„Wir werden eine Welle der Sprunginnovationen erleben“

Interview der Plattform Life Sciences mit Caspar Graf Stauffenberg, Managing Partner, Carlsquare GmbH

Bildnachweis: Carlsquare GmbH.

Plattform Life Sciences: Herr Stauffenberg, wie fällt Ihre Beurteilung des Healthcare-M&A-Markts für 2019 aus? Mit welchen Erwartungen durfte man ursprünglich in das Jahr 2020 gehen?

Stauffenberg: Gemessen an der Zahl der Transaktionen waren die Jahre 2017 bis 2019 relativ stabil. Zudem hatte der Healthcaremarkt im Vergleich zu anderen Industrien relativ hohe Bewertungen. Aus diesen Gründen sind wir davon ausgegangen, dass sich diese Stabilität auf hohem Niveau auch 2020 fortsetzen würde. Einzig bei den Healthcareprovidern, also bei den Dienstleistern im Gesundheitswesen, haben wir 2019 sinkende Bewertungen bei Transaktionen gesehen. Das lag vor allem daran, dass in diesem Segment der Prozess der Konsolidierung schon relativ weit fortgeschritten war und die Käufer nicht bereit waren, die vormals hohen Bewertungen weiterhin mitzutragen. In der Medizintechnik und im Pharmabereich konnten wir jedoch unverändert hohe EBITDA-Multiples beobachten.

Nun ist 2020 plötzlich alles anders. Welche Auswirkungen hat Corona auf den Markt?

Wir haben es mit einem Paradoxon zu tun. Die Zahlen sind noch nicht so transparent, als dass wir eine einheitliche Aussage treffen könnten. Der Healthcare-M&A-Bereich hat eine Disruption durch Corona erlebt, allerdings weniger dramatisch als Anfang 2020 vielleicht erwartet. Insgesamt wurden die M&A-Prozesse in die Länge gezogen. Das liegt vor allem daran, dass diese Prozesse getragen werden von einer Einschätzung der zukünftigen Entwicklungen. Treten dann abrupte Brüche ein, ist es sehr schwer, entsprechende Trends zu extrapolieren. Verkäufer wollen meist auf der Basis von 2019 verkaufen. Auf der Käuferseite wiederum stellte sich vor dem Hintergrund der allgemeinen Disruption die Frage nach der Handlungsfähigkeit im eigenen Haus. Vor allem strategische Käufer, die im Healthcaremarkt im Verhältnis weiter verbreitet sind als in anderen Segmenten, mussten zunächst Ruhe in das eigene Geschäft bringen, sodass die meisten M&A-Geschäfte auf „hold“ gesetzt wurden. Im Gegensatz dazu waren Finanzinvestoren relativ schnell wieder transaktionsfähig, nachdem sie ihr eigenes Portfolio beruhigt hatten.

Bad Perfomance but High Valuation and High Demand – wie passt das zusammen?

In den meisten Fällen gehe ich davon aus, dass das sogenannte New Normal eher wie die Vor-Corona-Zeit aussehen wird. Die meisten Unternehmen im Healthcare- und Life-Sciences-Bereich haben kein fundamentales Problem mit ihrem Geschäftsmodell, sondern werden zurückkommen auf das Level, welches sie vor Corona hatten. Auf der Verkäuferseite ist es ausschlaggebend, die coronaspezifischen Veränderungen – also die Abweichungen vom Normalzustand nach oben oder nach unten – erklären zu können und damit die Unsicherheit auf der Käuferseite zu nehmen. Auf der Käuferseite ist derweil die Tugend gefragt, den nachhaltigen strategischen Wert des Assets zu verstehen und sich nicht abschrecken zu lassen von der Entwicklung eines einzelnen Quartals. Das Paradoxon lässt sich am besten erklären, wenn man auf die Preise schaut, beispielsweise bei Börsenindizes. Hier sind die Indizes im Life-Sciences-Bereich auf dem Vorkrisenniveau. Im Bereich der Hardware liegen die Werte sogar über und im Bereich Pharma in etwa auf dem Vorkrisenniveau – und Vorkrisenniveau heißt „all-time high“. Gerade bei den Medical Devices haben wir es zwar mit Geschäftsmodellen zu tun, die auf einen regen Materialfluss angewiesen sind. Diese Geschäftsmodelle haben aufgrund von Corona ein schlechtes zweites Quartal gehabt, weil Lieferketten massiv eingeschränkt waren. Dennoch ist die Bewertung hoch. Der einzige Sektor mit schlechteren Bewertungslevels in der Life-Sciences-­Industrie ist der Bereich „Provider and Services“, beispielsweise Krankenhäuser. Hier sehen wir gravierendere Probleme. Eine der Ursachen war das massive Freihalten von Kapazitäten für eine Coronawelle, die so im zweiten Quartal nicht nach Deutschland kam. Des Weiteren haben Krankenhäuser profitables Geschäft verlagert, etwa elektive Operationen. Zusätzlich hatten viele Patienten Angst, in die Krankenhäuser zu gehen. So sind viele Häuser in die Verlustzone geraten.

