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Zusammen haben sie mehr als 1500 Hauptversammlungen besucht. Sie leitet das HV-Geschäft für Kontinentaleuropa bei Computershare, er war bis vor kurzem der Geschäftsführer einer der härtesten Konkurrenten in Deutschland. Ein Gespräch über Probleme, Lösungen und Perspektiven in einem engen Markt, in dem die Aufgaben vielfältig, erfahrenes Personal knapp und die Bedürfnisse der Kunden herausfordernd sind.

HV Magazin: Herr Orlik, der Markt war etwas überrascht, dass Sie schon zum 1. Dezember wieder aktiv in das HV-Geschehen eingreifen. Nach fast sechs Jahren als Geschäftsführer von Link Market Services in Deutschland und insgesamt mehr als 25 Jahren im HV-Geschäft haben Sie zur größten Konkurrenz gewechselt. Was hat Sie dazu bewogen?

Orlik: In der Tat war mein Plan, das „Frührentnerdasein“ länger zu genießen und etwas Abstand zur täglichen Routine zu bekommen. Zum einen haben sich aber einige Dinge im Hintergrund geändert, zum anderen sind die aktuellen Zeiten in der HV-Branche – Stichwort neue virtuelle HV – einfach zu spannend, um zuzuschauen. Was meinen neuen Arbeitgeber betrifft: Computershare teilt meine Philosophie, den Erfolg unserer Kunden in den Vordergrund zu stellen. Diese gemeinsame Basis halte ich für sehr vielversprechend.

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HV Magazin: Und warum gerade jetzt, noch vor dem Jahreswechsel?

Van Rooijen: Uns erwarten in der kommenden HV-Saison große Herausforderungen durch die veränderten Rahmenbedingungen für Hauptversammlungen in Deutschland. Sowohl das neue virtuelle Format als auch die Präsenz-HVs, die in der kommenden Saison wieder zahlreicher stattfinden werden, müssen neu gedacht werden. Als einer der erfahrensten HV-Experten der Branche war Bernhard die logische Ergänzung für unser Team auf dem Weg, unsere Servicequalität für unsere Kunden weiter zu erhöhen.

HV Magazin: Aber Hand aufs Herz, Herr Orlik: (Wie) können Sie sich nach so vielen Jahren und Versammlungen jeglicher Größe, die Sie vermutlich selbst besucht haben, noch motivieren für diesen engen Markt?

Orlik [lacht]: Tatsächlich geben mir unsere Kunden diese Motivation. Wenn ich mir überlege, welche technischen Entwicklungen wir in den letzten Jahren erlebt haben … Als ich Mitte der 1990er-Jahre mit HV begonnen habe, da war die Abstimmung mit Handaufheben bei den meisten Aktiengesellschaften noch der Standard. Die Abstimmung mit einem EDV-betriebenen System und dem Scannen von Stimmschnipseln war schon eine Nouvelle, Stimmblöcke gar eine Revolution. Und jetzt gehen wir mit Tablets durch die Reihen oder nutzen Onlinemasken für die Abstimmung. Das wäre ohne einen intensiven Austausch mit unseren Kunden und die aus den zahlreichen Gesprächen entwickelten Ideen nicht möglich gewesen. Darüber hinaus haben wir noch zahlreiche weitere Ideen. Lassen Sie sich überraschen.

Frau van Rooijen, Herrn Orliks Weggang ist ja nicht der erste in der Reihe – schon die Monate zuvor haben sich mehrere HV-Berater auf den Weg zu Ihnen gemacht. Haben Sie sie alle abgeworben oder wie kam das zustande?

Kirsten van Rooijen (links) kam 2007 als Account Manager bei Georgeson in London zu Computershare. Nach ihrem Umzug in die Niederlande leitete sie das Benelux-Team von Georgeson bei einer Reihe von hochkarätigen Transaktionen, aktivistischen Situationen und Aktionärsversammlungen für renommierte Unternehmen wie ASM International, ING Group und Shell. Im Jahr 2009 übernahm sie zusätzlich die Rolle des Managing Director Netherlands bei Computershare. Sie war an zahlreichen Aktionärsversammlungen, der Einführung von Mitarbeiterbeteiligungsplänen und Sammelklageprojekten beteiligt. Heute ist Kirsten van Rooijen bei Computershare weltweit für Aktionärsversammlungen zuständig und hat die Position des Head of Continental Europe inne, die sieben Länderorganisationen umfasst.
Bernhard Orlik (rechts) ist Experte für echte virtuelle Hauptversammlungen mit mehr als 25 Jahren Erfahrung als Berater und Innovator. Aufsichtsräten, Vorständen sowie zuständigen Fachabteilungen steht Bernhard Orlik mit Rat und Tat als Sparringspartner zur Verfügung. Seit 01.12.2022 verstärkt Orlik das Team von Computershare Deutschland als Head of Client Services. Er leitet ein Team von rund 30 erfahrenen Consultants, die 130 Emittenten im Registerbereich und über 300 Versammlungen im Jahr betreuen. Quelle: andrea@feicht-photography.de

Van Rooijen: Dazu möchte ich nur sagen: Wir kennen Bernhard Orlik und seine Arbeit natürlich schon seit vielen Jahren, und wir freuen uns, dass er das Wissen und die Erfahrung, die wir bereits an Bord haben, mit seinem Eintritt in unser Unternehmen ergänzt.

HV Magazin: Generell tat sich lange wenig bis nichts rund um die Institution Hauptversammlung, erst mit Corona und der damit verbundenen Notfallgesetzgebung kam richtig Musik ins Spiel. Die virtuelle HV war geboren, erst pandemiebedingt vorübergehend, seit Sommer regulär. Wäre diese Entwicklung auch ohne die Seuche so gekommen?

