Der Versammlungsleiter ist eine zentrale Person jeder Hauptversammlung. Er hat für einen geordneten Ablauf der Versammlung Sorge zu tragen und soll sicherstellen, dass die Tagesordnung zügig und in angemessener Zeit abgearbeitet wird. Dabei ist die Behandlung von Beschlussanträgen von besonderer Bedeutung. Was aber geschieht, wenn ein solcher Antrag auf die Abwahl des Versammlungsleiters selbst gerichtet ist? Das Aktiengesetz schweigt, und die bisher zu den Fragen der Zulässigkeit und den Folgen der Behandlung solcher Anträge ergangene Rechtsprechung ist höchstrichterlich nicht bestätigt und in Fachkreisen nicht ohne Kritik geblieben. Von Dr. Thomas Zwissler

Für die Behandlung von Abwahlanträgen ist zunächst die Rechtsgrundlage für das Amt des Versammlungsleiters entscheidend. Der in der Praxis häufigste Fall ist die unmittelbare Bestimmung des Versammlungsleiters durch die Satzung der Gesellschaft. Dort wird regelmäßig der Aufsichtsratsvorsitzende oder, für den Fall seiner Verhinderung, dessen Stellvertreter benannt. Seltener sind die Fälle, in denen der Versammlungsleiter durch den Aufsichtsrat oder dessen Vorsitzenden bestimmt, durch die Hauptversammlung gewählt oder durch ein Gericht bestellt wird. Diese selteneren Fälle sind auch rechtlich weniger problematisch. Für den durch den Aufsichtsrat oder dessen Vorsitzenden bestimmten oder durch die Hauptversammlung gewählten Versammlungsleiter ist anerkannt, dass dieser jederzeit durch Beschluss der Hauptversammlung abgewählt werden kann. Für den gerichtlich bestellten Versammlungsleiter gilt das Gegenteil: Die Hauptversammlung kann ihn nicht abberufen, nach herrschender Meinung nicht einmal bei Vorliegen eines wichtigen Grundes.

Im Folgenden soll lediglich der in der Praxis häufigste Fall des durch die Satzung unmittelbar bestimmten Versammlungsleiters betrachtet werden.

Zulassung von Abwahlanträgen

Wird in der Hauptversammlung ein Abwahlantrag gestellt, so stellt sich zunächst die Frage, ob der amtierende Versammlungsleiter den Antrag überhaupt zur Abstimmung stellen muss oder stellen sollte. Dies hängt davon ab, welche Position man zur rechtlichen Zulässigkeit von Abwahlanträgen einnimmt und welche Anfechtungs- und Haftungsrisiken der Versammlungsleiter einzugehen bereit ist. Die wichtigsten Grundsätze, die in die Entscheidung einfließen sollten, sind die folgenden:

Abwahlanträge generell unzulässig?

Mit dem Argument, die Hauptversammlung könne sich nicht durch einfachen Beschluss über die Satzung hinwegsetzen, wird die generelle Zulässigkeit von Abwahlanträgen bis heute vielfach abgelehnt. Die Hoffnung, der Bundesgerichtshof möge ein klärendes Wort in diese Richtung sprechen, wurde bisher jedoch nicht erfüllt. Ein entsprechender Fall lag dort bislang nicht zur Entscheidung vor. Demgegenüber haben in den vergangenen Jahren mehrere Instanzgerichte die generelle Zulässigkeit von Abwahlanträgen bejaht und in diesem Zusammenhang die Auffassung vertreten, sämtlichen nachfolgenden Beschlussfassungen hafte ein formeller Mangel an, wenn ein vorausgegangener Abwahlantrag nicht zur Abstimmung gestellt wurde. Zudem könne die pflichtwidrige Verhinderung einer Aussprache und Abstimmung über den Abwahlantrag ihrerseits die Abwahl begründen. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist die generelle Zurückweisung von Abwahlanträgen ein sehr riskantes Unterfangen und in der Regel nicht zu empfehlen.

Abwahlanträge nur bei wichtigem Grund zulässig?

Die aktuell wohl herrschende Meinung lässt Anträge auf Abwahl des durch die Satzung unmittelbar bestimmten Versammlungsleiters grundsätzlich zu, verlangt aber einen wichtigen Grund für die Abberufung. Hieraus folgt, dass ein Abwahlantrag nur dann zur Abstimmung gestellt werden muss, wenn ein solcher Grund zumindest vorgetragen und nicht nur „ins Blaue hinein“ behauptet wurde. Zweifelhaft ist, ob der Versammlungsleiter nachfragen muss, wenn der Antragsteller von sich aus keinen wichtigen Grund genannt hat.

Abwahlanträge in anderen Fällen zulässig?

Teilweise wird die Zulässigkeit von Abwahlanträgen bereits dann angenommen, wenn lediglich sachliche Gründe oder auch gar keine Gründe für das Abwahlverlangen vorliegen oder geltend gemacht werden. Legt man jedoch die Rechtsprechung der letzten Jahre zugrunde, können solche Anträge vom Versammlungsleiter zurückgewiesen werden. Umgekehrt kann es sich im Einzelfall aber auch anbieten, eine Abstimmung durchzuführen. Ein positiver Beschluss mag in bestimmten Fällen durchaus geeignet sein, die Autorität des Versammlungsleiters zu stärken und den ungestörten Fortgang der Versammlung zu unterstützen.

Beispiele für Abwahlgründe:

Gericht Entscheidung Geltend gemachter Abwahlgrund Durch Gericht als wichtiger Grund akzeptiert?
LG Frankfurt a.M. Urteil vom 11.01.2005 – 3-5 O 100/04 Strafrechtliche Ermittlungen im Zusammenhang mit anderweitigen, nicht die Versammlungsleitung betreffenden Tätigkeiten nein
LG Köln Urteil vom 06.07.2005 – 82 O 150/04 Unberechtigte Redezeitbeschränkung, unberechtigte Erteilung eines Hausverbots ja
OLG München Urteil vom 06.08.2008 – 7 U 3905/06 Nichtbeantwortung von Fragen, deren Beantwortung dem Vorstand obliegt nein
OLG Bremen Urteil vom 13.11.2009 – 2 U 57/09 Nichtberücksichtigung von Protokollierungswünschen ja
Verhinderung einer Aussprache zum Abwahlantrag ja
OLG Frankfurt a.M. Urteil vom 02.12.2012 – 5 U 10/12 Anhängigkeit von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gegen die Bestellung des Versammlungsleiters zum Aufsichtsrat nein
OLG Stuttgart Urteil vom 08.07.2015 – 20 U 2/14 Fehlverhalten außerhalb der Hauptversammlung, strafrechtliche Ermittlungen nein
OLG Köln Urteil vom 09.03.2017 – 18 U 19/16 Selbstbetroffenheit bei einem Beschluss nach § 147 AktG ja
Pflichtwidriger Ausschluss eines Sachantrags von der Abstimmung ja

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