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Coronafolgen, Inflationsängste und Russland-Ukraine-Krieg haben Anfang des Jahres auch die Anleger am Schweizer Kapitalmarkt verunsichert. Doch trotz schwieriger Marktumstände konnte sich die Schweizer Börse im ersten Halbjahr mit einem stabilen Ergebnis behaupten. Wegen des zurückhaltenden IPO-Geschäfts soll der Wachstumskurs mit attraktivem Service und neuen Produktideen fortgesetzt werden.

Die Alpenrepublik gilt bei Anlegern als Festung im Sturm. Aktien von Schweizer Uhrenherstellern, Nahrungsmittelproduzenten oder Pharmaunternehmen sind vor allem bei schlechter Börsenstimmung gefragt. Der Russland-Ukraine-Krieg, geopolitische Unsicherheiten, steigende Inflation sowie die Zinsentscheidungen der Notenbanken haben auch bei den Eidgenossen ihre Spuren hinterlassen. Der wichtigste Aktienindex, der Swiss Market Index (SMI), fiel bis Ende November mit stärkeren Rücksetzern um 14% auf 11.125 Punkte. Top-Werte wie Lindt & Sprüngli, Roche oder Swiss Re knickten im ersten Halbjahr um teilweise über 20% ein. Im zweiten Halbjahr haben sich jedoch viele dieser Aktien wieder als solides Investment erwiesen und ihre Kursrückgänge deutlich reduziert.

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Quelle: stock3 AG

Erfolgreiche Konzerne und erfinderische KMU

Der SMI enthält die 20 Blue Chips des Gesamtmarktindex SPI, in dem fast alle an der SIX gehandelten Wertpapiere von Schweizer Unternehmen zu finden sind. Er stellt die reine Kursentwicklung ohne Ausschüttungen dar. Dagegen ist der SPI ein Performanceindex, bei dem Dividenden berücksichtigt werden. Emittenten mit einem Free Float kleiner als 20% sowie Investmentgesellschaften sind im Swiss All Share Index vertreten.

SIX: Solide trotz Krisenstimmung

Trotz der gesamtwirtschaftlich schwierigen Lage liefen die Geschäfte der Schweizer Börse SIX im ersten Halbjahr gut. Der Umsatz kletterte um 2,6% auf 751,7 Mio. CHF. Das Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT) lag wegen einmaliger Effekte mit 161,4 Mio. CHF um 4,9% über dem Vorjahresniveau. Die Investitionen der letzten drei Jahre in den Geschäftsbereich Banking Services führten zu positiven Entwicklungen bei Debit & Mobile Services, Bancomaten und digitaler Rechnung (eBill). Diese konnten Ertragsrückgänge in anderen Geschäftseinheiten kompensieren, die durch ungünstige Marktentwicklungen oder Währungseffekte zustande gekommen waren.

Wachstum durch bessere Angebote

„Trotz turbulenter Marktumstände haben wir ein solides Ergebnis erwirtschaftet“, kommentiert Jos Dijsselhof, CEO der SIX Group, diese Zahlen. Die SIX ermögliche den weltweiten Zugang zu schweizerischen und spanischen Finanzplätzen, gewährleiste Kapitalaufnahme, Börsenhandel und Abwicklung, stelle Datenversorgung der Finanzmärkte und Zahlungsverkehr sicher. „Gleichzeitig treiben wir unser Wachstum voran“, erklärt der Börsenchef. „Wir wollen in neue Geschäfte, innovative und bessere Services, aber auch Infrastruktur und Sicherheit investieren.“

Sparks will deutsche Firmen anlocken

Im Oktober 2021 hatte die SIX ihr neues Segment Sparks eingeführt, in dem die Hürden für einen Börsengang deutlich niedriger sind als an anderen Handelsplätzen. „Das Angebot wurde am Markt gut aufgenommen und wir rechnen in den nächsten fünf Jahren grob geschätzt mit etwa zehn bis 20 Unternehmen“, berichtet Dijsselhof. Dies hängt natürlich sehr stark vom Marktumfeld ab. „Die Sparks-Listing-Kandidaten sind schnell wachsende, kapitalsuchende KMU sowie etabliertere KMUs“, so Dijsselhof. Die Schweizer Börse will auf diese Weise nicht nur einheimische Unternehmen anlocken, sondern auch Mittelständler und Wachstumsfirmen aus der Bundesrepublik. „Wir wollen mit unserem Angebot auch Firmen aus anderen europäischen und außereuropäischen Ländern ansprechen“, betont Dijsselhof.

