Bildnachweis: Carbios.

Carbios ist ein französisches Biochemie-Unternehmen mit Sitz im Wissenschaftspark Biopôle Clermont-Limagne nahe der französischen Stadt Clermont-Ferrand.. Das Unternehmen forscht unter anderem am „enzymatischen Biorecycling“ von Kunststoffen, also deren Zersetzung mithilfe von Enzymen, um sie anschließend wiederzuverwenden.

 Plattform Life Sciences: Herr Ladent, bitte erläutern Sie uns das Geschäftsmodell von Carbios. Was ist Ihr Alleinstellungsmerkmal?

Ladent: Carbios stellt sich einer der größten Herausforderungen unserer Zeit: der Umweltverschmutzung durch Kunststoffe und Kunststofffasern aus Textilien.  Das Unternehmen ist Pionier in der Entwicklung und Industrialisierung von biologischen Verfahren zum Abbau und Recycling von Plastik. Unser Geschäftsmodell basiert auf zwei von Carbios entwickelten Technologien für die nachhaltige Verringerung von Plastikmüll: ein enzymatisches Verfahren für das biologische Recycling der heute am zweithäufigsten gebrauchten Plastiksorte PET (Polyethylenterephthalat) sowie ein Enzym-basiertes natürliches Additiv, das dem Produktionsprozess von Verpackungsmaterial aus PLA (Polylactide, Polymilchsäure) beigemischt wird und dieses unter normalen Umweltbedingungen zu 100 Prozent kompostierbar macht – ohne für die Umwelt giftige Nebenprodukte oder irgendwelche Rückstände.

Emmanuel Ladent, Carbios.

Die von Carbios entwickelte Technologie für ein Bio-Recycling von PET-Kunststoffabfällen ist einzigartig und steht kurz davor, die Kunststoffindustrie zu revolutionieren. Mit diesem Verfahren lassen sich jede Form von PET-haltigen Kunststoffabfällen vollständig in ihre ursprünglichen Bausteine, sogenannte Monomere, zerlegen, die dann wiederum zur Herstellung von zu 100 Prozent recycelten und neuwertigen PET-Produkten verwendet werden können – ein perfekter Kreislauf für PET-Kunststoffe, der nach heutigen Erkenntnissen endlos betrieben werden kann. Ein weiterer Vorteil des Ansatzes von Carbios ist seine hohe Wirtschaftlichkeit: es ist keine aufwendige Sortierung des PET-Abfalles notwendig und der wasserbasierte Prozess findet umweltschonend bei niedrigen Temperaturen unter atmosphärischen Bedingungen statt und kann im großen industriellen Maßstab eingesetzt werden, sodass bereits einige renommierte Firmen sich mit Carbios zusammengeschlossen haben, um die Kreislaufwirtschaft in der Textilindustrie voranzutreiben.

Umsätze generiert Carbios aus Vorabzahlungen und Lizenzeinnahmen aus geplanten Anlagen, die von Lizenznehmern betrieben werden, aus dem Verkauf von Verbrauchsmaterialien und Enzymen.

An welchem Punkt der strategischen Entwicklung steht das Unternehmen heute?

Carbios hat in den letzten Monaten wichtige strategische Meilensteine erreicht. Ein erster wichtigster Aspekt ist es, unsere Technologie in industriellem Maßstab verfügbar zu machen.  Im September 2021 haben wir unsere Demonstrationsanlage eröffnet, die es uns ermöglicht, die technischen, ökologischen und wirtschaftlichen Leistungen unseres enzymatischen PET-Recyclingverfahrens in größerem Maßstab zu validieren und weiter zu optimieren und damit auch die Gestaltung zukünftiger Industrieanlagen. Der Standort umfasst einen 20.000-Liter-Depolymerisationsreaktor, der zwei Tonnen PET-Abfall pro Zyklus verarbeiten kann, was etwa 100.000 PET-Flaschen entspricht. Eine Produktionsausbeute von bis zu 97 Prozent bestätigt die Skalierbarkeit sowie die Robustheit unseres Verfahrens. Wir gehen davon aus, dass wir bis Anfang 2023 alle Daten und Genehmigungen vorliegen haben, die für den Bau und Betrieb von Produktionsanlagen im industriellen Maßstab notwendig sind.

