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In der COVID-19-Pandemie wurde eindrucksvoll die hohe Bedeutung von Innovationen im Bereich der Biotechnologie bewiesen. Viele erachten die aus der Biotechnologie stammende, mRNA-basierte Impftechnologie und die darauf aufbauende Entwicklung und Zulassung von mRNA-basierten Impfstoffen als die „Game Changer“ in der Pandemie. Von Marc L. Holtorf und Dr. Julia Traumann

Der Patentschutz spielt bei diesem Thema eine wichtige Rolle. Wenn dieser, wie oft gefordert und von der Welthandelsorganisation teilweise umgesetzt, aufgeweicht wird, wird dies langfristig weitreichende Folgen haben.

Ambivalenz des Patentschutzes und Problemaufriss

Der Patentschutz ist insbesondere im Zusammenhang mit mRNA-basierten ­COVID-19-Impfstoffen ambivalent, wobei sich die Ambivalenz aus den sprichwörtlichen zwei Seiten einer Medaille ergibt:

  • Auf der einen Seite geben Patente Anreiz, in Forschung und Entwicklung innovativer Technologien zu investieren. Grund ist, dass Patente die Amortisation der Investitionen ermöglichen, und zwar dadurch, dass sie ihren Inhabern ein befristetes Ausschließlichkeitsrecht (Monopolrecht) geben. Das Ausschließlichkeitsrecht berechtigt Patentinhaber, Dritten die Nutzung der patentierten Technologie zu untersagen. Nicht zuletzt wegen dieses Anreizes haben Biotechunternehmen schon seit Jahren kostenintensive Grundlagenforschung zur mRNA-Technologie, ursprünglich für die Krebstherapie, betrieben, die auch vielfach patentiert wurde. Ohne den Anreiz des Patentschutzes hätte es höchstwahrscheinlich weder vor noch in der Pandemie Investitionen in diese innovative Technologie gegeben, und die COVID-19-Impfstoffe hätten nicht oder nicht so schnell entwickelt werden können.
  • Auf der anderen Seite führen Patente entsprechend ihrem Sinn und Zweck dazu, dass Dritte die erfindungsgemäße Technologie nicht nutzen dürfen. Patente werden daher oft als Hindernisse für die Ausweitung der globalen Produktionskapazitäten von Impfstoffen und des Technologietransfers erachtet und für die ungleiche Bekämpfung der Pandemie verantwortlich gemacht.
Marc L. Holtorf, Pinsent Masons.

Vor diesem Hintergrund wird oft – unter Außerachtlassung des ersten Aspekts – gefordert, COVID-19-Impfstoffe zu universellem Gemeingut zu machen, d.h. den Patentschutz (vorläufig) außer Kraft zu setzen oder zumindest im Wege von Zwangslizenzen oder Benutzungsanordnungen allgemein Zugang zu den maßgeblichen Technologien zu gewähren. Die Hoffnung dahinter ist, dass in Ländern wie z.B. Indien als größtem Produzenten von Impfstoffen „einfach“[1] vorhandene Kapazitäten zur Impfstoffproduktion genutzt werden, ohne dass Lizenzverhandlungen o.Ä. geführt werden müssten.

Der sogenannte TRIPS-Waiver

Bereits im Oktober 2020 stellten Südafrika und Indien als Mitglieder der Welthandelsorganisation (World Trade Organization; WTO) einen Antrag auf Aussetzung des Patentschutzes u.a. für COVID-19-Impfstoffe für den Zeitraum der Pandemie. Bei dem Übereinkommen, dessen Vorgaben dazu ausgesetzt werden sollten, handelt es sich um das Abkommen über handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights; TRIPS). Das TRIPS-Übereinkommen ist eine internationale Vereinbarung, die grundsätzlich für alle Mitgliedstaaten der WTO gilt. Es schreibt Mindestanforderungen vor, die die nationalen Rechtssysteme der WTO-Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit dem Schutz des geistigen Eigentums erfüllen müssen. Der teilweise „Verzicht“ auf Patent­schutz – engl. „waiver“ – ist unter der Bezeichnung „TRIPS-Waiver“ bekannt geworden.

