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Der Begriff „Präsenz“ ist seit ewigen Zeiten als Kennziffer für die Beteiligung der Aktionäre an der Hauptversammlung bekannt und fester Bestandteil der Pressemeldungen bzw. der Dokumentation der HV auf der Website der Gesellschaft. Doch spätestens seit Einführung der virtuellen HV hat dieser Begriff ausgedient. Und obwohl die Präsenz im Aktiengesetz nicht einmal erwähnt wird, ist sie gerade wieder einer der meistdiskutierten Begriffe für die kommende HV-Saison.

Je nach Blickwinkel dienen für die Beurteilung der Größe einer Hauptversammlung verschiedene Kennzahlen: So kann die Anzahl der Köpfe der HV-Besucher herangezogen werden, bei digitalen Versammlungen die Zahl der Zuschaltungen oder aber grundsätzlich auch der Prozentsatz des auf der Hauptversammlung vertretenen Grundkapitals. Letzteres ist die für Investoren und den Markt gebräuchlichste Definition. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, wie viele der das Grundkapital repräsentierenden Aktien in der HV vertreten waren. Anders formuliert: Wie breit ist die Aktionärsbasis, auf der die in der HV gefassten Beschlüsse basieren?

Gültige Stimmen vs. Präsenz

Von derartigen Ideen war wohl auch der Gesetzgeber inspiriert, als er im Rahmen des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) bereits im Jahre 2009 den § 130 des Aktiengesetzes neu gefasst hat. Zu jeder Beschlussfassung ist anzugeben, wie viele „gültige Stimmen“ abgegeben wurden und welchen Prozentsatz am eingetragenen Grundkapital diese „gültigen Stimmen“ vertreten. Der Gesetzestext aus 2009 war missverständlich, sodass der Gesetzgeber sich im Rahmen der Aktienrechtsnovelle 2016 zu einer Klarstellung genötigt sah.

Die Kennziffer der „gültigen Stimmen“ eignet sich jedoch nur bedingt dazu, die Breite der Legitimation eines Beschlusses zu dokumentieren. Die „gültigen Stimmen“ definieren sich nämlich als Summe der abgegebenen Ja- und Nein-Stimmen. Enthaltungen und ggf. nicht stimmberechtigte oder ungültige Stimmen gehen hier nicht ein. Müssen beispielsweise bei einem Entlastungsbeschluss größere Aktienpakete eines Ankeraktionärs wegen der Bestimmung des § 136 Abs. 1 AktG als nicht stimmberechtigt gekennzeichnet werden, so verlieren die „gültigen Stimmen“ ihre Aussagekraft.

Teilnehmerverzeichnis vs. Präsenz

Ein weiteres Mal wird der Begriff der Präsenz im Zusammenhang mit dem Teilnehmerverzeichnis verwendet. Von der Grundidee des § 129 (1) Satz 2 AktG ist dieses eine Auflistung aller Aktionäre bzw. Aktionärsvertreter, die zu irgendeinem Zeitpunkt der HV beigewohnt haben – also präsent waren, unabhängig davon, ob sie die HV vor ihrem Ende verlassen haben oder erst nach Beginn gekommen sind. Bei Ermittlung dieser Kennziffer zum Zeitpunkt einer Beschlussfassung wären die Aktien bzw. Stimmen aller Aktionäre umfasst, die im Rahmen der Beschlussfassung die Möglichkeit zur Stimmabgabe hatten. Dies würde dem Ziel, zu dokumentieren, wie breit die Aktionärsbasis bei der Abstimmung war, schon sehr exakt entsprechen. Im Übrigen ist dies auch die Präsenz, die bei Anwendung des Subtraktionsverfahrens als Basis zur Ermittlung des Abstimmungsergebnisses festgestellt wird.

Briefwahl vs. Präsenz

Hier könnte die Begriffsdeklination der Präsenz eigentlich enden, wäre da nicht das Thema mit der Briefwahl. Der § 118 Abs. 2 AktG bestimmt, dass Aktien, für die das Stimmrecht schriftlich oder im Wege der elektronischen Kommunikation abgegeben wurde, nicht an der HV teilnehmen. Diese Aktien sind also nicht Bestanteil des Teilnehmerverzeichnisses und scheinen somit auch nicht in der vorab beschriebenen Präsenz auf. Bis zur HV-Saison 2020 spielte diese feine Unterscheidung faktisch keine Rolle, da nur eine verschwindend kleine Anzahl von Stimmrechten im Wege der Briefwahl ausgeübt wurde. Mit Einführung der Covid-19-virtuellen HV änderte sich dies dramatisch. Auf einmal wurde über die Internetportale teilweise die meisten Stimmrechte mittels Briefwahl ausgeübt. Zumindest bei den ersten virtuellen Hauptversammlungen konnte man bei Verkündung der Präsenz in sehr zweifelnde Gesichter bei Vorstand und Aufsichtsrat sehen.