Gemeinsam mit unserem Partner Indorama Ventures, dem weltweit größten Hersteller von recyceltem PET für Getränkeflaschen, starten wir in Kürze den Bau der ersten industriellen PET-Recyclinganlage. Die Anlage entsteht strategisch günstig in Longlaville im Osten Frankreichs an den Grenzen von Deutschland, Luxemburg und Belgien – Länder mit einer guten Infrastruktur für die Sammlung von Plastikmüll Sie wird eine Aufbereitungskapazität von 50.000 Tonnen PET-Abfall/Jahr haben, was ca. zwei Milliarden PET-Flaschen entspricht und soll bis 2025 fertiggestellt werden und erste Umsätze generieren.

Ein zweiter bedeutender Aspekt ist die Kommerzialisierung der Technologie, die durch die Zusammenarbeit mit namhaften Unternehmen aus unterschiedlichen Industrien in sogenannten Brand-Konsortien gefördert wird.

Im Jahr 2019 haben sich namhafte Unternehmen, wie L’Oréal, Nestlé Waters, PepsiCo, Suntory Beverage und Food Europe mit Carbios zu einem Brand-Konsortium zusammengetan. Dieses Konsortium setzt auf unser Recyclingverfahren und unterstützt uns dabei, die Herstellung neuer Verpackungen aus von Carbios recyceltem PET so zu optimieren, dass sie den hohen Ansprüchen an Qualität, Robustheit und Sicherheit der Lebensmittel- und Getränkeindustrie entsprechen.

In der Bekleidungsindustrie gibt es ähnliche Tendenzen, ein wichtiger Markt, da es für das Recycling von Textilfasern heute keinerlei Lösungen gibt. Im Juli dieses Jahres hat sich um Carbios mit On, Patagonia, PUMA and Salomon ein weiteres Konsortium aus der Textil- und Sportindustrie zusammengefunden, dessen Ziel es ist, gemeinsam Lösungen zu entwickeln, die die Recyclingfähigkeit von PET-Fasern und damit die Wiederverwertbarkeit ihrer Produkte verbessern.

In den letzten Jahren ist das Bewusstsein der Verbraucher für nachhaltige Produkte zunehmend stärker geworden, und Kaufentscheidungen werden oft auch danach getroffen, ob ein bestimmtes Produkt aus recyceltem Material besteht. Dem muss die produzierende Industrie Rechnung tragen, und so verpflichten sich immer häufiger Unternehmen öffentlich zur Erreichung bestimmter ökologischer Ziele.

Welchen Markt adressiert Carbios? Können Sie ein Marktvolumen nennen? Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang strategische Partnerschaften?

Der weltweite Bedarf an PET liegt bei ca. 100 Millionen Tonnen pro Jahr. Davon gehen ein Drittel in die Verpackungsindustrien und zwei Drittel als Fasern hauptsächlich in die Textilindustrie. Der PET-Markt wächst augenblicklich mit vier Prozent, mit einem enormen für die nächsten Jahre erwarteten Wachstumspotential für recyceltes PET. Das heißt, wir sehen eine Marktverschiebung weg von neuen, aus Erdöl hergestellten Plastik hin zu recycelten Kunststoffen. Demgegenüber steht eine limitierte Kapazität für das Recycling von PET-haltigen Abfällen. Die Nachfrage übersteigt die Recyclingkapazitäten heute schon deutlich. Das wirkt sich natürlich auf die Preise für recyceltes PET aus. Der Preis für eine Tonne lebensmittelgeeignetes rPET ist in nur einem Jahr von ca. 1.300 Euro im Mai 2021 um 1.000 Euro auf 2.300 Euro im Mai 2022 gestiegen[1], und wir sehen hier einen weiteren langfristigen Aufwärtstrend.