Dr. Julia Traumann, Pinsent Masons.

Nach zähem Ringen hat sich die Ministerkonferenz, das höchste Organ der WTO, schließlich am 17. Juni 2022 geeinigt: Es ist den Ländern erlaubt, die Patentrechte teilweise einzuschränken, indem sie die Nutzung von Patenten bei der Herstellung und dem Vertrieb von COVID-19-Impfstoffen ohne die Zustimmung des Patentinhabers gestatten[2]. Auf globaler Ebene kann dies dazu führen, dass der Patentschutz für COVID-19-Impfstoffe in zahlreichen Ländern eingeschränkt werden kann. Die Einschränkung hat zunächst eine Dauer von fünf Jahren mit Verlängerungsoption bei jährlich vorgesehener Überprüfung.

Doch damit nicht genug: Der TRIPS-­Waiver sieht ferner vor, dass die WTO-Mitgliedstaaten innerhalb von sechs Monaten, d.h. bis zum 17. Dezember 2022, über eine Erweiterung des TRIPS-Waivers auf die Aussetzung der Patentrechte auf COVID-19-Diagnostika und -Therapeutika zu entscheiden haben.

Generelle Aufweichung des ­Patentschutzes?

Schon der Beschluss der WTO zu COVID-19-Impfstoffen hat eine erhebliche Aufweichung des Patentschutzes zur Folge. Sollte eine Ausdehnung auf COVID-19-Diagnostika und -Therapeutika folgen, wären die Konsequenzen aber deutlich weitreichender. COVID-19-Diagnostika und -Therapeutika weisen oftmals mehrere Indikationen auf, insbesondere zur Krebstherapie. Das heißt, dass die entsprechenden COVID-19-Diagnostika und -Therapeutika rein faktisch nicht „nur“ für die Indikation COVID-19 keinen Patentschutz mehr genießen, sondern auch für alle weiteren, ggf. noch wichtigeren Indikationen, die in keinem Zusammenhang mit COVID-19 stehen.

Allein die Tatsache, dass über eine solch weitreichende Aufweichung des ­Patentschutzes entschieden werden soll, lässt erkennen, dass die WTO die fundamentale Bedeutung des Patentschutzes für die Forschung und Entwicklung von Arzneimitteln offenbar nicht richtig einschätzt. Konsequenz einer weitgehenden Aushöhlung des Patentschutzes wäre, dass kein wirtschaftlicher Anreiz mehr bestünde, Investitionen in die zeit- und kostenintensive Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel zu tätigen. Dies läge ersichtlich im Interesse von niemandem.

Aufgrund des Widerstands aus den EU-Staaten, der Schweiz, den USA, Großbritanniens und einiger anderer Staaten mit starker Pharmaindustrie bleibt zu hoffen, dass die Erweiterung des bestehenden TRIPS-Waivers nicht beschlossen werden wird. Der Beschluss ist aber mit Spannung zu erwarten; er könnte richtungsweisend sein.

 

ZU DEN AUTOREN

Marc L. Holtorf, Rechtsanwalt, Partner, Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz, Head of German Risk Advisory Services and Life Sciences, Pinsent Masons Rechtsanwälte Steuerberater Solicitors Partnerschaft mbB, München.

Dr. Julia Traumann, Rechtsanwältin, Legal Director, Fachanwältin für Gewerblichen Rechtsschutz, Pinsent Masons Rechtsanwälte Steuerberater Solicitors Partner­schaft mbB, München.

[1] Die Produktion dieser neuartigen Impfstoffe setzt allerdings ein erhebliches Know-how sowie entsprechende Produktionsanlagen voraus und lässt sich nicht ohne Weiteres innerhalb kurzer Zeit übertragen oder ausweiten.

[2] MINISTERIAL DECISION ON THE TRIPS AGREEMENT, adopted on 17 June 2022 (abrufbar unter https://docs.wto.org/dol2fe/Pages/SS/directdoc.aspx?filename=q:/WT/MIN22/30.pdf&Open=True [Stand: 10.09.2022]).