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Die virtuelle HV steht seit Jahren in der Kritik. Sie bringt weitreichende Einschnitte bei den Mitwirkungs- und Kontrollrechten der Anteilseigner mit sich und sorgt für mangelnde Transparenz. Dagegen wächst immer stärker der Widerstand der Aktionäre. Mit dem Format der echten hybriden HV liegt längst ein passender Lösungsvorschlag auf dem Tisch, der die Interessen aller beteiligten Seiten angemessen berücksichtigen würde.
Die seit 2022 gesetzlich festgeschriebene Möglichkeit für Aktiengesellschaften, ihre Jahreshauptversammlungen auch rein virtuell auszurichten, ist rege in Anspruch genommen worden. Laut dem HV-Report der DSW – Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz haben 74% der im Leitindex DAX vertretenen Unternehmen im Jahr 2024 diesen Weg gewählt, also 28 von 40. Für eine Präsenz-HV entschieden sich unter anderem adidas, BASF und die Deutsche Telekom. In der laufenden HV-Saison ist die Verteilung ähnlich, aber man erkennt einen Trend zurück zu physischen Treffen. Dies ist Folge der wachsenden Kritik von Aktionärsgruppen und Stimmrechtsberatern, die rein digitale Formate als „Vorstands-TV“ ohne ausreichende Mitwirkungsmöglichkeiten der Aktionäre ansehen. Deren Kritik hat beispielsweise bei TUI und Siemens dafür gesorgt, dass ab 2026 bei diesen Unternehmen wieder Präsenzversammlungen stattfinden müssen.
Trend geht bei Nebenwerten zu Präsenz
Im MDAX und SDAX sieht es erfreulicher aus, denn dort geht der Trend deutlich zurück zur Präsenzversammlung. Was bisher selten – jedenfalls nicht im DAX – angeboten wurde, ist ein echtes hybrides Format; also eine physische Kernveranstaltung plus digitaler Teilnahme inklusive aller wichtigen Frage- und Antragsrechte. Im Ausland wird diese Form der HV immer populärer, vor allem im Vereinigten Königreich und den Niederlanden. Viele Experten fordern eine hybride HV auch in Deutschland, zumindest bei wichtigen Entscheidungen, bei der die Aktionäre die Wahl zwischen persönlichem Erscheinen und einer Teilnahme über das Internet haben. Sie argumentieren, dass die Coronazeit schon lange vorbei sei und kein Grund mehr für das Verharren im unpersönlichen, virtuellen Raum sein könne.
Vorteile evident
Warum der Aufwand für eine hybride HV? Diese Frage stellen sich einige der Protagonisten in den Unternehmensleitungen, denn in der Tat ist es aufwendiger, eine HV sowohl physisch als auch digital zu gestalten. Die Vorteile sind aber evident: Die hybride Variante verbindet die Dynamik und Authentizität einer Liveveranstaltung mit denen des Digitalen, also der Ersparnis von Zeit und Reiseaufwand. Damit verknüpft sie die Möglichkeiten des persönlichen und physischen Austauschs mit der Möglichkeit hoher Präsenz, auch für Kleinaktionäre. Beim Hochamt der Aktionäre ist der Austausch untereinander mindestens genauso wichtig wie der direkte Kontakt zu den Managern, Stichwort „lebendige HV“. Die Forderung einer stärkeren Bindung des Aktionärs an das Unternehmen wäre durch hybride Formate viel eher gegeben. Auch hat sich die Hoffnung auf eine größere Zahl von Teilnehmern des stimmberechtigten Kapitals im rein digitalen Bereich nicht erfüllt. Diese ist in etwa gleich wie bei der Präsenzversion. Die Hoffnung ist, dass sich dies in der hybriden Zukunft verbessern lässt. Voraussetzung ist natürlich die einwandfreie technische Umsetzung – und keine schwarzen Bildschirme, wie man sie bereits erleben musste.
