Lebensmittel dürfen laut einer neuen EU-Verordnung nun auch Hausgrillen oder Getreideschimmelkäfer enthalten Ist diese Entscheidung nun der lang erwartete Durchbruch für Insektenproduzenten und Konsumenten? Wir sprachen dazu mit Jonas Finck, CEO von madebymade, dem größten Insektenproteinhersteller Deutschlands. Von Urs Moesenfechtel, Plattform Life Sciences

 

Sind da Insekten drin? Diese Frage werden sich Verbraucherinnen und Verbraucher wohl künftig öfter stellen müssen. Ob in Nudeln, im Burger oder Schokoriegel: In diesen oder anderen Lebensmitteln dürfen nun auch Hausgrillen oder Getreideschimmelkäfer enthalten sein.

PLS: Was bedeutet diese Zulassung für Produzenten und Konsumenten, Herr Finck?

Finck: Vielleicht vorab: Es geht bei der neuen Verordnung um die Verwendung der zu Pulver verarbeiteten Grillen. Die Möglichkeit der Verwendung von Insektenpulver als Nahrungsmittelzusatz ist aber grundsätzlich nicht neu, denn für andere Insekten wie z.B. dem Mehlwurm, gibt es schon vergleichbare Zulassungen.

PLS: Und doch hat diese Nachricht für Aufruhr gesorgt. So war unter anderem zu lesen, die EU-Administration entmündige ihre Bürger, sie würden ihnen „eklige“ Lebensmittel unterjubeln wollen.

Finck: Essen ist ein hochemotionales Thema – und wird auch schnell zum Politikum. Das gilt dann vor allem für Lebensmittel, die in unseren Kulturkreisen noch unüblich sind. Und doch ist die neue EU-Zulassung zunächst einmal ein wichtiges Signal an Verbraucherinnen und Verbraucher: Der Verzehr von Produkten, die mit Produkten aus Insekten angereichert werden, wird von der EU als grundsätzlich unbedenklich und sicher eingestuft. Der Zulassungsbescheid kann vielleicht vorhandene Fragezeichen des Verbrauchers zu diesen neuartigen Lebensmitteln auflösen. Und das ist sicherlich ein sehr gutes Zeichen, auch für die Produzenten. Und niemand muss befürchten etwas „untergejubelt“ zu bekommen, was er nicht möchte.

Jonas Finck. Geschäftsführer bei madebymade GmbH. Copyright: madebymade GmbH

PLS: Wie hat denn ihre Branche auf diese Nachricht reagiert?

Finck: Entspannt und leicht optimistisch: Egal ob im Futtermittel- oder Lebensmittelsektor: Alle Insekten produzierende Unternehmen der EU sind erst seit wenigen Jahren aktiv. Es ist also ein noch sehr junger Markt. Vielen Unternehmen geht es um Rechts- und Planungssicherheit für weitere Investitionen, für weitere Skalierungen. Diese weitere EU-Zulassung schafft also weitere Sicherheiten für die Entwicklung neuer Produkte und Märkte und damit auch Sicherheiten für Investitionen.

PLS: Entspannt und leicht optimistisch trotz des langwierigen Zulassungsverfahrens?

Finck: Die Zulassungsverfahren basieren auf der „Novel-Food-Regulation“, nach der jedes Lebensmittel, das neu auf den europäischen Markt gebracht werden möchte, bestimmte Kriterien, z.B. dass der Lebensmittelsicherheit, erfüllen muss. Die Einhaltung der Kriterien wird in Gutachtungsverfahren geprüft. Diese müssen auch beantragt werden und sind zeit- kostenintensiv. Das bedeutet, dass sich konkrete Firmen für eine Zulassungsprüfung entscheiden müssen. Das Zulassungsverfahren dauert mindestens 2 Jahre. Nur finanzstarke Unternehmen können sich also ein solches Zulassungsverfahren leisten – und davon gibt es nur sehr wenige. Das erklärt vielleicht die langen Zeiträume. Weil jedes Insekt in der Produktion, Verarbeitung und jedes darauf basierendes Produkt unterschiedlich ist, kann es auch keine Pauschal-Zulassungen geben. Im Endeffekt braucht es Pioniere der Branche, die voran gehen.

