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Der SHS-Medizintechnik-Index ist im ersten Jahr der Pandemie leicht zurückgegangen. Nach dem starken Anstieg in 2019 ist der Index im vergangenen Jahr um 0,3 Prozentpunkte gefallen – befindet sich aber nach wie vor auf einem hohen Niveau. Nach dem sehr starken Wachstum im Jahr 2019 hat die deutsche Medizintechnik in 2020 eine Verschnaufpause eingelegt. Der SHS-Medizintechnik-Index 2020 wurde gemeinsam von der Tübinger SHS Gesellschaft für Beteiligungsmanagement und Prof. Dr. Christian Koziol, Lehrstuhlinhaber Finance an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, entwickelt.

SHS-Medizintechnik-Index: Branche im Vergleich weniger schwankend

Der im Jahr 2019 erstmals erstellte Index bildet die Wachstumsfähigkeit, Innovationskraft und wirtschaftliche Leistung der Medizintechnik-Branche seit 2010 im Vergleich zur Gesamtwirtschaft ab. In die Berechnung des Index fließen folgende Datenreihen ein: Anzahl der erteilten Patente, Umsatz bzw. BIP sowie Zahl der Erwerbstätigen und die Aktienkurse.

„Die ermittelten Zahlen weisen darauf hin“, so Professor Koziol, „dass die Medizintechnik auch im ersten Jahr der Corona-Pandemie im Vergleich zur Gesamtwirtschaft in Summe weniger schwankend ist. Allerdings zeigt sich bei einem differenzierteren Blick, dass die Pandemie zum Teil sehr gegenläufige Effekte auf Unternehmen einzelner Subbranchen in der Medizintechnik ausgeübt hat.“ Medizintechnik-Unternehmen aus dem Bereich elektiver Eingriffe wie zum Beispiel Hersteller von Dental-Implantaten und sogar Herzkathetern hätten mehr gelitten, weil Operationen oder Untersuchungen aufgeschoben wurden. Anbieter aus dem Bereich Atemunterstützung und Diagnostik seien teilweise signifikant gewachsen.

Der Rückgang des Medizintechnik-Index ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen, die in die Index-Berechnung mit einfließen. Zwar konnte die Medizintechnik-Branche den Umsatz im Vergleich zum Vorjahr noch einmal um ca. 2% leicht steigern (gegenläufig zum Rückgang des BIP in Deutschland), aber dafür ging die Anzahl der Beschäftigten in der Branche um 4% substantiell zurück, das heißt es wurden mehr als 7.500 Arbeitsplätze abgebaut. Dieser Schritt dürfte primär bei den umsatzseitig negativ betroffenen Unternehmen aus Vorsichtsgründen erfolgt sein.

Starker Rückgang der erteilten Patente in 2020

Gleichzeitig sank der DAX Pharma &Healthcare-Index an der Börse um 6% – gegen den positiven Gesamttrend des DAX 30. Am auffälligsten sei jedoch der starke Rückgang der erteilten Medizintechnik-Patente in 2020, die einen Einbruch um 13% aufweisen. Ob dieser Rückgang direkt oder indirekt mit der Pandemie zusammenhängt, lasse sich aktuell nicht mit Sicherheit sagen. Möglicherweise habe die Branche die Ausgaben im Bereich Innovation vor dem Hintergrund der ungewissen Lage substanziell zurückgefahren. Allerdings weist eine Umfrage des Branchenverbands BVmed unter den Mitgliedsunternehmen im Herbst 2020 in diese Richtung. 22% der dort befragten Unternehmen mussten ihre Forschungsausgaben verringern – im Vorjahr waren es 7%.

Eine weitere mögliche Ursache könne aber auch die Nachwirkung der großen regulatorischen Umstellung auf die MDR sein, die dazu geführt habe, dass sich gerade die sonst so innovationsstarken kleineren und mittelständischen Unternehmen auf die neuen Zulassungsanforderungen fokussieren mussten und aus Kosten- sowie Kapazitätsgründen weniger in F&E investieren konnten. „Sollte dies tatsächlich der Fall sein, so wäre das eine fatale Entwicklung, da gerade die KMUs auf solche Innovationen angewiesen sind“, sagt Dr. André Zimmermann, Partner bei der SHS. „Die Notwendigkeit von Innovationen für das Überleben von KMUs zeigt sich allein schon an der Tatsache, dass ein neues Medizintechnikprodukt durchschnittlich nach nur wenigen Jahren durch ein weiterentwickeltes Produkt ersetzt wird“, so Zimmermann.

Für das laufende Jahr 2021 sind die Ersteller des SHS-Medizintechnik-Index vorsichtig optimistisch und rechnen weiterhin mit einer besseren Performance des Medizintechnik-Sektors im Vergleich zur Gesamtwirtschaft. „Die Corona-Krise hat in 2020 und wird auch in 2021 ihre Spuren in der deutschen Medizintechnikindustrie hinterlassen“, sagt Zimmermann. „Allerdings erwarten wir für 2021 eine schrittweise Rückkehr zu mehr Normalität über die gesamte Branche hinweg, die dann hoffentlich in 2022 wieder komplett erreicht wird.“ Auf jeden Fall habe die Pandemie gezeigt, wie lebenswichtig ein gut funktionierendes Gesundheitssystem ist, und es sei klar zu erkennen, „der Stellenwert der Branche in der Bevölkerung ist gestiegen.“

Medtech-Unternehmen müssen weitere Aufgaben zeitnah bewältigen

Die in Deutschland sehr mittelständisch geprägte Medizintechnik-Industrie wird nach der Pandemie weitere Aufgaben zeitnah bewältigen müssen. Regulatorische Hürden und Digitalisierung sind Felder, die substantielle Investitionen erfordern, aber an die kein Unternehmen vorbeikommt. Hinzu kommt der steigende Kostendruck, um die Gesundheitssysteme in alternden Gesellschaften weiterhin finanzieren zu können. Vor allem für kleinere und mittlere Medizintechnik-Unternehmen seien dies große Herausforderungen, die zügig angegangen werden müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben, so die Empfehlung des Brancheninvestors.

„Eine zunehmende Anzahl mittelständischer Unternehmer in der Medizintechnik erkennt, dass Investitionen in Regulatorik und vor allem Digitalisierung notwendig sind, um sich auch in Zukunft gut am Markt positionieren zu können“, sagt Manfred Ulmer-Weber von der SHS. Die Corona-Pandemie habe den Digitalisierungsdruck dabei noch einmal stark beschleunigt.

Autor/Autorin

Holger Garbs ist seit 2008 als Redakteur für die GoingPublic Media AG tätig. Er schreibt für die Plattform Life Sciences und die Unternehmeredition.