Für die Markteinführung unserer Technologie ist unsere strategische Partnerschaft mit Indorama von besonderer Bedeutung. Die Partnerschaft mit Indorama könnte zu einer finanziellen Beteiligung führen. Darüber hinaus unterstützt uns Indorama beim Bau der ersten industriellen Anlage für ein 100-prozentiges biologisches Recycling von PET-Plastikabfällen und steht uns mit seiner Expertise, was den Bau und den Betrieb einer solchen Anlage betrifft, zur Seite, sodass wir bereits für 2025 erste Umsätze aus dieser Anlage rechnen können. Wir gehen davon aus, dass wir in den nächsten drei bis vier Jahren sechs bis zehn weitere Lizenzen für unsere Technologie vergeben werden, mit denen dann zusätzliche vergleichbare Anlagen gebaut werden.

Für die Herstellung des proprietären Enzyms, das die Grundlage für unser Verfahren bildet, konnten wir mit dem dänischen Unternehmen Novozymes den weltweit führenden Enzymproduzenten als Partner gewinnen.

Wie ist Carbios finanziert?

Carbios ist an der Euronext Growth Paris (Ticker: ALCRB) gelistet und mit einer Liquidität in Höhe von 121 Millionen Euro (Stand: Ende Juni 2022) derzeit gut finanziert.

Zur Erreichung unserer strategischen Ziele sowie zur Überbrückung der Zeit bis zur ersten Umsatzrealisierung im Jahr 2025, stehen für den Aufbau der Recyclinganlage in Longlaville und die Erweiterung von Carbios‘ biologischen Recyclingverfahren auf andere Plastiksorten wie Polyethylen, PVC und Polypropylen, natürlich noch größere Investitionen an.

Unsere Aktionäre unterstützen unsere weitere strategische Entwicklung, indem sie uns auf der letzten Hauptversammlung das für etwaige finanzielle Maßnahmen notwendige Kapital genehmigt haben. Neben weiteren öffentlichen und privaten Darlehen prüfen wir zurzeit mehrere Optionen.

Ein Ausblick: Welche Meilensteine wollen Sie in den nächsten 24 Monaten erreichen?

Unsere Mission ist es, mit der Entwicklung von innovativen Recycling-Technologien eine Vorreiterrolle im verantwortungsbewussten Umgang mit Plastikabfällen und Ressourcen zu spielen und den Weg hin zu einer nachhaltigen zirkulären Kunststoffwirtschaft zu ebnen.

Einer der wichtigsten Meilensteine für uns auf dem Weg dorthin ist die planmäßige Umsetzung und pünktliche Eröffnung der industriellen Recyclinganlage in Longlaville und die Generierung der ersten Umsätze im Jahr 2025.

Parallel dazu vermarkten wir unsere Technologie und wollen wie oben erwähnt bis Anfang 2023 das Referenzdokument vorliegen haben mit allen Spezifikationen für den Bau und Betrieb von Produktionsanlagen im industriellen Maßstab. Das erlaubt es uns, im Laufe des Jahres 2023 Lizenzen für den Bau weiterer PET-Recyclingabriken zu vergeben.

Zusätzlich arbeiten wir an der Entwicklung neuer Ansätze für das enzymatische Recycling von weiteren Plastikabfallsorten wie PVC, PP und PE.

Im Dezember wird Carbios der Gastgeber des „World PET Biorecycling Summit“ sein, ein wissenschaftliches Symposium zum Thema PET-Recycling in Paris.  Über zwei Tage werden Wissenschaftler aus der ganzen Welt über neue Entwicklungen referieren und ihre Ideen und innovative Ansätze für ein PET-Recycling präsentieren und diskutieren. Wir erhoffen uns von diesem Workshop neue Anregungen und die breite Erkenntnis, dass bei 350 Millionen Tonnen an neu produziertem Plastik pro Jahr, von denen heute weltweit nur etwa 14 Prozent wiederverwertet werden, neue Technologien für einen verantwortungsbewussten und nachhaltigen Umgang mit Plastikabfällen dringend notwendig sind.

Herr Ladent, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Holger Garbs.

[1] ICIS: Independent Chemical & Energy Market Intelligence, 2022