Österreichische Hauptversammlungen stehen vor ähnlich komplexen Herausforderungen wie ihre deutschen Pendants; ­zugleich zeigt der heimische Kapitalmarkt einige Besonderheiten. Von Helmut Pöllinger und Christof Schwab

Der ATX erreichte im ersten Halbjahr 2025 neue Höchststände, getragen weniger von Unternehmensgewinnen als von internationalen Kapitalströmen. Vor allem Umschichtungen aus den USA (wir erinnern uns an Trumps ­„Liberation Day“) führten zu erheblichen Zuflüssen in europäische Aktienmärkte, die in Österreich vornehmlich in Indexschwergewichte wie Erste Group, OMV, ANDRITZ, VERBUND oder voestalpine flossen. Auffällig ist: Der überwiegende Teil dieser Mittel landete in passiven Produkten wie ETFs. Aktive Fonds mussten dagegen Abflüsse hinnehmen. Für Emittenten bedeutet dies, dass sie es zunehmend mit Investoren zu tun haben, die kurzfristig reagieren und deren Abstimmungsverhalten stark von globalen Richtlinien abhängt.

Nachhaltige Nachhaltigkeit?

Besonders herausfordernd ist die Entwicklung der ESG-Fonds. Weltweit umfasst dieser Markt rund 3,5 Bio. USD, doch Europa bleibt mit über 80 % des verwalteten Vermögens das klare Zentrum. Österreichische Fondsgesellschaften wie Erste Asset Management oder Raiffeisen KAG waren in den vergangenen Jahren Vorreiter (auch mit Mittelzuflüssen), doch auch hier ist ein Trend zur „Normalisierung“ spürbar. Der Grund liegt in den strengen Vorgaben der ESMA: Wer Fonds mit Begriffen wie „ESG“ oder „nachhaltig“ vermarktet, muss 80 % des Kapitals entsprechend investieren und fossile Energien weitgehend ausschließen. Die Folge: Hunderte Fonds wurden umbenannt, auch in Österreich verzichten Manager lieber auf ESG-Labels, als Portfolios radikal umzubauen. Sicherheitshalber wurden „Artikel-neun-Fonds“ gemäß EU-Offenlegungsverordnung auf „Artikel acht“ umgestuft. Und Privatanleger sehen das Thema ESG nüchtern-pragmatisch. Finanzberater berichten, dass bei Kunden wieder öfter „Rendite vor Nachhaltigkeit“ zählt. Also: Interesse bleibt, doch der Wunsch nach Flexibilität überwiegt.

Wer bestimmt?

Während in Deutschland Proxy Advisors wie ISS oder Glass Lewis traditionell großen Einfluss auf die DAX-Konzerne ausüben, ist ihre Rolle in Österreich weniger ausgeprägt. Der Grund liegt in den Eigen­tümerstrukturen: Viele börsennotierte Gesell­schaften haben Ankeraktionäre wie (Mitarbeiter-)Stiftungen, Familien oder öffentliche Hände, die als Kernaktionäre stabile Mehrheiten sichern.

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Dennoch nimmt die Bedeutung internationaler Stimmrechtsberater zu – besonders bei global investierten Unternehmen. Hier orientieren sich internationale Investoren zunehmend an deren Empfehlungen, auch wenn diese nicht immer mit unternehmensspezifischen Gegebenheiten übereinstimmen. Für Organisatoren von HVs bedeutet dies: Abstimmungen sind schwerer kalkulierbar, direkte ­Gespräche mit Investoren wichtiger denn je.

In den USA geraten unter der Trump-­Administration – auch – ISS und Glass Lewis unter Druck. Politiker und Banken werfen ihnen ideologisch motivierte Abstimmungsempfehlungen vor, insbesondere bei ESG- und Diversitätsthemen. Der Vorwurf: Wirtschaftliche Analysen treten in den Hintergrund; zudem bestehen Interessenkonflikte, da dieselben Stimmrechtsberater auch Governance-Beratung verkaufen. US-Bundesstaaten wie Texas haben bereits Gesetze erlassen, die Transparenz über nichtfinanzielle Faktoren verlangen. Sustainability-Reports werden mehr als Kostenfaktor denn als Nutzen gesehen. Auch wenn es solche Regelungen in Europa bislang nicht gibt, bleibt die Entwicklung für Österreich relevant: Internationale Investoren könnten ihre Richtlinien anpassen und damit auch heimische Unternehmen unter Druck setzen.

