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Während der Corona-Pandemie stieg der Anteil des Risikokapitals, das in den Biotechnologie-Sektor floss, weltweit massiv an. Langsam aber sicher kehrt es wieder auf das frühere Niveau zurück, insbesondere in Europa. Mit dem Auslaufen der COVID-Sonderkonjunktur muss der europäische Biotech-Sektor nationale Grenzen überwinden, um das Sentiment für den Markt aufrecht zu erhalten bzw. wieder in Schwung zu bringen. Das ist die einhellige Meinung von Finanzexperten, die sich Anfang Oktober in Paris trafen, um auf der dritten Ausgabe der paneuropäischen HealthTech Innovation Days (HTID) über die Perspektiven des Gesundheitssektors zu diskutieren.

Stephanie Léouzon von der auf Life Sciences spezialisierten Investmentbank Torreya sieht einige unzweifelhafte Anzeichen für eine Abschwächung der internationalen Märkte für Biotech-Aktien. Der Rückgang des Nasdaq Composite Index (NCI) um 10 % im September 2021 könnte ihrer Meinung nach das Ende der im März 2020 begonnenen Rallye der Tech-Aktien einläuten. Der Nasdaq-Biotech-Index der Aktien großer Biotech-Unternehmen zeige sich zwar noch vergleichsweise robust, aber drei Viertel der Microcap-Biotech-Aktien (weniger als 200 Mio. US-Dollar Marktkapitalisierung) wurden bereits unter ihrem Preis vom Februar dieses Jahres gehandelt, so Léouzon.

Verantwortlich dafür seien vor allem der Rückzug generalistischer Investoren, so Léouzon auf dem zentralen Finanzierungspanel der HTID zum Thema „Belebung des Marktes in Europa“ vor den Vertretern von über 150 Biotech-Unternehmern und zahlreichen Investoren in Paris. Diese hätten wesentlich zum Anstieg der Biotech-Werte im Gefolge der Covid-Pandemie beigetragen und nun begonnen, Gelder aus der Biotech-Branche in andere Sektoren umzuschichten. Die Generalisten würden nun auf Werte umsatteln, die von der zyklischen Erholung der Wirtschaft verstärkt profitieren sollten.

COVID-19 hat das Biotech-Ökosystem zweifellos belebt

Die Pandemie hatte erhebliche Auswirkungen auf das Schicksal einiger europäischer Unternehmen wie BioNTech, Valneva und CureVac. Auch die Risikokapitalinvestitionen in die Biotechnologie stiegen in den Jahren 2020 und 2021 um mehr als 50 % im Vergleich zu den drei vorangegangenen Jahren. Doch während in den USA inzwischen rund 25 % der gesamten Venture Capital-Investments in die Biotechnologie fließen, sind es in Europa noch immer nur etwa 15 %. Die Herausforderung besteht darin, die Begeisterung der europäischen Investoren für die Biotechnologie aufrechtzuerhalten, ohne dass COVID-19 als ständige Erinnerung an die Bedeutung der Biotechnologie herhalten muss.

Es gibt zwischen Europa und den USA immer noch erkennbare Unterschiede in der Einstellung zur Biotechnologie, die nach Auffassung der Experten auf Unterschiede in der Struktur und Größe der nationalen Finanzmärkte zurückzuführen sind. „Während Kleinanleger in Europa fragen, wann unser nächstes Produkt auf den Markt kommt und wie wir dessen Vorteile vermarkten, würden die Anleger in den USA fragen, wann unser nächster Katalysator kommt“, bemerkte Laurent Levy, CEO von Nanobiotix. Das französische Biotech hat im Dezember 2020 bei seinem Börsengang an der Nasdaq 100 Millionen US-Dollar aufgenommen. „US-Investoren wissen, dass es in der Biotechnologie um Fortschritt geht“, so Levy.

Die hohen Bewertungen und das große Interesse an Biotech-Werten ziehen viele europäische Unternehmen an die Wall Street. Für einen US-Börsengang sei es allerdings entscheidend, einen erfahrenen US-Investor an Bord zu haben. Levy wies auch darauf hin, dass ein US-Börsengang einer sorgfältigen Vorbereitung bedarf. Das gelte insbesondere im Hinblick auf die Kommunikation mit dem Markt und den Aufbau von Beziehungen innerhalb des Finanzsystems.

