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Kommentiert von Dr. Thomas Zwissler, ZIRNGIBL Rechtsanwälte Partnerschaft
Das aktienrechtliche Freigabeverfahren ist ein speziell auf die Situation der rechtshängigen Anfechtungsklage zugeschnittenes Eilverfahren. Statthaft ist das Freigabeverfahren allerdings nur bei bestimmten Beschlüssen, die im Aktiengesetz abschließend genannt sind.
Typische Fallkonstellationen für das Freigabeverfahren sind Beschlüsse über Kapitalmaßnahmen und Unternehmensverträge (§ 246a AktG). In Betracht kommt das Freigabeverfahren aber auch bei Eingliederungs- und bei Squeeze-out-Beschlüssen (§ 319 Abs. 6. und § 327e Abs. 2 AktG). Für Umwandlungs-vorgänge steht das umwandlungsrecht-liche Freigabeverfahren zur Verfügung (§ 16 Abs. 3 UmwG).
Überwindung der Eintragungssperre
Allen Beschlüssen, die für ein Freigabeverfahren in Betracht kommen, ist die Tatsache gemein, dass sie eintragungsbedürftig sind und die Registergerichte die Eintragung verweigern müssen (oder können), wenn Anfechtungsklage erhoben ist. Ein positiver Freigabebeschluss beseitigt diese rechtliche (oder ggf. auch nur faktische) Registersperre, ermöglicht also die Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister und das Wirksamwerden der beschlossenen Maßnahme.
Statthaftigkeit des Freigabeverfahrens auch nach Eintragung
Die klassische zeitliche Abfolge der im Kontext des Freigabeverfahrens maßgeblichen Fälle ist wie folgt: Die Hauptversammlung fasst einen eintragungsbedürftigen Beschluss, Aktionäre erheben hiergegen Anfechtungsklage, die Eintragung erfolgt zunächst nicht, die Gesellschaft stellt einen Freigabeantrag, und erst dann, wenn diesem stattgegeben wurde, erfolgt die Eintragung. Allerdings begegnen in der Praxis auch Fälle, in denen der Hauptversammlungsbeschluss ungeachtet einer anhängigen Anfechtungsklage in das Handelsregister eingetragen wird. Es stellt sich in dem Fall die Frage, ob ein Freigabeverfahren dann immer noch notwendig und statthaft ist. Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur spricht sich dafür aus.
Die Entscheidung des Kammergerichts
Gegenstand des Freigabeverfahrens vor dem Kammergericht war ein Squeeze-out-Beschluss der Hauptversammlung der antragstellenden Gesellschaft. Gegen diesen Beschluss waren Anfechtungsklagen mehrerer Aktionäre anhängig. Das Registergericht hatte den Squeeze-out-Beschluss jedoch bereits eingetragen. Zudem hatte die Gesellschaft in einer Folgeversammlung, an der die weichenden Aktionäre nicht mehr teilnehmen konnten, einen Bestätigungsbeschluss gefasst.
Das Kammergericht folgte der herrschenden Meinung und entschied dahin gehend, dass das Freigabeverfahren auch nach erfolgter Eintragung statthaft sei. Wesentliches Argument war dabei die Überlegung, dass die Freigabeentscheidung nicht nur die Eintragung eines Beschlusses ermöglichen solle. Vielmehr vermittle eine positive Freigabeentscheidung zugleich Bestandsschutz, der auch nach der Eintragung des Beschlusses noch relevant sei. Ohne diesen Bestandsschutz könne der Beschluss aufgrund der Anfechtungsklage noch immer für nichtig erklärt und das Register entsprechend ergänzt werden. Das Kammergericht sah jedoch keinen Grund, weshalb der Gesellschaft nach Eintragung des Beschlusses die Möglichkeit genommen sein soll, den im Freigabeverfahren möglichen Bestandsschutz zu erwirken.
Auswirkungen der Eintragung auf Entscheidungsmaßstab?
Das Kammergericht befasste sich im Rahmen seiner Entscheidung auch mit der Frage, ob sich bei erfolgter Eintragung des maßgeblichen Beschlusses der Prüfungsmaßstab im Freigabeverfahren ändert. Hierzu hatte offenbar das OLG Koblenz in einer Entscheidung aus dem Jahr 2010 die Auffassung vertreten, das Vollzugsinteresse der Gesellschaft könne nach erfolgter Eintragung keine Rolle mehr spielen, sodass es nur noch auf das Interesse am Bestandsschutz ankommen könne. Nur dieses wäre dann noch gegen die Interessen der Aktionäre abzuwägen.
Das Kammergericht folgte dem Einwand nicht und entschied, dass die nach dem Gesetz im Freigabeverfahren anzustellende Interessenabwägung aus einer Ex-ante-Perspektive vorzunehmen sei. Nur so ließen sich Widersprüche vermeiden, die sich bei Anwendung unterschiedlicher Maßstäbe ergeben könnten.
Kosten der Hauptversammlung als relevanter Nachteil
Bestätigt hat das Kammergericht in seiner Entscheidung, dass Kosten der (Publikums-)Hauptversammlung, die nach einem Squeeze-out entfallen, relevanter Nichteintragungsnachteil sind bzw. sein können.
Nachdem das Kammergericht im Übrigen keine relevanten Nachteile der im Freigabeverfahren als Antragsgegner agierenden Aktionäre und auch keine besonders schweren Rechtsverstöße feststellen konnte, entschied es zugunsten der Gesellschaft und stellte fest, dass die gegen den Beschluss erhobene Anfechtungsklage der Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister nicht entgegenstehe.
Dieser Artikel ist Teil des neuen HV Magazins 2/2025, welches vor kurzem erschienen ist.
Fazit
Die Entscheidung des Kammergerichts stärkt die herrschende Meinung, die Freigabeanträge auch nach erfolgter Eintragung eines angefochtenen Beschlusses der Hauptversammlung in das Handelsregister zulässt. Durch eine vorzeitige Eintragung soll die Gesellschaft keinen Nachteil erleiden. Ausgehend von dieser Prämisse ist auch die Prüfung der Freigabevoraussetzungen aus einer Ex-ante-Sicht nachvollziehbar und konsequent.
Autor/Autorin
Dr. Thomas Zwissler
Dr. Thomas Zwissler ist Rechtsanwalt und Partner bei der ZIRNGIBL Rechtsanwälte Partnerschaft mbB. Er berät bei gesellschafts-, bank- und kapitalmarktrechtlichen Fragen sowie in allen Fragen der Unternehmensfinanzierung.