Regel 3: Zielgerichtete, stringente Versammlungsleitung
Der Deutsche Corporate Governance Kodex definiert, dass eine ordentliche Hauptversammlung nach vier bis sechs Stunden beendet sein solle. Das bedeutet, dass ausschweifende, unsachliche und/oder ideologisch getriebene Redner konsequent in ihre Schranken gewiesen werden sollten. Dazu gehört auch, dass Redebeiträge, die schlichtweg nichts mit der Tagesordnung zu tun haben, in jedem Fall unterdrückt werden müssen. Redebegrenzungen sollten konsequent überwacht werden. Dabei sollte man nicht davor zurückscheuen, nach mehrmaliger Verwarnung, nachhaltige Störer (zumindest vorübergehend) des Saales zu verweisen. Auch das Ende der Generaldebatte sollte frühzeitig angekündigt und entsprechend durchgezogen werden.

Regel 4: Transparente Durchführung der Hauptversammlung
Eng mit der zielgerichteten Versammlungsleitung verknüpft ist eine transparente Durchführung der Hauptversammlung. Das bedeutet, dass es keine Änderungen oder Umstellungen der Beschlusstexte und -inhalte geben sollte – auch im Hinblick auf ausländische Investoren, die ggfs. Änderungen nicht nachvollziehen können. Damit einher geht die transparente Durchführung der Abstimmung: Wann immer möglich, sollte die Abstimmung in einem Wahlgang durchgeführt werden. Sind mehrere Wahlgänge notwendig, weil beispielsweise die Abstimmungspunkte einander bedingen, sollte die Zeit während der Stimmauszählung genutzt werden, um in der HV voranzuschreiten.

Auch die Frage des richtigen Wahlverfahrens gilt es zu stellen. Das Subtraktionsverfahren bietet sich bei hohen Zustimmungsquoten an, wohingegen bei Anträgen dieses aufgrund von doppelten Verneinungen für Aktionäre oftmals nur schwer verständlich ist. Dies ist wohl ein Grund für die Renaissance des Additionsverfahrens. Man sollte sich immer darüber im Klaren sein, dass eine Umstellung des Abstimmungsverfahrens immer zu einer großen Verwirrung führt, die dann besonders anschaulich aufgeklärt werden muss. Dies gilt insbesondere für Anträge von Aktionären. Hier sollte die Versammlungsleitung unmissverständlich erläutern, wie die Aktionäre abzustimmen haben, um den Antrag eben zu unterstützen oder aber abzulehnen. Denn gerade hier kommt es sehr oft zu großen Missverständnissen bei den Aktionären.

Regel 5: Effizientes Backoffice mit vorbereitetem Q&A-Katalog
Eine gute Vorbereitung der HV ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Das gilt insbesondere auch für die Vorbereitung des Backoffice. Fragenkataloge, Vorgespräche mit wichtigen Aktionären und Aktionärsvereinigungen sowie Abstimmrichtlinien werfen zahlreiche Fragen auf, die man im Vorfeld einer Hauptversammlung vorbereiten kann. Dabei reicht es nicht, Antworten in einem System zu hinterlegen. Vielmehr müssen die Antworten im Vorfeld auch vom Vorstand und/oder der Rechtsabteilung bzw. dem Rechtsbeistand freigegeben werden. Eine Abstimmung während der HV führt zwangsläufig zu unschönen Unterbrechungen.

Ganz wichtig dabei: Sehr wahrscheinliche Fragen bzw. Fragen zu „Leichen im Keller“ sollten vor der HV antizipiert und die Antworten mit allen Beteiligten – ggfs. auch mit beteiligten Dritten – abgestimmt werden.

Regel 6: Authentische, konzentrierte Fragenbeantwortung
Zumeist werden auf Hauptversammlungen die Fragen durch den CEO, teilweise noch durch den CFO beantwortet.
Bedeutend für den Aktionär ist, dass die Antworten gezielt auf die gestellten Fragen eingehen und nicht unnötig abgeschweift wird. Nicht zur Tagesordnung gehörende Fragen sollten konsequent aussortiert werden. Zudem sollte darauf geachtet werden, dass Vorstände nicht zu „Vorlesern“ werden. Vielmehr sollten Fragen, die unkritisch sind und z.B. im Rahmen von Investorenpräsentationen vom Vorstand bereits vielfach beantwortet werden und wurden, frei vom Vorstand beantwortet werden können (Mehr zum Thema „Spannende Generaldebatte“ siehe Sonderausgabe „HV-Recht 2016“, Seite 34‑35).