Ihr Haus sondiert den Healthcare-M&A-Markt seit vielen Jahren. Welche Real Life Cases können Sie unseren Lesern nennen, beispielsweise aus der klassischen Medizintechnik?

Derzeit betreuen wir beispielsweise ein Unternehmen auf der Käuferseite, welches u.a. im Bereich Schutzausrüstungen tätig ist. Das Unternehmen hatte aus strategischer Sicht einen Zukauf im Bereich Krankenhauszulieferergeschäft erwogen. Solche Artikel hatten im zweiten Quartal eine sehr hohe Nachfrage. Für dieses Unternehmen war es auf der Buy Side sehr schwierig, eine Transaktion zu Ende zu bringen. Grund war der Einfluss von COVID-19 auf das operative ­Geschäft. Zwar stiegen zunächst die Umsätze, aber durch die Unterbrechung der Lieferketten konnte die sprunghaft gestiegene Nachfrage nicht befriedigt werden. Lieferverzögerungen und Lieferausfälle folgten. Unter großem Zeitdruck mussten neue qualifizierte Lieferquellen gefunden werden, was in dem stark qualitätsregulierten Markt sehr schwer ist. Das hat erheblichen zusätzlichen Aufwand verursacht. Diese erhöhten Kosten konnten im gegebenen Marktumfeld nicht durch Preiserhöhungen an die selbst krisengebeutelten Kunden weitergegeben werden, und zusätzlich führte die mangelnde Lieferfähigkeit zu Marktanteilsverlusten. Aufgrund dieser operativen Probleme konnte besagtes Unternehmen nicht in dem Maße auf dem M&A-Markt tätig werden wie ursprünglich geplant.

Wir erleben derzeit eine zunehmende Verschmelzung vom Medizintechnik und digitaler Gesundheit. Wie wirkt sich diese Verschmelzung auf den M&A-Markt aus?

Ich kann diese Entwicklung bestätigen. Unsere alte Denkweise unterschied zwischen Pharma und Biotech sowie Medizintechnik und den Leistungserbringern. Diese Bereiche sind vor allem regulatorisch voneinander getrennt. Software ist ein Segment, welches die drei erstgenannten Bereiche auf vielfältige Weise miteinander verbindet. Digitalisierung verbindet beispielsweise die Provider mit den „Payern“ (z.B. Versicherungen), etwa durch Krankenhausinformations- und -abrechnungssysteme. Umgekehrt bedeutet Medizintechnik inzwischen in vielen Fällen das Sammeln und Auswerten großer Datenmengen. Dazu kommen Systeme der Telemedizin. Dadurch kann der Patient unter Umständen direkt von dem Hersteller von Medizinprodukten angesprochen werden. Das Gleiche findet im Bereich Pharma und Pharmaentwicklung statt, indem Patientendaten in die Medikamentenentwicklung zurückgespielt werden. Deutschland war relativ spät mit dabei, diese Digital-Health-Modelle zu schaffen oder besser zuzulassen. Inzwischen gibt es gute Produkte, die auch gekauft und von den Spielern des Gesundheitswesens vergütet werden. Aus Apps sind interessante und erfolgreiche Unternehmen entstanden; Big Data ist nicht mehr nur Ankündigung, sondern findet in zahlreichen Anwendungen tatsächlich statt. Auch Private Equity ist in diesen Bereichen stark unterwegs, spannende Plattformen zu bauen. Wir sehen hier viele stark wachsende und profitable Unternehmen – folglich findet auch viel M&A statt.

