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Die Hauptversammlungssaison 2023 wird für Unternehmen eine besondere – denn nach der jüngsten Änderung des Aktiengesetzes stehen erstmals diverse Varianten der Durchführung der Hauptversammlung zur Wahl. Ein Überblick.

Bei der Planung zur HV 2023 geht es nicht nur darum, über die eigentliche Form der Durchführung, also virtuell, präsent oder hybrid zu entscheiden, sondern auch um diverse Detailfragen, wie etwa die Möglichkeit zur Fragestellung bereits im Vorfeld oder nur während der Hauptversammlung.

Die Gesetzeslage

Auf Grundlage des kürzlich in Kraft getretenen „Gesetzes zur zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und Änderung weiterer Vorschriften“ kann die HV natürlich wie vor der Pandemie auch als reine Präsenzveranstaltung abgehalten werden. Daneben besteht nunmehr auch abseits der COVID-19-Gesetzgebung, die bis Ende August dieses Jahres galt, die Möglichkeit, Hauptversammlungen in rein virtueller Form durchzuführen. Dabei gibt es zwei wichtige Untervarianten, nämlich je nach der Entscheidung, Aktionärsfragen grundsätzlich nur im Vorfeld der HV (dazu sogleich) oder auch während der Hauptversammlung zuzulassen. Zudem besteht nunmehr auch die Möglichkeit, Präsenzhauptversammlungen und virtuelle HV als hybride Hauptversammlung zu kombinieren. Welche Variante für das Unternehmen vorzugswürdig ist, hängt von den individuellen Umständen und nicht zuletzt auch von der aktuellen Entwicklung der COVID-19-Pandemie ab. Die Entscheidung über das Hauptversammlungsformat bedarf daher einer sorgfältigen Abwägung, bei welcher die jeweiligen Umstände wie etwa die Unternehmensgröße und die Aktionärsstruktur angemessen zu berücksichtigen sind.

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Drei HV-Varianten

Die letzten drei Jahre waren von der COVID-19-Pandemie derart geprägt, dass Präsenzveranstaltungen, jedenfalls bei Publikumsgesellschaften, fast nicht durchführbar waren. Für die kommende HV-Saison besteht vonseiten der Unternehmen Zuversicht, wieder Präsenzhauptversammlungen abhalten zu können: Denn virtuelle Begegnungen können, und dies zeigt die Veranstaltungserfahrung in Pandemiezeiten, den persönlichen Kontakt und den Austausch nicht im gleichen Maße ermöglichen.

Daneben besteht auf Grundlage der jüngsten Änderung des Aktiengesetzes die Möglichkeit, Hauptversammlungen auch abseits der sogenannten Corona-Notfallgesetzgebung, die in den letzten Jahren Anwendung fand, auch weiterhin rein virtuell abzuhalten. Die Durchführung einer rein virtuellen Hauptversammlung bedarf in Zukunft grundsätzlich einer entsprechenden Satzungsregelung. Allerdings hat der Gesetzgeber, um einen nahtlosen Übergang der Durchführung virtueller Hauptversammlungen auch in der kommenden Saison 2023 zu gewährleisten, eine Übergangsfrist vorgesehen. Das heißt: Gesellschaften können auch ohne eine ausdrückliche Satzungsregelung in der Hauptversammlungssaison 2023 ihre Hauptversammlung auf Grundlage der neuen Gesetzgebung rein virtuell durchführen. Die neue Gesetzgebung sieht eine Reihe von Variationen zur Durchführung der rein virtuellen Hauptversammlung vor: So kann beispielsweise – und das ist ein ganz wesentlicher Punkt – der Vorstand entscheiden, Fragen der Aktionäre grundsätzlich nur im Vorfeld der Hauptversammlung zuzulassen.

In der Versammlung selbst sind dann nur noch Nachfragen der Aktionäre zu ihren vorab gestellten und nun beantworteten Fragen sowie Fragen zu neuen Sachverhalten zulässig, d.h. zu Sachverhalten, die sich erst nach Ablauf der Einreichungsfrist für die Aktionärsfragen ergeben haben. Für diese Variante spricht sicherlich, dass sich die Verwaltung auf die Fragen und deren Beantwortung entsprechend vorbereiten kann. Allerdings besteht das Risiko von ausufernden Fragekatalogen, denen gerade mittelständische Unternehmen im Vorfeld der Hauptversammlung nur schwer Herr werden können. Alternativ besteht die klassische Möglichkeit der Fragestellung wie bei der Präsenzversammlung im Rahmen der laufenden Versammlung. Hier wird die Praxis zeigen, welche Variante sich durchsetzt. Dies wird unter anderem auch von der Bereitschaft der Aktionäre abhängen, während des laufenden virtuellen Formats ihre Fragen zu stellen. Auch das Zutrauen der Aktionäre in die technische Funktionsfähigkeit beim Stellen von Fragen während der virtuellen Hauptversammlung ist ein Abwägungspunkt. Hierzu bestehen derzeit noch keine zuverlässigen Erfahrungswerte; insbesondere ist zu befürchten, dass es vermehrt zu technischen Schwierigkeiten kommt.