Verkürzte Handelszeit für bessere Preisfindung

Mit Sparks erhalten KMU einen effizienten Zugang zu Kapital, erhöhen ihre Visibilität und Glaubwürdigkeit. Laut SIX bekunden mehrere Unternehmen konkretes Interesse. Die Vorbereitungen für einen Börsengang dauern mindestens vier bis sechs Monate. Das neue Aktiensegment hat eine verkürzte tägliche Handelszeit von 15:00 bis 17:20 Uhr. So kommen möglichst viele Marktteilnehmer zusammen und die Preisbildung wird optimiert. Dies soll vor allem in der Closing-Auktion von 17:20 bis 17:40 Uhr geschehen.

Venture Capital stark gestiegen

In der Schweiz haben sich die Risikokapitalinvestitionen in Jungunternehmen in den vergangenen zehn Jahren verfünffacht. „Durch eine Kotierung im Sparks-Segment eröffnen wir eine zusätzliche Option für einen Exit durch die Investoren“, so Dijsselhof. Einige Schweizer Vermögensverwalter beurteilen das neue Segment aber eher skeptisch. Für institutionelle Investoren sei ein KMU-Segment kein Thema und nur eine Minderheit von Privatinvestoren habe daran Interesse. Zudem gebe es bereits solche Segmente im außerbörslichen Handel auf Plattformen von Banken.

Nur wenige Börsengänge

Bei den IPOs der SIX war auch in diesem Jahr die Nachfrage verhalten. „Bis November 2022 entschlossen sich 13 Firmen zu einem Börsengang, von denen fünf primär gelistet sind, erläutert Valeria Ceccarelli, Head Primary Markets der SIX. Xlife Sciences war der erste Börsengang im Sparks-Segment, mit Talenthouse, EPIC Suisse, Kinarus Therapeutics Holding und Accelleron Industries konnte man vier neue Firmen aus unterschiedlichen Branchen im Hauptaktienmarkt begrüßen. Allerdings wählten in den vergangenen Jahren einige Unternehmen für ihre Aktienemission ausländische Börsenplätze. Biotechfirmen zog es nach New York an die Nasdaq, aber auch London und die Euronext sahen Börsengänge von Schweizer Firmen. Wo ein IPO stattfindet, hängt oft davon ab, wo sich Peergroup und große Absatzmärkte befinden. Aber: „90% der Unternehmen lassen sich im Heimmarkt kotieren“, weiß Christian Reuss, Head SIX Swiss Exchange. Deshalb sieht er in den kommenden Jahren attraktive Unternehmen in der IPO-Pipeline der SIX.

Anleihengeschäft wächst

In einem schwierigen Emissionsmarkt hat die Schweizer Börse allerdings die Anzahl ihrer Bondlistings gesteigert. „Beim Volumen und den an der Schweizer Börse kotierten Anleihen können wir für die ersten zehn Monate 2022 ein Plus verbuchen“, weiß Ceccarelli. Die Schweizer-Franken-Bonds stiegen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum beim Volumen um 6% und der Anzahl der Kotierungen um 8%. Bei den Nicht-Schweizer-Franken-Anleihen ist der Zuwachs mit 35% bzw. 56% deutlich höher. „Die Zahlen zeigen, dass der Schweizer Fremdkapitalmarkt resilient gegenüber wirtschaftlichen Problemen und Unsicherheiten ist“, sagt Ceccarelli. „Emittenten sind auch in solchen Zeiten fähig, substanzielle Volumen aufzunehmen.“

