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Ab dem 1. Juni 2023 wird es ein vollständig neues europäisches Patentsystem geben. Es wird aus den Bestandteilen ­„Einheitspatent“ und „Einheitliches Patentgericht“ bestehen. Für Patentinhaber und Parteien von Patentlizenzverträgen besteht aufgrund der zahlreichen damit einhergehenden Neuerungen dringender Handlungsbedarf. Von Marc L. Holtorf und Dr. Julia Traumann

Ein Patent verleiht seinem Inhaber, kurz gesagt, ein zeitlich und örtlich begrenztes Monopolrecht für eine Erfindung. Das Monopolrecht soll Patent­inhabern insbesondere die Möglichkeit der Amortisation von oft hohen Forschungs- und Entwicklungskosten geben und damit gleichzeitig einen Anreiz schaffen, (weiter) Forschung und Entwicklung zu betreiben. Auch die zahlreichen innovativen und ­zukunftsträchtigen Entwicklungen, die dem Bereich der „Smarten Medizin“ unterfallen, können in vielen Fällen Patentschutz erlangen.

Bislang besteht die Möglichkeit, nationale Patente und sogenannte europäische Patente zu erlangen. Europäische Patente können mittels einer einzigen Anmeldung beim Europäischen Patentamt erlangt werden. Diese „klassischen“ europäischen Patente haben in allen ausgewählten (validierten) Mitgliedstaaten als einzelne nationale Teile dieser europäischen Patente Gültigkeit. Das „klassische“ europäische Patent ist also, anders als die Bezeichnung vermuten lässt, letztlich ein Bündel nationaler Patente. Der Vorteil ist, dass Anmeldern die Kosten paralleler nationaler Anmeldun­gen und der damit verbundene adminis­tra­tive Aufwand erspart werden. Validierung und Aufrechterhaltung ebenso wie Durchsetzung und Angriffe auf den Rechts­bestand müssen nach der Erteilung aber jeweils auf nationaler Ebene erfolgen.

Neues Patent – neues Gerichtssystem

Im neuen System kann ein europäisches Patent nach Erteilung durch das EPA für die (zum jeweiligen Zeitpunkt) teilnehmen­den Vertragsmitgliedstaaten zum Patent mit einheitlicher Wirkung, auch Einheitspatent genannt, erklärt werden. Das Einheits­patent wird als einheitliches Schutzrecht das gesamte Territorium der teilnehmenden Vertragsmitgliedstaaten umfassen. Um die einheitliche Wirkung in ­Anspruch nehmen zu können, ist ein fristgebun­dener Antrag des Patentanmelders erforderlich. Die Gebühren für die Aufrecht­erhaltung eines Einheitspatents dürften oftmals deutlich unter den Gebühren für die Aufrechterhaltung zahlreicher nationaler Patente liegen, die auf einem „klassischen“ europäischen Patent beruhen.

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Neben dem neuen einheitlichen Schutzrecht wird ein neues Gerichtssystem, das Einheitliche Patentgericht (auch „EPG“), geschaffen, das sowohl über die Verletzung als auch über den Rechtsbestand der neuen Patente mit einheitlicher Wirkung einheitlich entscheiden wird. Doch damit nicht genug: Das Einheitliche Patent­gericht wird künftig auch für alle „klassischen“ europäischen Patente ausschließlich zuständig sein. Patentanmelder und -inhaber „klassischer“ europäischer Patente können die Zuständigkeit des Einheitlichen Patentgerichts während einer Übergangsfrist von mindestens sieben Jahren ausschließen. Dazu ist wiederum ein gesonderter Antrag erforderlich („Opt-out“). Wer allerdings die einheitliche ­Wirkung seines Patents beantragt, unterfällt zwingend der Zuständigkeit des ­Einheitlichen ­Patentgerichts.

Der vom EPG langfristig erwartete Vorteil ist u.a. folgender: In der Praxis kann die Notwendigkeit der Durchsetzung auf natio­naler Ebene Schwierigkeiten bereiten, wenn ein Patentinhaber ein europäisches Patent in mehreren Ländern durchsetzen oder ein Dritter die Vernichtung eines ­europäischen Patents erreichen möchte. Parallele Rechtsstreitigkeiten in mehreren Ländern sind teuer und es besteht die ­Gefahr (manchmal auch als Chance gesehen) voneinander abweichender Entscheidungen und mangelnder Rechtssicherheit. „Forum-Shopping“ ist oft unvermeidlich, denn Beteiligte versuchen, die Unterschiede zwischen nationalen Gerichten und deren Verfahren für ihre Interessen zu nutzen.

Starttermin und Vorbereitungen

Nach der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde zum Übereinkommen über das Einheitliche Patentgericht beim Europä­ischen Rat durch Deutschland am 17. Februar 2023 steht dem Start des ­neuen europäischen Patentsystems am 1. Juni 2023 nichts mehr im Weg.

Seit dem 1. Januar 2023 läuft bereits eine fünfmonatige Übergangsphase, innerhalb derer frühe Anträge auf einheitliche Wirkung und Anträge auf Verschiebung der Erteilung gestellt werden können. Seit dem 1. März 2023 läuft ferner eine drei­monatige Einführungsphase („sunrise ­period“), innerhalb derer die genannten „Opt-outs“ vorgenommen werden können.

To-dos für aktuelle und künftige Patentinhaber und Lizenzvertragsparteien

Für aktuelle und künftige Patentinhaber derzeit besonders wichtig ist, sich mit dem Thema neues europäisches Patentsystem ausführlich auseinanderzusetzen und die verbleibende Zeit insbesondere für die Analyse des Patentport­folios sowie die Ausarbeitung und ­Entscheidung zu ­einer Patentstrategie zu nutzen.

Weiterhin sollten Inhaber „klassischer“ europäischer Patente für jedes „klassische“ europäische Patent separat die Entscheidung treffen, ob sie es aus der Zuständigkeit des EPG „herauswählen“ möchten oder nicht. Wird nichts unternommen, ­fallen die „klassischen“ europäischen Patente automatisch in die Zuständigkeit des EPG. Wichtig ist auch, bestehende vertragliche Vereinbarungen wie z.B. Lizenzverträge und Forschungs- und Entwicklungsverträge im Hinblick auf das neue europäische ­Patentsystem zu prüfen und ggf. zu ändern oder zu ergänzen.

Autor/Autorin

Pinsent Marc L. Holtorf
Marc L. Holtorf
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz, Partner, Head of German Intellectual Property at Pinsent Masons | Website

Marc L. Holtorf, Rechtsanwalt, Partner, Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz, Head of German Risk Advisory Services and Life Sciences, Pinsent Masons Rechtsanwälte Steuerberater Solicitors Partnerschaft mbB, München.

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Dr. Julia Traumann
Rechtsanwältin, Legal Director, Fachanwältin für Gewerblichen Rechtschutz at Pinsent Masons | Website

Dr. Julia Traumann, Rechtsanwältin, Legal Director, Fachanwältin für Gewerblichen Rechtsschutz, Pinsent Masons Rechtsanwälte Steuerberater Solicitors Partnerschaft mbB, München.