Sicher ist nur die Veränderung

Foto: © Pavel Ignatov – stock.adobe.com

Parallel dazu zeigt sich eine spürbare Abkehr von ambitionierten ESG-Zielen. Weltweit ziehen sich Banken und Versicherungen aus Allianzen wie der Net-Zero Insurance ­Alliance zurück. Auch europäische Player wie Allianz, AXA oder UBS haben ihre Klimaziele gelockert. In Österreich bleibt der politische Fokus zwar auf dem Ausbau erneuerbarer Energien, doch auch hier zeigt sich eine gewisse Ernüchterung: OMV etwa setzt wieder stärker auf Öl- und Gasprojekte, während Energieunternehmen ihre Investitionspläne realistischer kalkulieren. Rezession und (Energie-)Preise zeigen Wirkung. Für Investoren bedeutet das: ESG-Kriterien sind nicht mehr selbstverständlich handlungsleitend, sondern Teil einer breiteren Abwägung zwischen Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungs­sicherheit und Rendite.

Die Vorbereitung auf Hauptversammlungen wird damit komplexer. Einheitliche Abstimmungsrichtlinien lösen sich auf, Investoren gewichten Themen unterschiedlich stark. Während der eine Fonds Nachhaltigkeit priorisiert, achtet der andere vor allem auf Profitabilität oder regionale Rahmenbedingungen. Institutionelle Investoren interessiert vielfach anderes als Privataktionäre. „Aktivistische“ Anleger kommen hinzu, idealerweise gesittet (wenn auch mit langen Kritik- und Fragenlisten) und nicht als HV-Störer; denn Letzteres schlägt auf die HV-Stimmung durch und fordert Organisatoren und Podium zusätzlich zum „normalen“ Ablauf. Und: Junge Aktionäre – wenn man sie denn halten bzw. dazugewinnen will – wünschen sich von HVs anderes als „Altaktionäre“. Auch Österreichs Emittenten müssen sich daher auf ein fragmentiertes Aktionärsbild einstellen. Umso wichtiger sind präzise Aktionärsidentifikationen, die zeigen, wer tatsächlich stimmberechtigt ist und welche Erwartungen bestehen.

Learnings

Die zentrale Lehre für Österreichs Emittenten: Der direkte Dialog mit Investoren gewinnt an Bedeutung. Hauptversammlungen sind längst nicht mehr der einzige Ort, an dem Governance-Fragen diskutiert werden. Aktionärstage erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Investoren erwarten kontinuierliche Transparenz über Klimastrategien, Kapitalallokation, Unternehmensführung – aber auch weiterhin „hard financial facts“. Anbieter wie Computershare reagieren darauf und bauen Services im Bereich Investor Engagement aus, um Emittenten in dieser neuen Komplexität zu unterstützen.

Fazit

Für österreichische börsennotierte Unternehmen bedeutet das aktuelle Umfeld eine Doppelbelastung: Einerseits profitieren sie von internationalen Kapitalzuflüssen, andererseits steigt der Druck, den Erwartungen einer immer heterogeneren Investorenschaft gerecht zu werden. ESG bleibt wichtig, doch verliert die einstige Dominanz. Proxy Advisors haben weniger Macht als in Deutschland, gewinnen aber an Bedeutung. Entscheidend wird sein, Hauptversammlungen nicht nur formal vorzubereiten, sondern proaktiv den Austausch mit – divergierenden – Investoren zu suchen, Transparenz zu schaffen und flexibel auf unterschiedliche Ansprüche einzugehen. Nur so können heimische Emittenten im globalen Wettbewerb um Investmentattraktivität bestehen und zugleich Vertrauen am Kapitalmarkt sichern.

Autor/Autorin

Herr Helmut Poellinger
Helmut Poellinger
Managing Director DACH at Computershare | Website
Christof Schwab
Director Business Development, Sales & Strategy at  | Website