GDR-Kooperation mit China

Im Juli 2022 traten zudem die revidierten regulatorischen Rahmenbedingungen für Global Depository Receipts (GDRs) in Kraft. Mit acht chinesischen Unternehmen, die ihre GDRs an der Schweizer Börse kotierten, hat die SIX die China-Switzerland-Stock-Connect-Verbindung zwischen Schweizer Börse und den Börsen Shenzhen und Shanghai gestartet. Nicht zuletzt wurde die Digitalisierung weiter ausgebaut. „Mit der SIX Digital Exchange können wir jetzt die weltweit erste vollständig regulierte Finanzmarktinfrastruktur für digitale Vermögenswerte anbieten“, freut sich Ceccarelli. „Die Platzierung der weltweit ersten nativen digitalen Anleihe der UBS war ein Erfolg.“ Dieser digitale Bond wurde sowohl an der SIX Digital Exchange als auch an der SIX Swiss Exchange zugelassen.

Fazit

Die weltweiten Krisenlagen schmälern auch die Geschäfte von Schweizer Unternehmen. Dies hat zu Kursrückschlägen geführt. Trotzdem ist die Wirtschaft weiterhin glänzend aufgestellt. Die gemessen am BIP pro Kopf weltweit auf Platz zwei liegende Schweiz zeichnet sich traditionell durch innovative Industrie, florierenden Dienstleistungssektor und wachsenden Tourismus aus. Die im Größenvergleich auf Platz 21 rangierende Volkswirtschaft ist vor allem stark in den Bereichen Medizin, Pharma, Konsumgüter, Banken und Biotech. Von diesen Rahmenbedingungen konnte sich der Schweizer Kapitalmarkt nicht abkoppeln. Dennoch stellt er erneut seine traditionellen Stärken unter Beweis: ein gefragter Hafen gegen Unsicherheit und steigende Inflationsraten zu sein. Unter dem schwierigen Umfeld leidet allerdings der IPO-Markt, der sich noch nicht von der Coronaabstinenz erholen konnte. Da Volkswirte für 2023 allenfalls mit etwas Wachstum bis 1% rechnen, dürfte die Lage für Neuemissionen schwierig bleiben. Mit neuen Produktangeboten und einer fortschreitenden Digitalisierung ist die Schweizer Börse allerdings gut aufgestellt.

Interview: „Großes Interesse bei KMU und viel Potenzial“

Valeria Ceccarelli, Head Primary Markets, SIX Swiss Exchange Ltd.

GoingPublic: Worin unterscheidet sich die Schweizer Börse von den Kapitalmärkten in EU-Ländern wie Deutschland oder Frankreich?

Ceccarelli: Gemessen an der Marktkapitalisierung des Streubesitzes ist die Schweizer Börse ähnlich groß wie die Euronext in Paris oder die Deutsche Börse in Frankfurt/Main. Setzt man diese Zahl in den Kontext zur Größe der jeweiligen Volkswirtschaften, wird die Bedeutung des Schweizer Kapitalmarkts deutlich. Das Schweizer Umfeld bietet eine außergewöhnlich hohe Konzentration von Unternehmen, Finanzdienstleistern und Investoren. Die SIX ist auch bekannt für einen schnellen, effizienten und marktgerechten Kotierungsprozess.

Valeria Ceccarelli kam 2013 zur SIX und ist seit 2016 in ihrer aktuellen Funktion tätig. Zuvor arbeitete sie mehr als elf Jahre als Executive Director im Investment Banking von Morgan Stanley in London und Mailand. Anschließend war sie drei Jahre als Investmentmanager bei der Private-Equity-Firma Ambienta SGR beschäftigt.

GoingPublic: Vor einem Jahr, noch in der Pandemie, haben Sie Ihr neues KMU-Aktiensegment Sparks eröffnet. Wie ist die Startphase bisher verlaufen?

Ceccarelli: Das Interesse der KMU ist beträchtlich. Mit Xlife Sciences hat ein Unternehmen seine Aktien in Sparks kotiert. Daneben haben wir viele potenzielle Kandidaten getroffen, die sich für dieses Segment interessieren. Im November 2021 starteten wir die erste Sparks-IPO-Academy, ein sechsmonatiges Schulungsprogramm für die Führungsebene von Gesellschaften, die einen potenziellen Börsengang in Betracht ziehen. Die zwölf Unternehmen, die unsere Academy besuchten, kamen aus den Bereichen Robotik, Medizintechnik, Biotechnologie, Industrie und Finanztechnologie.