Vereins- und Genossenschaftsrecht ist weiter
Im Vereins- und Genossenschaftsrecht hat der Gesetzgeber – gerade auch nach den Erfahrungen der Coronazeit – zwischenzeitlich ausdrücklich hybride Mitgliederversammlungen zugelassen (siehe § 32 BGB n.F. und § 43b GenG n.F.). In der GmbH ist die Lage bereits ohne explizite Regelung immer schon flexibler. Dabei bietet das Genossenschaftsrecht mit der Möglichkeit des „gestreckten Verfahrens“ (eine der Erörterungsphase zeitlich nachgelagerte Abstimmungsphase) noch weitere Partizipationsformen an.
Die Frage liegt nahe, warum eine solche Lösung nicht auch für das Aktienrecht zugelassen wurde. Die Antwort liegt auf der Hand: Offensichtlich besteht für eine (große) Aktiengesellschaft – anders als für Vereine und Genossenschaften – das Problem, dass sie nicht gleichzeitig Räumlichkeiten für eine nicht vorhersehbare Zahl von physischen Teilnehmern vorhalten und zugleich die Versammlung virtuell abhalten kann. Eine Lösung muss also hier ansetzen. Nahe liegt es dabei, die inzwischen gesetzlich verankerten Mechanismen, mit denen bei einer virtuellen Versammlung das Frage- oder Redevolumen beschränkt oder – besser – organisiert wird, auch auf eine – dann ergänzend – stattfindende physische und damit hybride Veranstaltung zu übertragen.
Das betrifft vor allem die ganz banale Frage, welche maximale Teilnehmerzahl für eine physische Versammlung angesetzt werden darf (und damit die dafür entstehenden Kosten), und zum Zweiten den Mechanismus, wie die Zulassung von Aktionären zur physischen Versammlung beschränkt werden darf, wenn mehr Interessenten als Plätze vorhanden sind. Ähnliche Diskussionen werden – das sei am Rande angemerkt – inzwischen auch in den Universitäten geführt, wo „post-Corona“ die Frage diskutiert wird, ob wirklich alle Hörsäle immer auf die maximale Teilnehmerzahl plus Reserve ausgerichtet sein müssen, oder ob man nicht einigen Studierenden „zumuten“ kann, die Veranstaltung am Bildschirm zu verfolgen.
„Die Forderung einer stärkeren Bindung des Aktionärs an das Unternehmen wäre durch hybride Formate viel eher gegeben.“
Kapitalmarktrechtlicher Ansatz liegt nahe
Was die seitens der Gesellschaften zu treffenden Regelungen angeht, ist dabei ein kapitalmarktrechtlicher Ansatz plausibel, gerade weil hier die Grenzlinie zum Kapitalmarktrecht ohnehin tangiert ist. Danach sollten allgemeine Beschränkungen des Zugangs zu einer (hybriden) HV ebenso wie die Auswahlkriterien im Falle einer solchen Zugangsbeschränkung entweder einer Genehmigung der BaFin bedürfen oder dieser jedenfalls angezeigt werden. Damit kann zugleich auch die notwendige Rechtssicherheit gegenüber denkbaren Anfechtungsklagen erreicht werden.
Zu erinnern ist insoweit, dass sich die am Erlass der jetzt geltenden aktienrechtlichen Regelung der an der vorherigen Regierung beteiligten Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für eine fortlaufende Evaluation der neuen Regelungen ausgesprochen hatte, was „sie insbesondere mit den bisher ausschließlich unter Pandemiebedingungen gesammelten Erfahrungen sowie der ständigen Aktualisierung technischer Systeme [begründete]“ (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 20/2653, S. 30). Das gilt es fortzusetzen.
Fazit
Die echte hybride HV – als gesetzgeberische Option – verbindet die Vorteile der Liveveranstaltung mit denen des Digitalen, also der Ersparnis von Zeit und Reiseaufwand. Was heute schon in Verein und Genossenschaft möglich ist, sollte auch für die Aktiengesellschaft zugelassen werden. Die bei Großveranstaltungen wie HVs in einem solchen Fall notwendigen Zugangsbeschränkungen für die physische Teilnahme und die ggf. notwendigen Auswahlkriterien im Falle einer solchen Zugangsbeschränkung sollten durch Einbeziehung der BaFin rechtssicher ausgestaltet werden können.