Der Aufsichtsratsbeschluss sei auch nicht wegen Unbestimmtheit unwirksam. Zwar müssten Aufsichtsratsbeschlüsse aus Gründen der Rechtssicherheit ausdrücklich gefasst werden, sie seien gleichwohl der Auslegung zugänglich, die nicht auf den Wortlaut beschränkt, sondern auch außerhalb des Beschlusstextes zum Ausdruck kommende Umstände einzubeziehen habe. Auch die Tatsache, dass der Aufsichtsrat ausweislich des Protokolls und des Vortrags keine eigenen Erwägungen zur Ausübung des bestehenden Ermessens angestellt habe, führe als bloßer interner Mangel der Willensbildung des Aufsichtsrats nicht „ohne weiteres“ zur Unwirksamkeit der im Außenverhältnis abgegebenen Gestaltungserklärung. Das Vorstandsmitglied sei dadurch geschützt, dass im gerichtlichen Verfahren die Herabsetzung auch der Höhe nach auf die Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vorgaben geprüft werde.

Das Recht zur Herabsetzung der Bezüge gem. § 87 Abs.2 AktG sei ein einseitiges Gestaltungsrecht der AG, das durch eine Gestaltungserklärung ausgeübt werde, die der Aufsichtsrat in Vertretung der Gesellschaft gem. § 112 AktG gegenüber dem Vorstandsmitglied abgebe. Die Kundgabe des Herabsetzungsbeschlusses genüge, um die Gestaltungswirkung und damit die Änderung der Vergütungsvereinbarung eintreten zu lassen. Ob es sich um ein ehemaliges Vorstandsmitglied handele, sei unerheblich. Die Regelung erlaube nicht nur die Herabsetzung der Bezüge aktiver Vorstandsmitglieder, sondern betreffe auch die Bezüge ausgeschiedener Vorstandsmitglieder, wie sich aus § 87 Abs.2 Satz 2 AktG ergebe.

Bewertung

Bisher wurde § 87 Abs.2 AktG vor allem in Kommentaren behandelt. Der BGH klärt, dass die Norm auch auf ehemalige Vorstandsmitglieder Anwendung findet und die nach Insolvenzeröffnung bestehende Kündigungsmöglichkeit des Insolvenzverwalters gem. § 113 InsO die Geltung und zeitliche Reichweite der Herabsetzungsmöglichkeit auch für das Insolvenzverfahren nicht ausschließt. Dies und systematische Erwägungen sprechen dafür, dass das Gestaltungsrecht des § 87 Abs.2 AktG auch im Insolvenzverfahren vom Aufsichtsrat und nicht durch den Insolvenzverwalter ausgeübt wird; diese sehr umstrittene Frage lässt der BGH (mit kaum tragfähiger Begründung) offen.

Allein die Tatsache, dass verschiedene Grundfragen des § 87 Abs.2 AktG erstmals durch den BGH behandelt werden, mag der Vorschrift in der Praxis zu einer größeren Bedeutung verhelfen. Abweichend von seiner sonstigen Spruchpraxis gibt der II. Senat obiter eine Reihe von Anhaltspunkten und Argumenten für künftige Auseinandersetzungen. Er stellt nicht nur fest, dass § 87 Abs.2 AktG mit Blick auf Art.2 Abs.1, Art. 14 Abs.1 GG restriktiv auszulegen ist, sondern hebt hervor, dass die Norm keine Herabsetzung der Bezüge erlaubt, die weiter geht, als es die Billigkeit angesichts der Verschlechterung der Lage erfordert. Nur die Korrektur auf einen (gerade noch) der Billigkeit entsprechenden, im Rahmen des Beurteilungsspielraums des Aufsichtsrats höchstmöglichen angemessenen Betrag ist gerechtfertigt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, inwieweit die Verschlechterung der Lage der Gesellschaft dem Vorstandsmitglied zurechenbar ist. Keine Untergrenze ergibt sich aus der Bezahlung anderer Angestellter, da diese – anders als das Vorstandsmitglied – keiner besonderen Treuebindung unterliegen und eine Herabsetzung von deren Gehältern daher nicht in Betracht kommt. Die Beurteilung des Aufsichtsrats wird uneingeschränkt gerichtlich überprüft. Das Gericht hat, bei der rechtlichen Prüfung der Billigkeit sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen, dies schließt auch die Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Vorstandsmitglieds ein. Die Darlegungs- und Beweislast trägt grundsätzlich die Gesellschaft, die von der vertraglich vereinbarten Vergütung abweichen will.

Der Autor Prof. Dr. Matthias Schüppen ist Partner bei GRAF KANITZ, SCHÜPPEN & PARTNER

Der Artikel erschien zuerst im HV Magazin 1/2016.

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