GoingPublic: Welches Konzept verfolgen Sie mit Sparks?

Ceccarelli: Schweizer KMU können dort Kapital für weiteres Wachstum aufnehmen und schaffen für Aktionäre einen Markt, an dem ihre Aktien handelbar sind. Ein effizienter Zugang zu Kapital ist für Micro Caps wichtig, um zu wachsen und auf globaler Bühne erfolgreich zu sein.

GoingPublic: Welche Anforderungen müssen notierte Unternehmen erfüllen?

Ceccarelli: Gegenüber dem SIX-Hauptaktienmarkt sind die Anforderungen auf KMU zugeschnitten: Eine Marktkapitalisierung von weniger als 500 Mio. CHF, das Unternehmen muss mindestens zwei Jahre bestehen, über geprüfte, nach anerkannten Standards erstellte Abschlüsse verfügen sowie Eigenkapital von mindestens 12 Mio. CHF vorweisen können. Die frei handelbaren Aktien müssen mindestens 15%, ihre Marktkapitalisierung mindestens 15 Mio. CHF betragen. Identisch mit dem Hauptaktienmarkt sind Prospektanforderungen, regulatorische Aufsicht und zum Teil das Reporting.

GoingPublic: Entsteht dadurch auch mehr Offenheit für Investoren?

Ceccarelli: Das bedeutet in der Tat eine höhere Transparenz für Anleger im Vergleich zu nicht-kotierten Unternehmen, da es hier Anforderungen gibt, die nur für börsennotierte Unternehmen gelten. Außerdem ist Sparks ein reguliertes Börsensegment, während die vergleichbaren europäischen SME Growth Markets nur den Handel zulassen. Die Anforderungen stehen aber proportional zur Größe der Unternehmen, damit sie als Erleichterung empfunden werden.

GoingPublic: Mit wie vielen Börsengängen rechnen Sie bei Sparks in diesem und nächsten Jahr?

Ceccarelli: 2022 ist ein schwieriges Jahr für Börsengänge. Der Ukrainekrieg, geopolitische Spannungen zwischen China, USA, Russland, die Inflation und damit gestiegene Zinsen machen es den Investoren und Unternehmen nicht einfach. Eine Vorhersage ist schwierig, da die IPO-Aktivität sehr stark von externen Marktbedingungen abhängt. Das Interesse der KMU ist aber vorhanden und die Schweiz hat großes Potenzial.

GoingPublic: An welchen Typ von Unternehmen richtet sich Sparks?

Ceccarelli: Sowohl an schnell wachsende als auch an etablierte Micro Caps, die die beschriebenen Anforderungen erfüllen, wobei kein bestimmter Typ bevorzugt wird. Zudem wendet sich Sparks an Familienunternehmen, die eine Nachfolgeregelung suchen.

GoingPublic: Welche Vorteile bietet ihnen das neue KMU-Segment?

Ceccarelli: Sparks will es KMU ermöglichen, die Vorteile der öffentlichen Kapitalmärkte auszuschöpfen, wie schnelle und effiziente Kapitalbeschaffung, größere Glaubwürdigkeit, Börsenkotierung mit Rücksicht auf Größe von Unternehmen und Investoren, Unterstützung von Handel und Liquidität sowie Erhöhung des Bekanntheitsgrades.

GoingPublic: Frau Ceccarelli, vielen Dank für das informative Gespräch!

Valeria Ceccarelli kam 2013 zur SIX und ist seit 2016 in ihrer aktuellen Funktion tätig. Zuvor arbeitete sie mehr als elf Jahre als Executive Director im Investment Banking von Morgan Stanley in London und Mailand. Anschließend war sie drei Jahre als Investmentmanager bei der Private-Equity-Firma Ambienta SGR beschäftigt.

Das Interview führte Thomas Müncher.

Autor/Autorin

Thomas Müncher

Thomas Müncher ist Wirtschafts- und Finanzjournalist und freier Autor beim GoingPublic Magazin.