Das Zwitterformat

Zu guter Letzt kann auch ein hybrides Format in Erwägung gezogen werden, bei welchem den Aktionären die Wahl eingeräumt wird, entweder persönlich vor Ort oder virtuell teilzunehmen. Die virtuelle Teilnahme ist dabei nicht auf eine reine Übertragung der Hauptversammlung mit der Möglichkeit zur Stimmabgabe, die wir aus der COVID-19-Notfallgesetzgebung kennen, beschränkt, sondern es kann sich, wie bei der rein virtuellen Versammlung, um eine echte virtuelle Teilnahme handeln, also auch unter Gewährung der Aktionärsrechte, wie etwa des Fragerechts und des Antragsrechts. Auch hier wird die Praxis bei der konkreten Durchführung vor hohe Herausforderungen gestellt, um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten und allen Aktionären, seien sie präsent anwesend oder virtuell zugeschaltet, die Möglichkeit der Ausübung ihrer Rechte einzuräumen.

Vorstand und Aufsichtsrat entscheiden Die Wahl des passenden Hauptversammlungsformats ist eine Entscheidung, die Vorstand und Aufsichtsrat zu treffen haben und die einer sorgfältigen Abwägung und Auseinandersetzung mit den einzelnen Varianten und Variationen sowie deren Konsequenzen für die Rechte der Aktionäre bedarf. So kann eine (rein) virtuelle Durchführung von Hauptversammlungen, wie auch die Vergangenheit gezeigt hat, durchaus Vorteile für die Gesellschaft bringen – denn es besteht sehr häufig eine (wesentliche) Kostenersparnis und auch der operative Aufwand wird entsprechend verkürzt. Aufseiten der Aktionäre können zudem unnötige Reisekosten vermieden werden und auch solche Aktionäre, für die eine Anreise zur Hauptversammlung mit hohem Organisations- und Kostenaufwand verbunden wäre, können an dieser teilnehmen und sich entsprechend einbringen. Zudem liegt in einer virtuellen Durchführung
auch die Möglichkeit, sich als IT-affines und mit Blick auf Nachhaltigkeitsaspekte ausgerichtetes Unternehmen im Markt darzustellen. Sicherlich ist hingegen auch in Betracht zu ziehen, dass es vermehrt technische Probleme bei der Durchführung geben könnte. Jedoch waren auch im Vorfeld der virtuellen Hauptversammlung aufgrund der COVID-19-Notfallgesetzgebung die Marktteilnehmer teilweise skeptisch und es war überraschend, wie schnell sich Dienstleister und Aktionäre auf das neue Format eingelassen haben.

Persönlicher Kontakt bei Krisen wichtig

Für die Präsenzhauptversammlung spricht, wie eingangs bereits erwähnt, natürlich der unerlässliche persönliche Kontakt zwischen Gesellschaft und Aktionariat. Dies kann ein virtuelles Format niemals ganz ersetzen. Oftmals ist auch die Lage der Gesellschaft ausschlaggebend, etwa, ob sich das Unternehmen ggf. in einer Krise befindet und auf besondere Unterstützung seiner Aktionäre angewiesen ist. In solchen Fällen bietet es sich an, dass der Vorstand persönlich und „Auge in Auge“ zu seinen Aktionären spricht.

Eine hybride Ausrichtung vereint die Vor- auch Nachteile aus beiden Welten. Allerdings bestehen hier derzeit die meisten rechtlichen und auch technischen Herausforderungen. Es bleibt daher abzuwarten, ob die Gesellschaften mutig sind, die Chancen der neuen Optionen für sich zu nutzen.

Lehrjahr 2023

Die Praxis der kommenden Hauptversammlungssaison 2023 wird sicherlich auch dazu beitragen, tatsächliche Durchführungsrisiken zu minimieren und auf Grundlage von Lessons Learned die individuelle Konzeptionierung künftiger Hauptversammlungen prägen.

www.heuking.de

Autor/Autorin

Lena Pfeufer

Lena Pfeufer ist Rechtsanwältin und Salaried Partnerin im Kölner Büro der Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek. Sie berät im Team von Herrn Dr. Sickinger schwerpunktmäßig im Kapitalmarktrecht, im Bereich Gesellschaftsrecht sowie M&A.

Dr. Mirko Sickinger

Dr. Mirko Sickinger, LL.M. ist Rechtsanwalt und Partner im Kölner und Frankfurter Büro der Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek. Er berät schwerpunktmäßig zu Themen des Kapital­marktrechts, im Bereich Gesellschafts­recht sowie M&A.