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Bedrohen KI-Tools wie ChatGPT, LLaMa oder Bard bestehende Prozesse im Finanzsektor, beispielsweise im Aktienresearch? Eine Umfrage unter DVFA Investment-Professionals zeichnet ein differenziertes Bild, das Chancen wie auch Herausforderungen beim Einsatz von KI im Research beleuchtet.
Unter den Mitgliedern der DVFA Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management e.V. liegt ein recht klares Meinungsbild vor: Ein vollständiger Ersatz menschlicher Analysten durch KI wird von den Befragten in den kommenden fünf bis zehn Jahren nicht erwartet. Stattdessen halten es 49% der Befragten für wahrscheinlich, dass KI einen erheblichen Anteil des Researchprozesses automatisiert und menschliche Analysten sich auf strategische, nicht automatisierbare Aufgaben fokussieren. Weitere 49% sehen KI eher als unterstützendes Werkzeug, das die Expertise des Menschen ergänzt, jedoch nicht ersetzt.
Wenig anderes war zu erwarten gewesen: Schon Warren Buffett hat postuliert, dass man keinen Friseur fragen sollte, ob man einen Haarschnitt brauche. Zur allgemeinen Entspannung ist allerdings festzuhalten, dass Aktienresearch mehr ist als die bloße Analyse der Unternehmensentwicklung, der Marktpositionierung und der Bilanz- und Ertragslage. Es ist auch mehr als die Anwendung von Bewertungsverfahren wie dem Discounted-Cashflow-Modell oder die Berechnung von Peergroup-Multiples.
Jobprofil eines Analysten
Wesentliche Elemente des Aktienresearchs erfordern nicht nur Datenverarbeitungskompetenz, sondern auch Kontextverständnis, interdisziplinäre Interpretationen sowie die Fähigkeit zur Antizipation diskontinuierlicher Entwicklungen – Fähigkeiten, die bislang menschlichen Analysten vorbehalten sind. In den Profilen von Headhuntern werden nicht nur überdurchschnittliche analytische Fähigkeiten oder eine hohe Belastbarkeit gefordert, sondern auch spezifische Charaktereigenschaften wie Teamarbeit bei gleichzeitiger Durchsetzungsstärke, die Fähigkeit, überlappende Aufgaben bei andauernden Prioritätenwechseln zu managen, oder das selbstständige Arbeiten ohne permanente Supervision – allesamt Anforderungen, die man nicht mit einer Maschine in Kontext bringen würde.
Hat sich das Branchenwissen eines Analysten vor 30 Jahren noch in Leitz-Ordnern ausgedrückt, in denen vielzählige Zeitungsausschnitte gesammelt wurden, ist der Zugang zu Daten heute absolut. Jeder verfügt über das gleiche Wissen. Wenn gleichzeitig Computer immer leistungsfähiger werden, verliert eine rein mechanische – mithin zahlenorientierte – Bewertung an Bedeutung, also genau im Bereich der historischen Datenanalyse, wo die KI ihre Stärken hat. Wenn allerdings ChatGPT die verwendeten Daten zwar aus allen möglichen Quellen bezieht (und diese Quellen auch offenlegt), ihre Algorithmen aber in einer nicht offengelegten Blackbox operieren, fehlt den von der KI entwickelten Handlungsempfehlungen die Nachvollziehbarkeit und lassen sich die KI und deren Anwender für ihre Handlungsempfehlungen nicht verantwortlich machen. Dies belastet die Glaubwürdigkeit, gerade im Investmentbanking. Der geneigte Leser mag sich selbst fragen, ob er einer Aktienempfehlung von ChatGPT dasselbe Vertrauen geben würde wie der eines Finanzanalysten, mit dem er in regelmäßigem persönlichem Kontakt steht.
Fazit
Es ist zu vermuten, dass formelhaftes Maintenance Research durch Analysten – etwa nach Quartalszahlen – an Bedeutung verlieren wird, weil diese Aufgaben von der KI mit deutlich größerer Effizienz übernommen werden können. Ein zeitnaher Niedergang dieses fortlaufenden Researchs ist wahrscheinlich, was durch die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen belegt wird. Gleichzeitig aber ist eine zukunftsgerichtete ideengetriebene Unternehmensanalyse, die neben einer Einschätzung der Wertschöpfung des Geschäftsmodells, seiner Zulieferer und Kunden auch auf einer Markt- und Wettbewerbsanalyse, einer integrierten Finanzplanung mit korrekter Unternehmensbewertung basiert, auf absehbare Zeit nicht ersetzbar.
Autor/Autorin
Peter Thilo Hasler
Gründer und Analyst, Sphene Capital GmbH
Vorstand, DVFA