausfallen werden, und sind auf alle Formate vorbereitet.

www.better-orange.de

Autor/Autorin

Torsten Fues

Torsten Fues ist Vorstand bei der Better Orange IR & HV AG.

Thomas Wagner

Thomas Wagner ist Vorstandsmitglied bei der Better Orange IR & HV AG.