Pflichten zur Festlegung von Zielgrößen
Jedes börsennotierte oder mitbestimmte Unternehmen wird jedoch von der zweiten Säule an Regelungen betroffen sein. Danach sind die Unternehmensorgane verpflichtet, Zielgrößen für den Frauenanteil und darauf bezogene Erreichensfristen festzulegen. Diese sind erstmals bis zum 30. September 2015 zu erfüllen. Dabei dürfen die ersten Erreichensfristen nicht länger laufen als bis zum 30. Juni 2017.

Während der Bezugspunkt der Zielgrößen für den Vorstand und den Aufsichtsrat, nämlich die jeweilige Mitgliederzahl, eindeutig zu bestimmen ist, bereitet die Festlegung der Führungsebenen unterhalb des Vorstands in der Praxis erhebliche Mühen. Die Unternehmen müssen in eigener Verantwortung definieren, welche ihrer Mitarbeiter zu diesen Führungsebenen zählen, und tragen damit auch das Risiko, die Führungsebenen fehlerhaft zu bestimmen. Die Führungsebenen sollen sich nach Ansicht des Gesetzgebers auf die einzelnen betroffenen Gesellschaften beziehen. Damit erschwert man die Festsetzung in Konzernen zusätzlich, da die Berichtslinien dort oft über die Konzerngesellschaften hinweg verlaufen. Richtigerweise wird man dem Vorstand bei diesen Entscheidungen ein Ermessen zukommen lassen müssen.

Was die Höhe der Zielgrößen angeht, lässt das Gesetz den Organen viel Spielraum. Es ist allerdings ein Verschlechterungsverbot zu beachten, wonach die Zielgrößen den aktuellen Frauenanteil nicht unterschreiten dürfen, wenn dieser unter 30% liegt. Zulässig ist es jedoch durchweg, die Beibehaltung des Status quo (auch wenn dies eine Zielgröße von 0% bedeutet) anzustreben. Das Gesetz verzichtet bewusst darauf, strenge Kontrollmechanismen vorzusehen, um keine Anreize zur Festsetzung besonders niedriger Zielgrößen zu schaffen. So besteht lediglich eine nachgelagerte Veröffentlichungspflicht (auch für das Nichterreichen nach Ablauf der selbst gesetzten Frist) in der Erklärung zur Unternehmensführung, die Teil des Lageberichts für das abgelaufene Geschäftsjahr ist. Erstmals sind diese Angaben für Geschäftsjahre mit einem Abschlussstichtag nach dem 30. September 2015 zu machen.

Dr. Stephan Schulz
Dr. Stephan Schulz

Fazit
In der laufenden Hauptversammlungssaison sollten Unternehmen darauf vorbereitet sein, auf Fragen zur geplanten Umsetzung der Regelungen zur Frauenförderung zu antworten. Betroffene Gesellschaften sollten bereits frühzeitig mit der Nachfolgeplanung für ab 2016 ausscheidende Aufsichtsratsmitglieder beginnen. Viele Unternehmen berichten bereits über Schwierigkeiten, kurzfristig geeignete Kandidatinnen zu finden. Auch die Festsetzung der Zielgrößen muss sorgfältig vorbereitet werden.

Dr. Stephan Schulz ist Rechtsanwalt und Partner im Frankfurter Büro der Wirtschaftskanzlei Noerr. Der Experte für Aktien- und Kapitalmarktrecht berät börsennotierte Unternehmen, ihre Organmitglieder und Investoren, insbesondere im Zusammenhang mit Aktienemissionen, öffentlichen Übernahmen und finanziellen Restrukturierungen. Schulz ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zu aktien- und kapitalmarktrechtlichen Fragen.

Der Artikel erschient zuerst im GoingPublic Magazin Special Kapitalmarktrecht 2015

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