PLS: Welche Unternehmen haben denn die Zulassungen beantragt?

Finck: Die Zulassung für Produkte aus dem Getreideschimmelkäfer beantragte die Firma Ynsect NL B.V., vormals bekannt als Proti-Farm Holding NV, aus Frankreich. Die Grillen-Produkt-Zulassungen beantragte Fair Insects B.V. aus den Niederlanden, die zum Protix-Konzern gehören und Cricket One Co. Ltd. aus Vietnam.

PLS: Wie groß ist das Marktpotenzial dieser neuen Produkte? Und wer wird nun vielleicht nachziehen und ebenfalls in diesem Bereich investieren?

Finck: In Berlin hat vor kurzem das Restaurant Mikrokosmos eröffnet, dass auch Insekten verarbeitet. Insekten passen sehr gut in den allgemeinen Trend einer gesunden nachhaltigen Ernährung, daher werden wir einige neue Produkte auf Markt sehen und große Konzerne werden auch in diesem Bereich investieren. Die Geschwindigkeit über die Entwicklung dieser Märkte bestimmt maßgeblich auch die Verbraucherin bzw. der Verbraucher, mit ihren Kaufentscheidungen.

PLS: Nach der Zulassung könnten auch Sie, also madebymade diese Produkte herstellen?

Finck: Ja und nein. Wir bei madebymade züchten die Schwarze Soldatenfliege, stellen Produkte aus deren Larven her und vertreiben diese. Wir konzentrieren uns aber auf Futtermittelzusätze und Dünger, also keine Lebensmittel. Und die Zulassung von Produkten aus den Larven von Grillen und Schimmelkäfer-Larven hat auch erstmal nur die Firma inne, die die Zulassung beantragt hat.

PLS: Das heißt, nur diese eine Firma, die die Zulassung erwirkt hat, profitiert nun alleinig davon?

Finck: Ja, zumindest im Rahmen einer Sperrfrist von 5 Jahren. Danach könnten aber auch alle anderen dieses Produkt herstellen und vertreiben, sofern sie die mit der Zulassung einhergehenden Bestimmungen einhalten. Die jetzige Zulassung ist damit kein generelles Go für alle Insektenproduzenten nun Lebensmittelzusätze aus der Hausgrille oder dem Getreideschimmelkäfer herzustellen.

PLS: Ist das der Grund, warum sich nur wenige Produzenten zu der neuen EU-Zulassung äußern?

Finck: Wir merken, dass Medien und die Öffentlichkeit verstärkt auf das Insektenthema reagieren. Aber ja, branchenintern sind die Reaktionen auf diese Nachricht eher gelassen beziehungsweise bleibt es „ruhig“, denn durch die Sperrklausel wird sich für viele Produzenten erst einmal nicht viel ändern. Aber natürlich ist jede weitere Zulassung für die gesamte Branche gut. Sie schaffen „Normalität“ im rechtlichen Umgang mit Insekten. Hätte es keine Zulassung gegeben, wäre das natürlich schlimm gewesen. Das hätte bedeutet, dass ein Insektenprotein-Produkt potentiell zu gesundheitlichen Schwierigkeiten führen kann. Aber nun wurde ein weiteres Mal von der EU bestätigt: Insekten eignet sich als gesunde, sicheres Nahrungsmittel.

PLS: Danke für das Interview.

Weitere Informationen zu madebymade finden Sie hier: https://www.goingpublic.de/wp-content/uploads/epaper/2021_4_LS/#50

Autor/Autorin

Redaktionsleiter Plattform Life Sciences at GoingPublic Media AG | Website

Urs Moesenfechtel, M.A., ist seit 2021 Redaktionsleiter der GoingPublic Media AG - Plattform Life Sciences und für die Themenfelder Biotechnologie und Bioökonomie zuständig. Zuvor war er u.a. als Wissenschaftsredakteur für mehrere Forschungseinrichtungen tätig.