Die Life Sciences, insbesondere die Biotechnologie, erleben derzeit einen Börsenboom. Dies mag zulasten von M&A-Geschäften gehen, da sich viele Unternehmen lieber frisches Geld über den Kapitalmarkt holen. Warum würden Sie trotzdem eher zu M&A raten?

Ich finde die Börse sehr interessant, wenn sie denn die Funktion erfüllt, Wachstumskapital einzusammeln. Als Inhaber eines Unternehmens mit der Notwendigkeit, Wachstumskapital einzuwerben, um langfristige Wachstumschancen wahrzunehmen, sind begrenzte Fondslaufzeiten von Investmentfonds eine Limitation; die Börse mag dann ein guter Ort sein, dieses Kapital einzusammeln – denn die Alternative wären Exit-Modelle, also entweder der Verkauf an einen strategischen oder einen Finanzinvestor. Damit verbunden ist in den meisten Fällen der Verlust der unternehmerischen Eigenständigkeit. Als Unternehmer mit einer starken Beteiligung im eigenen börsennotierten Unternehmen kann ich auch über längere Perioden eine Unabhängigkeit behalten und entsprechend gestalterisch tätig sein. Als M&A-Berater schlagen wir den Gang an die Börse durchaus vor. Die Prä-IPO-Phase ist häufig mit dem Teilaustausch der Gesellschafter verbunden. Beispielsweise kann man Frühphasenfinanzinvestoren mit hybriden, strategischen Investoren austauschen, die dann auch nach dem Börsengang als Ankerinvestoren vertreten sind.

Ein Ausblick zum Schluss: Wie wird sich der Healthcare-M&A-Markt in den kommenden zwölf bis 24 Monaten entwickeln?

Ich bewerte den Ausblick grundsätzlich positiv und stabil. Corona ist auch eine große Marketingchance und die Pandemie bringt eine neue Aufmerksamkeit und Wertschätzung für das Gesundheitswesen. Die Menge an Regierungsgeldern und Infrastrukturförderungen in das Gesundheitswesen wird zunehmen – nicht nur in Deutschland, sondern auch in Ländern wie Großbritannien, Italien und den USA. Weiterhin findet eine Hinwendung zu einem neuen Glauben statt, dass man durch Investitionen in Impfstoffe oder andere Therapieansätze wirklich etwas erreichen kann. Ich glaube, wir werden eine neue Welle der Sprunginnovationen erleben. Das Geld, welches im Moment ausgegeben wird, wird einen erheblichen Zusatznutzen bewirken. Und drittens stimmt mich positiv, dass der Gesundheitsmarkt zwar zu keiner Zeit unterkapitalisiert war, es aber durch regulatorische Hemmnisse zu einer Hemmschwelle bei den tatsächlichen Investitionen kam. Eine nachhaltige Effizienz konnte so nicht zum Tragen kommen. Dafür waren auch Interessenkonflikte eine Ursache. Doch die aktuelle Not wird zu einer Digitalisierungs- und Effizienzsteigerung führen. Das wird für eine ganze Reihe neuer Spieler sorgen – und für M&A ist es immer gut, wenn es Innovation und Dynamik gibt. Epidemiologie und Demografie werden die Rechtfertigung für Geld im Gesundheitswesen nicht reduzieren.

Herr Stauffenberg, haben Sie herzlichen Dank für das interessante Gespräch!

Das Interview führte Holger Garbs.

 

ZUM INTERVIEWPARTNER

Caspar Graf Stauffenberg ist Managing Partner der Carlsquare GmbH in München. Er studierte Business Administration in Reutlingen und London. Bevor er zu Carlsquare kam, war er als CFO und später CEO der MAP Medizin-Technologie GmbH sowie als CEO und Co-Gründer der Aequos Endoprothetik GmbH tätig.

Das Interview ist abgedruckt in der aktuellen Ausgabe „Medizintechnik & Digital Health“ der Plattform Life Sciences.

Autor/Autorin

Die Redaktion der Kapitalmarkt Plattform GoingPublic (Magazin, www.goingpublic.de, LinkedIn Kanal, Events) widmet sich seit Dezember 1997 den aktuellen Trends rund um die Finanzierung über die Börse. Ob Börsengang (GoingPublic) oder die vielfältigen Herausforderungen für börsennotierte Unternehmen (Being Public), präsentiert sich GoingPublic cross-medial als Kapitalmarktplattform für Emittenten und Investment Professionals.