Plattform Life Sciences: Herr Zobel, wie gestaltet sich die Struktur der Mieter im IZB Martinsried? ­Welche Trends stechen hier hervor?

Zobel: Es gibt nur wenige Medikamentenentwickler im IZB. Einen großen Schwerpunkt über die letzten 20 Jahre bildeten die Unternehmen aus dem Dienstleistungssektor. ­Insofern fällt die Abhängigkeit von Venture Capital auch etwas geringer aus. Umgekehrt ist der Kapitalbedarf in der erstgenannten Gruppe immens. Trotzdem kann man an den vorhin genannten Beispielen sehen, dass Start-ups mit erfolgreichen Konzepten den Finanzierungsbedarf umsetzen können. Grundsätzlich fußt das dynamische Wachstum der jungen Branche auf der Forschung am Standort München. Mehr als 90% der ­Unternehmensgründungen gehen auf die universitären und außeruniversitären Forschungsinstitute in den Bereichen Biologie, Chemie, Medizin, Pharmazie zurück. Zudem präsentieren sich die Jungunternehmer heute wesentlich professioneller. Das liegt sicherlich auch daran, dass es immer mehr Coaching-Angebote der Gründerszene in Bayern gibt.

Domdey: Wo wir insgesamt hinterherhinken, ist die Entwicklung in der CRISPR/Cas-Technologie. Natürlich sind die entsprechenden Patente andernorts angemeldet, das sollte uns jedoch nicht daran hindern, ebenfalls auf diesem Gebiet tätig zu werden. Da ist ­leider wieder die berühmte deutsche Angst da, in ein neues Gebiet einzusteigen, auch wenn es mitunter berechtigte Kritik gibt.

Plattform Life Sciences: Abschließend: Um welche Trends in der Biotechnologie werden wir nicht herumkommen?
Ausblick: „Die Übergänge zwischen der roten Biotechnologie und Digital Health werden immer fließender.“

Birner: Neben CRISPR/Cas und der Immunonkologie sehe ich die Erforschung der ­seltenen Krankheiten ganz vorne. Laut FDA gibt es über 7.000 seltene Krankheiten, für knapp die Hälfte davon existieren ursächlich definierte Behandlungsmöglichkeiten. Auch seltene Krebserkrankungen spielen in diesen Bereich hinein.

Grandios ist die Tatsache, dass in Deutschland zu fast jeder dieser seltenen Krankheiten an einer Forschungseinrichtung eine entsprechende Forschungsgruppe existiert. Das ist für Biotechnologiefirmen interessant, weil sie mit relativ wenig Aufwand ein Produkt zur Marktreife bringen können. Man benötigt weniger Patienten für klinische Studien und die Hürden für Zulassungen sind vergleichsweise niedriger. Und schließlich verbirgt sich dahinter ein enormes Marktpotenzial.

Prof. Dr. Horst Domdey, BioM

 

„Forscher, die Resultate produzieren, müssen einen noch besseren ­Zugang zu Patienten­daten erhalten, natürlich anonymisiert, damit sie sich auf die entsprechenden Targets konzentrieren können.“

 

DomdeyAuch in München gibt es in dieser Hinsicht große Aktivitäten, etwa in Groß­hadern im Bereich der seltenen Krebs­erkrankungen.

Entscheidend ist auch hier der Technologietransfer. Forscher, die Resultate produzieren, müssen einen noch besseren Zugang zu Patientendaten erhalten, natürlich anonymisiert, damit sie sich auf die entsprechenden Targets konzentrieren können.

Honold: Eine Möglichkeit, Gründungen zu fördern, wären „Gründungs-Sabbaticals“ wie in Industrie und öffentlichem Dienst, die es Forschern ermöglichen würden, vorübergehend aus ihrem angestammten Verhältnis herauszugehen, um zu gründen, dies jedoch in der Gewissheit, zu einem späteren Zeitpunkt wieder zurückkehren zu können.

Birner: Ein weiterer wichtiger Trend ist die Digitalisierung der Gesundheit. Das ist zwar in den meisten Fällen noch weit von der klassischen Life Science entfernt, trotzdem gibt es bereits die ersten Crossovers, wenn beispielsweise eine App entwickelt wird, über die Teilnehmer einer klinischen Studie ihre Daten übermitteln können. Das ist ein faszinierender Trend, dem wir uns nicht verschließen können.

SpillnerDie Übergänge zwischen der roten Biotechnologie und Digital Health werden immer fließender, die Abgrenzungen zwischen den Branchen verschwimmen zunehmend. Das gilt auch für andere Segmente, wie die Automobilindustrie. Viele Biologen werden inzwischen von Google & Co. rekrutiert.

Ähnliches gilt für die Charakterisierung von Businessplänen und auch für Fonds. Die klassische Fokussierung auf bestimmte ­Segmente, wie Life Sciences, wird immer mehr aufgehoben. Es wird in Zukunft nicht mehr nur Schwarz oder Weiß geben, sondern eine Menge Grau, was aber eine echte Chance ist.

Plattform Life Sciences: Meine Herren, vielen Dank für das ­interessante Gespräch!

Das Interview führten Benjamin Heimlich und Holger Garbs.

 


Dieser Artikel ist erschienen in der Ausgabe „Biotechnologie 2017“, die Sie bei uns auf der Seite bequem bestellen oder als E-Magazin lesen können.

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