Hier ein überspitztes Beispiel für eine Kunstpause, in der sich der Vorstand schlecht darstellt: Ein Aktionär stellt eine Frage nach dem Firmenwagen des Vorstandsvorsitzenden. Der CEO hat keine weiteren Antworten mehr zu verlesen und muss sagen, dass er auf die Antwort aus dem Backoffice warte. Dann verliest er: „Mein Firmenwagen ist ein 5er BMW.“

Beachten sollte man auch, dass Kunstpausen durchaus ebenso der Gesellschaft in den Nacken fallen können. Dies gilt nämlich genau dann, wenn durch viele Kunstpausen die Hauptversammlung in die Länge und in den frühen Abend gezogen wird, dann jedoch ein solch vergiftetes Klima herrscht, dass die Hauptversammlung nicht mehr bis 24:00 Uhr beendet werden kann. Hier gilt wie so oft im Leben: „Wie man es hineinruft, so schallt es auch heraus.“ Eine vollkommen auf Abwehr ausgerichtete HV-Strategie hat in den seltensten Fällen wirklich zu dem gewünschten Ergebnis geführt.

Regel 7: Keine Anfechtung bzw. Anfechtungsgründe
Ob eine HV wirklich gut vorbereitet war und damit erfolgreich ist, zeigt sich daran, ob es im Nachhinein zu Anfechtungsklagen kommt und ob diese Anfechtungen auch begründet sind. In der Regel ist eine professionelle und rechtskonforme Vorbereitung ein Garant dafür, dass Anfechtungen keine Chance haben. Dies bedeutet, dass in das Vorbereitungsteam ein HV-erfahrener Rechtsanwalt als Praktiker miteinbezogen werden sollte, ebenso wie ein erfahrener HV-Dienstleister mit bewährten internen Abläufen und erprobter Software. Die Technik für Registration und Abstimmung sollten schließlich an den Versammlungsraum und das Konfliktpotenzial einer Hauptversammlung ausgerichtet werden.

Fazit
HV-Verantwortliche scheuen oftmals, neue Wege zu gehen. Ein „so wie immer“ gaukelt oftmals eine gewisse Sicherheit vor. Dabei sollte nicht übersehen werden, dass jede HV ein neuer Event ist, mit einem neuen Charakter und neuen Vorzeichen. Die Vorbereitung auf die leichte Schulter zu nehmen, kann sich rächen. Insofern sollten in der Vorbereitung immer alle Prozesse auf den Prüfstand gestellt und eruiert werden, wo es Optimierungsbedarf gibt. Ist dieser allokiert und neue Lösungen wurden gefunden, so muss jedoch auch das ganze Team mitziehen: Die besten Ideen nützen nichts, wenn sie nicht auch in der Praxis umgesetzt werden.

Insgesamt wäre es wünschenswert, dass die Verwaltung in Sachen HV ein wenig aus ihrer klassischen „passiven“ Rolle“ heraustritt und wieder vermehrt aktiv mitgestaltet. Unsere vielen Gespräche zeigen häufig, dass man eine Hauptversammlung als eine Veranstaltung ansieht, auf der es allein darum geht, eben möglichst „nicht zu verlieren“. Dann jedoch überrascht es nicht, dass eben viele Hauptversammlungen auch genau in dieser Weise von den Gästen und damit den Aktionären wahrgenommen werden und sich diese „Unlust“ auf alle Beteiligten überträgt. Die rechtlichen Möglichkeiten und die notwendige Flexibilität für attraktivitätssteigernde Veränderungen hat der Regulierer gerade in den letzten Jahren den Unternehmen bewusst eingeräumt (siehe Interview mit Professor Dr. Ulrich Seibert vom BMJV auf S. XXX). Nun gilt es, die verschiedenen Möglichkeiten auch wirklich zu nutzen, um der Hauptversammlung künftig wieder einen Mehrwert für alle Beteiligten zu bringen und mehr Leben einzuhauchen.

Bernhard Orlik, Vorstand, HCE Haubrok AG, bo@hce.de

Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer, DSW e.V., marc.tuengler@dsw-info.de

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