Orlik: Ich propagiere seit Jahren die Digitalisierung der Hauptversammlung, in anderen Ländern sind Online- oder gar hybride Veranstaltungen schon seit bestimmt zehn Jahren salonfähig. In Deutschland ist es weniger eine fehlende Technikaffinität oder gar die Abwesenheit der technischen Möglichkeiten einer digitalen HV-Durchführung – es waren vielmehr die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die dazu führten, dass man an bewährten Formaten festhielt und Online-HVs ob der gegebenen Anfechtungsrisiken ablehnte. Nach meiner Einschätzung hätte die digitale Transformation ohne Corona noch deutlich länger dauern können.

HV Magazin: Herr Orlik, einer Ihrer ehemaligen Mitarbeiter hat im Interview in der letzten Ausgabe des HV Magazins einen Mangel an qualifizierten Beratern in der Branche moniert und deshalb sogar ein eigenes Ausbildungsprofil zum HV-Manager gefordert. Was halten Sie von einer solchen Qualifizierungsoffensive?

Orlik: Das Problem, Berater zu finden, ist natürlich seit Langem bekannt. Das Berufsbild ist vielschichtig und eine Qualifikation dauert lange. Zu mindestens 75% besteht unser Job aus Erfahrung – und diese kann man nicht erlernen, man erwirbt sie während jeder HV-Saison.

Van Rooijen: Computershare hat die Thematik schon vor Jahren erkannt und bildet daher gezielt Personal für den Backoffice-Bereich ebenso aus wie Berater oder IT-Kaufleute. Aber auch wir machen die Erfahrung, dass es eben seine Zeit braucht, um die Ausgebildeten einsetzen zu können.

HV Magazin: Gibt es denn im Moment genügend HV-Beraterinnen und Berater, um den Unterstützungsbedarf bei allen nachfragenden Unternehmen in Deutschland zu befriedigen?

Van Rooijen: Definitiv nein. Und es geht ja nicht nur um den Berater: Hinter dem Berater an der „HV-Front“ steht jeweils noch ein Apparat an Kolleginnen und Kollegen, die eingehende Anmeldungen abarbeiten, die für die technische Infrastruktur verantwortlich zeichnen und die sich um die Logistik kümmern. Auch hier benötigt man einige Erfahrung, gute Nerven und in der Saison eine gewisse Stressresistenz.

HV Magazin: Wie viele der knapp 500 börsennotierten AGs in Deutschland richten Ihre jährliche Aktionärsversammlung denn überhaupt mithilfe eines HV-Dienstleisters aus? Und wie ist der Trend?

Van Rooijen: Hier sind wir bei fast 100%, schätze ich. Aber es geht nicht nur um Hauptversammlungen börsennotierter und nicht börsennotierter Gesellschaften, sondern auch um Mitglieder-, Gläubiger- und Gesellschafterversammlungen. Computershare betreut global 7.500 Versammlungen im Jahr, 2.500 davon virtuell bzw. hybrid. Mit dieser großen Kundenbasis können wir Trends frühzeitig erkennen und gleichzeitig von den Best Practices unserer internationalen Kollegen profitieren. In den letzten Monaten haben wir verstärkt hybride Versammlungen gesehen, wo die Gesetzgebung sie erlaubt, und auch virtuelle Versammlungen bleiben beliebt.

HV Magazin: In der Sache scheint im Moment und im Hinblick auf die HV-Saison 2023 ein Kopf-an-Kopf-Rennen stattzufinden zwischen Firmen, die die virtuelle HV beibehalten wollen, und solchen, vor allem kleineren Unternehmen, die wieder zurück zur Präsenz-HV streben. Für wen ist dieser Schwenk zurück zur klassischen Präsenz-HV am sinnvollsten?

Orlik: Je kleiner eine Hauptversammlung, desto eher Präsenz, je internationaler ein Aktionariat, desto eher virtuell. Aber eigentlich bleibt es immer eine Einzelfallbetrachtung: Ein Unternehmen der IT-Branche wird sicherlich eine größere Affinität zu virtuellen HVs haben als ein familiengeführtes Unternehmen, bei dem die HV auch immer ein Familientreffen ist. Die perfekte Durchführungsform für einen Kunden zu finden, genau das macht die Beratungsleitung eines Dienstleisters aus.

HV Magazin: Frau Rooijen, Herr Orlik, zu guter Letzt noch ein kleines Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Ihnen beiden, wenn Sie erlauben: Wie viele Hauptversammlungen haben Sie jeweils in Ihrem Leben schon besucht?

Van Rooijen: Da wird Herr Orlik verdient und mit Abstand gewinnen. Ich habe mir bei unserem Tochterunternehmen Georgeson in London die ersten Sporen verdient, aber Vor-Ort-Einsätze sind im Proxy-Solicitation- und Beratungsgeschäft nicht an der Tagesordnung. Ich werde mich da im dreistelligen Bereich bewegen.

Orlik: Überschlagsmäßig waren es bei mir 50 HVs pro Jahr in 25 HV-Jahren, das wären so 1.250. Aber ich habe ja auch ein paar Jährchen Vorsprung …

HV Magazin: Frau van Rooijen, Herr Orlik, vielen Dank für diese interessanten Einblicke in einen bewegten Markt.

www.computershare.com/de

Das Interview führte Simone Boehringer.

Autor/Autorin

Simone Boehringer

Simone Boehringer ist die Redaktionsleiterin "Kapitalmarktmedien" der GoingPublic Media AG.