Nationales Denken überwinden

Europäische Biotech-Firmen haben heute die Auswahl, wenn es darum geht, Geld durch einen Börsengang zu beschaffen. Doch die Entscheidung zwischen einem europäischen Börsenplatz und der Nasdaq, der de facto internationalen Börse für Tech-Aktien, könnte eine falsche Dichotomie sein, meint Elsy Boglioli, CEO der Wachstumsberatung Bio-Up. „Die Präsenz in den USA habe Vorteile“, sagte sie, „insbesondere wenn es die Notwendigkeit gebe, enge Kontakte mit den Regulierungsbehörden zu pflegen.“

Aber die Entscheidung über den Ort eines Börsengangs sollte über die kurzfristigen Bedürfnisse hinausgehen. „Die Unternehmen haben großartige Geschichten zu erzählen, wie sie Innovationen zu den Patienten bringen. Es ist wichtig, diese Vision aufrechtzuerhalten und zu wissen, wie man mit dem finanziellen Potenzial umgeht. Mit zunehmender Erfahrung lernen Unternehmen und Investmentfonds, wie sie den Fehler vermeiden können, zu früh oder am falschen Ort an die Börse zu gehen.“

Hans Herklots, Managing Director bei LifeSci Advisors, stellt fest, dass die Managementteams in der Biotechnologie zunehmend die Notwendigkeit erkennen, von Anfang an eine globale Perspektive einzunehmen. „In Europa waren die unternehmerischen Fähigkeiten schon immer beachtlich, aber die Blickwinkel des Managements dennoch zu regional geprägt. Ein Blick in Richtung USA ist lohnend, die Investoren haben häufig tiefere Taschen und die Sektor Kenntnisse sind verbreiteter.“ LifeSci berät und begleitet Biotechs auf beiden Seiten des Atlantiks bei globalen Finanzierungen. Herklots plädiert aus dieser Erfahrung für diverse, internationale zusammengesetzte Managementteams. Er empfiehlt, „setzen Sie auf Menschen, die neugierig und bereit sind, den Kopf aus dem Fenster zu stecken und von der anderen Seite zu lernen.“

Herklots stellt zudem fest, dass die Qualität der Investoren in den USA und in Europa sehr ähnlich sei, dass aber im gegenwärtigen Umfeld für Biotechs der US-Kapitalmarkt der Ort sei, an dem die Unternehmen nach nachhaltigen Finanzierungsquellen suchen müssten. Ein Nasdaq-Börsengang könne aber nur ein erster Schritt sein. Entscheidend für den langfristigen Erfolg sei, das Unternehmen genügend Katalysatoren im Köcher haben, um im Sekundärmarkt für echte Liquidität in den Aktien sorgen zu können.

Letztlich müsse sich jede Entscheidung über die Verlagerung eines Unternehmens in die USA an operativen Faktoren orientieren. Die entscheidende Frage laute: „Muss das Unternehmen in der Nähe des Hauptmarktes für seine Produkte sein oder braucht es die Nähe zum wichtigsten Finanzmarkt?“

Europäische Finanzstrukturen zur Unterstützung des Biotechnologiesektors sind reifer geworden

„Eine große Herausforderung für europäische Biotechs bleibe die Lücke zwischen den privaten Risikokapitalfinanzierungen und der Börse“, so Cédric Moreau, Partner bei Sofinnova Partners. Der französische VC ist einer der größten Biotech-Risikokapitalgeber in Europa. 2018 hat Sofinnova einen Crossover-Fonds aufgelegt, der Anfang des Jahres mit 540 Mio. US-Dollar geschlossen wurde. Zielunternehmen des Fonds befinden sich genau in der genannten Lücke. Die Crossover-Finanzierung in Europa habe noch nicht die Größenordnung der USA erreicht, aber der Fonds habe den Markt bereits belebt, indem er „externe Kapitalströme von Co-Investment-Peers in den USA oder Asien anzieht und Top-Talente zum richtigen Zeitpunkt zu den Unternehmen lockt.“ Außerdem habe der Fonds durch die Schließung des Finanzierungskreislaufs dazu beigetragen, die öffentlichen Märkte für Biotechnologie anzukurbeln.

Der Aufstieg der Märkte Euronext und OMX hat ebenfalls dazu beigetragen, die fragmentierten europäischen Finanzmärkte zusammenzuführen. Guillaume Morelli, Leiter des Bereichs SME Listing bei Euronext, beobachtet, dass 40 % der Investitionen in europäische börsennotierte Unternehmen von US-Investoren kommen. Für ihn ein klares Zeichen dafür, dass „ein Unternehmen nicht mehr an der Nasdaq notiert sein muss, um US-Investoren anzuziehen.“ Morelli und seine Kollegen würden an der Euronext gerne mehr Special Purpose Acquisition Companies (SPACs) sehen, „Blankoscheck“-Gesellschaften, die als Geldgeber oder Aggregatoren für nicht börsennotierte Unternehmen auftreten können. An der Euronext waren bis Mitte 2021 weniger als 20 SPACs gelistet, verglichen mit fast 550, die an der Nasdaq notieren. „Wir brauchen mehr Jäger in Europa, nicht mehr Beute“, so Morelli.

Autor/Autorin

John Hodgson
Communication Manager EU at LifeSci Advisors

John Hodgson ist seit über 30 Jahren als Autor, Berater und Gutachter im Bereich der europäischen Life Sciences tätig. Neben seiner Tätigkeit als europäischer Redakteur von Nature Biotechnology und als Redakteur von Scrip Intelligence war er Mitbegründer des Beratungsunternehmens für Biowissenschaften, Critical I, das bei der Gründung und Erhaltung von Start-ups hilft und Regierungen, Technologietransferstellen, Wissenschaftsförderern und multinationalen Unternehmen strategische und taktische Beratung bietet.