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Tatsächliche Performance, gefühlte Erwartungshaltung und die ungebrochene Lust am Lamento: Ich habe mir heute ein weites Feld vorgenommen, das man an dieser Stelle sicher nicht erschöpfend abhandeln kann. Deshalb erst einmal zu den Fakten. Und wen fragt man im Jahr 2023, wenn es um die schnelle Beschaffung präziser Fakten geht? Natürlich ChatGPT:

Das haben wir bereits gewusst, aber erstens ist es immer gut, etwas bestätigt zu bekommen, zweitens ist es gut formuliert vom AI-Sprachassistenten. Die Lust am Lamento – „Innovation wird nicht umgesetzt“, „Unternehmerisches Risiko auf sich nehmen wird nicht wertgeschätzt“, „zu viel Bürokratie“, „zu viel Datenschutz“, „zu wenig Bandbreite“ … – wird schließlich weniger getriggert durch einen Mangel an innovativen Konzepten als durch deren mindestens gefühlte Nichtumsetzung.

Und es stimmt: Zahlreiche Innovationshürden ließen sich schneller beseitigen, als es manchmal geschieht. Allerdings muss gerade bei Innovation im Gesundheitswesen ein besonders hoher Maßstab angelegt werden für Anwendungssicherheit, Patientenwohl, Patientennutzen, die Verteilung der Kosten auf zahlreiche Schultern (Stichwort: Universal Healthcare Coverage), die auch besondere Verantwortung verlangt bei der Kostenverteilung auf sozial Schwächere und Stärkere.

Wir haben unseren guten Ruf genau der Vorsicht zu verdanken, die wir in diesem Bereich gelten lassen. In einem gewachsenen, komplexen System wie dem unseren hat auch oft jemand etwas zu verlieren – das erhöht das Beharrungsvermögen beträchtlich. Ein oft gefordertes Leapfrogging wird dadurch erschwert. In einem Land, das sich so ein System wie das unsere, in dieser Qualität und mit dem umfassenden Anspruch einer guten Gesundheitsversorgung für alle, erst aufbauen muss, ist das ganz anders. Das bietet andere Chancen und auch Risiken – nicht nur für Unternehmer, sondern vor allem für betroffene Patienten. Ich bin ganz froh, dass ich mich mit den Problemen hier auseinandersetzen muss und nicht mit existenzielleren Fragen. Das ist eine sehr privilegierte Situation.

Aber das darf uns natürlich nicht daran hindern, die Dinge umzusetzen, die uns unbestritten helfen werden, unser Gesundheitssystem für die Zukunft zu rüsten. Prävention muss gefördert, ergo bezahlt werden. IT und alle damit zusammenhängenden Fragen, auch der Interoperabilität, müssen mit Verve und Überzeugung angegangen werden, und in vielen Fällen geschieht das auch – allerdings oft im Verborgenen und nicht immer rasend schnell. Da können wir besser werden, kein Zweifel! Das heißt aber, dass wir alle mitarbeiten müssen, um nicht zu sagen mithelfen: in vermeintlich langweiligen Kommissionen von Verbänden, auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene. Unsere Interessen müssen wir schon selbst aktiv vertreten, formulieren, Lösungsvorschläge präsentieren und echten Nutzen quantifizieren. Per aspera ad astra, es führt kein bequemer Weg zu den Sternen. Immer noch.

Dann wird es auch möglich sein, einen Business Case dort zu definieren, wo es im Moment keinen gibt und dadurch Innovation ausbleibt, obwohl sie wichtig wäre. Beispiel: die Entwicklung neuer Antibiotika, um Resistenzen zu bewältigen. Niemand pumpt hohe Millionenbeträge in so eine Entwicklung, wenn sie nachher nicht angemessen kommerzialisiert werden kann. Währenddessen werden resistente Keime aggressiver und verbreiten sich weiter. Die gute Nachricht ist: Sie ist bereits angekommen. Auf allen Ebenen gibt es Initiativen in die richtige Richtung, auch auf Ebene der EU.

Nichtsdestoweniger: Wir müssen anpacken, alle, ohne zu lamentieren und dabei auf Technik- und Innovationsfeindlichkeit zu verweisen. Manchmal ist ein technisches Gadget eben nur das: eine nette Sache. Da ist noch kein validierter klinischer Nutzen, der Business Case ist eventuell nicht ausgereift oder nicht genügend skalierbar. Dafür sind wir als Wagniskapitalgeber übrigens auch da – um dabei zu helfen, eine Idee, ein Projekt, auf den richtigen, unternehmerischen Weg zu bringen, mit Geld und mit Know-how.

Was wir auch brauchen, und zwar dringend: den Abschied von dem Gedanken, alles bis zum Ende durchdenken zu können und zu müssen – denn sogenannte Insellösungen sind logischerweise nur so lange eine Insel, bis sie kritische Masse erreicht haben. Innovation umsetzen ist harte Arbeit, erfordert den Mut zur Insellösung, den Beweis des Nutzens und bei Erfolg die Bereitschaft, „Insellösungen“ in das System zu integrieren.

Eigentlich ist das nicht so schwer.

Autor/Autorin

Dr. Sascha Berger

Dr. Sascha Berger ist General Partner bei TVM Capital Life Science, einem der europäischen Pioniere für Venture-Capital-Finanzierungen im Bereich Life Sciences, mit Teams in Europa und Nordamerika. Seit seinem Einstieg bei TVM in München im Jahr 2016 hat er erfolgreich den aktuellen 480-Mio.-USD-Fonds mitaufgelegt und arbeitet eng mit Gründern zusammen, um vielversprechende Unternehmen und Produkte in den Bereichen Biotechnologie, Medizintechnik, Diagnostik und Digital Health voranzubringen. Er ist leidenschaftlicher VC-Investor, Board Member der Life Science Acceleration Alliance, Boston-Consulting-Alumnus und Absolvent der Technischen Universität München.