Kann es sein, dass wir nur eine Präsenz von wenigen Prozent haben? Haben unsere Ankeraktionäre denn nicht abgestimmt? Man konnte beruhigen: Doch, das haben sie – aber eben per Briefwahl. Deshalb sind diese Aktionäre nicht Bestandteil des Teilnehmerverzeichnisses und daraus abgeleitet auch nicht der Präsenz zum Zeitpunkt der Abstimmung. Da dieser gesetzeskonforme Ausweis der Präsenz auch in der Öffentlichkeit wenig bekannt war, bildete es sich als Best Practice heraus, neben den vertretenen Stimmen im Teilnehmerverzeichnis – quasi in einer Fußzeile – nachrichtlich noch die Summe der Aktien zu erwähnen, für die das Stimmrecht per Briefwahl wahrgenommen wurde.

Zugeschaltete Aktionäre vs. Präsenz

Seit September 2022 ist die Covid-19-virtuelle HV bekanntlich Geschichte, da der Gesetzgeber die virtuelle HV dauerhaft im Aktienrecht neu geregelt hat. Im Zuge dieser Novelle wurde dann auch gleich der § 129 AktG zum Teilnehmerverzeichnis ergänzt: „Im Fall der virtuellen Hauptversammlung sind die elektronisch zu der Versammlung zugeschalteten oder vertretenen Aktionäre und die elektronisch zu der Versammlung zugeschalteten Vertreter von Aktionären in das (Teilnehmerverzeichnis) aufzunehmen.“ Der Gesetzgeber stellt nunmehr also nicht mehr auf die Teilnahme oder Vertretung in der HV ab, sondern auf eine technische Zuschaltung. Damit entfällt die Unterscheidung zwischen der persönlichen Stimmabgabe oder über einen Aktionärsvertreter bzw. der Briefwahl; es stellt sich aber die Frage, wie man die „Zuschaltung“ zu verstehen hat.

Bei einer der ersten virtuellen Versammlungen nach neuer Rechtslage übten maßgebliche Aktienbestände im Vorfeld der HV das Stimmrecht per Briefwahl aus und sie waren während der Versammlung nicht über das Internetportal zugeschaltet. Sie konnten/durften somit nicht in das Teilnehmerverzeichnis aufgenommen werden, da sie per aktienrechtlicher Definition nicht als „vertreten“ zu klassifizieren sind. Die „Präsenz“ zugeschalteter Teilnehmer war somit signifikant geringer als die bei den Abstimmungsergebnissen ausgewiesene Anzahl der gültig abgegebenen Stimmen, denn hier finden die Briefwahlstimmen wie gewohnt Eingang. Die so ermittelte Präsenz ist also auch völlig untauglich, um den Anteil des Grundkapitals zu zeigen, der an der Beschlussfassung mitgewirkt hat. Noch schwieriger wird es, wenn auch die Möglichkeit der Bevollmächtigung eines Stimmrechtsvertreters möglich ist, denn dieser wird auch zukünftig auf einer virtuellen HV „präsent“ sein, und damit kann das zu einer dritten Kennzahl führen, die wiederum aber nichts mit den zugeschalteten Teilnehmern sowie den gültig abgegebenen Stimmen zu tun hat.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Einladung der Hauptversammlung von Uniper, die mangels abzustimmendem TOP auf ihrer Hauptversammlung am 19. Dezember 2022 bereits in den Teilnahmebedingungen definiert, wie zugeschaltete Teilnehmer zu werten sind – de facto als Gäste, sofern sie den Stimmrechtsvertreter oder einen Dritten bevollmächtigt haben.

Die „Präsenz“ der Zukunft neu denken

Blickt man da noch durch? Dabei wäre es doch so einfach: Die „Präsenz“, die im Nachgang zur HV veröffentlicht wird, umfasst die anwesenden oder vertreten Stimmen des Teilnehmerverzeichnisses alter Prägung zzgl. der Stimmen, für die per Briefwahl abgestimmt wurde. Setzt man diese Summe ins Verhältnis zum aktuellen Grundkapital (ausdrücklich nicht zum in der Satzung eingetragenen Grundkapital, denn das kann durchaus überholt und geringer sein), kann ein externer Dritter sofort ersehen, von welcher Breite des Grundkapitals der jeweilige Beschluss der HV getragen wurde. Und die Kennzahl der Zuschaltung wäre dann nicht mehr oder nicht weniger als die Einschaltquote beim Fernsehen.

Autor/Autorin

Daniela Gebauer, Senior-Beraterin bei Computershare Deutschland GmbH & Co. KG
Daniela Gebauer

Daniela Gebauer ist Senior-Beraterin bei Computershare Deutschland GmbH & Co. KG.