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Ein Gespräch über die Entkopplung von Realwirtschaft und Insolvenzgeschehen in der Coronakrise, die Besonderheiten des heimischen Aktienmarkts und Finanzierungsalternativen für Unternehmen in volatilen Zeiten.

GoingPublic: Herr Kröger, wie geht es Ihnen in diesen bewegten Zeiten mit der Aktienkursentwicklung des ATX im europäischen Vergleich?

Harald Kröger: Durch die Nähe der Region Zentral- und Osteuropa (CEE) zum Kriegsschauplatz in der Ukraine, den Small- and Mid- Cap-Charakter der in Wien notierten ­Unternehmen und die eher zyklische ­Indexzusammensetzung hat der ATX heuer etwas mehr nachgegeben als Vergleichs­indizes. Genau diese Merkmale haben aber im Zeitraum Ende 2020 bis Anfang dieses Jahres – neben einer ausgezeichneten Gewinnentwicklung der Unternehmen – zu einer Verdoppelung des Index und ­somit einer deutlichen Outperformance gegenüber anderen Märkten geführt.

GoingPublic: Der Energie- und Rohstoffsektor spielt an der Wiener Börse eine bedeutende Rolle. Wie stark schlägt hier bisher die laufende Energiepreisinflation durch und womit rechnen Sie bis Jahresende?

Harald Kröger: Die Sektoren Öl/Gas und Energie haben ­jeweils eine ca. 15%ige Indexgewichtung. Somit schlagen sich die Kursbewegungen der betreffenden Unternehmen auch sichtbar im Index nieder. Die Energiepreisinflation hat teilweise positive Auswirkungen für Energieerzeuger. Gleichzeitig sind mehr Interventionen aus der Politik zu erwarten, sei es über einen Umsatzdeckel für Stromverkaufspreise oder wie bei den Öl/Gas-Unternehmen mit einer Solidarabgabe 2022 für Gewinne, die mehr als 120% des Dreijahresdurchschnitts betragen.

GoingPublic: In Deutschland haben bereits vereinzelt namhafte Unternehmen wegen der hohen Energiepreise ihre Geschäftsaufgabe oder Insolvenz angemeldet. Womit rechnen Sie hier in den nächsten Monaten realökonomisch, welche Länder werden am stärksten betroffen sein?

Zum Interviewpartner: Mag. Harald Kröger ist CEO der Raiff­eisen Centrobank und Bereichsleiter Invest­ment­banking in der Raiffeisen Bank International AG (RBI).

Harald Kröger: Während Corona kam es zu einer Entkoppelung von realwirtschaftlicher Entwicklung und Insolvenzgeschehen. Aktuell ­stehen bei staatlichen Stützungsmaß­nahmen zwar private Haushalte im ­Fokus, doch auch in dieser Krise dürfte mittels Stützungsmaßnahmen ein kurzfristiger energiepreisbedingter Anstieg der Insolvenzen verhindert oder zumindest abgemildert werden. Industriebetriebe in Griechenland, Belgien und Finnland ­weisen die höchste Energieintensität in Relation zum Gesamtenergieverbrauch auf. Allerdings ist zur Beurteilung des Insolvenz­risikos natürlich auch die ­Profitabilität bezogen auf die Gesamtwirtschaft relevant; Finnland und Griechenland sind dies­bezüglich überdurchschnittlich, Portugal unterdurchschnittlich. Letztendlich entscheidend sind aber wohl etwaige nationale Eingriffe in den Energiemarkt, die wir vor allem in ­Portugal sehen, sowie Stützungsmaß­nahmen.

GoingPublic: Die Volatilität als Maß für Chancen und Risiken wirkt sich erfahrungsgemäß auch besonders auf die Gefühlslage bei IPO-Kandidaten aus. Wie schätzen Sie die Aussichten auf weitere Börsengänge für das anlaufende vierte Quartal ein?

Harald Kröger: Das angespannte Marktumfeld seit dem Ausbruch des Kriegs gegen die Ukraine hat die weltweiten Volatilitätsmaße natürlich nach oben geschraubt. Erhöhte Volatilität wirkt sich negativ auf die Emissionstätigkeit aus, und genau das haben wir im ersten Halbjahr 2022 und bis heute auch deutlich gesehen. Es gab zwischendurch aber auch durchaus Zeiträume, in denen die Volatilität auf ein niedrigeres Maß ­gesunken ist und in denen Unternehmen an den Markt gegangen sind. Besonders betroffen von höherer Volatilität und ­gesunkene Bewertungen sind Exits von Beteiligungsgesellschaften, die sich in ­ihrem Markttiming primär an den Bewertungsniveaus orientieren. Unternehmen, die an einen Börsengang oder eine Kapitalerhöhung denken, nehmen dagegen auch ihre Wachstumspläne und die Kosten ­alternativer Finanzierungen neben den Bewertungslevels als Entscheidungskriterien heran. In Zeiten steigender Zinsen wird der Eigenkapitalmarkt hier sicherlich eine wichtige Rolle übernehmen.

GoingPublic: Welche Finanzierungsalternativen sehen Sie, insbesondere für den Mittelstand und Start-ups?

Harald Kröger: Für mittelständische Unternehmen und Start-ups bieten sich Venture Capital und Private Equity Funds an. Während sich bei Frühphaseninvestments in Österreich schon eine starke Investorenlandschaft gebildet hat, hinkt man bei Scale-ups und im ­Bereich der Pre-IPO-Finanzierung den ­internationalen Pendants hinterher. Die RBI stellt mit ihren Initiativen in diesem Bereich (Austrian Growth Capital Fund, Raiffeisen Continuum, Elevator Ventures) Wachstumskapital zur Verfügung und unterstützt die Unternehmensnachfolge. Und mit dem Digital Basket wurde ein innova­tives Fremdkapitalkonzept für Scale-ups entwickelt.

GoingPublic: Welche Rolle spielen Unternehmens­anleihen für die Unternehmen in Österreich generell als Alternative zur Eigenkapitalfinanzierung und ab welchem Niveau tun steigende Zinsen in der jetzigen inflationären Lage dem Kapitalmarkt wirklich weh?

Harald Kröger: Klassische Unternehmensanleihen sind eher eine Ergänzung zur Eigenkapital­finanzierung, aber keine Alternative dazu. Ich sehe die aktuelle Situation als Phase der Normalisierung. Wir sollten uns wieder dran gewöhnen, dass Negativzinsen und der unersättliche Appetit von Notenbanken nicht die Normalität sind. Auch hier gilt es, Chancen zu nutzen. Beispielsweise kann man durch Convertible Bonds die aktuell hohe Volatilität nutzen, um ­Kapitalkosten zu optimieren.

GoingPublic:In Deutschland kommt neuerdings die Gesetzgebung zur steuerlichen Förderung und auch Vereinfachung von Mitarbeiterbeteiligungen voran. Wie ist diesbezüglich die Motivation der Legislative in Wien? Was wünschen sich die Unternehmen?

Harald Kröger: Es herrscht in Österreich eine aus meiner Sicht attraktive steuerliche Behandlung der Mitarbeiterbeteiligung, die je nach Struktur eine jährliche Steuerbefreiung von bis zu 4.500 EUR ergibt. Neben der ­bereits bestehenden Regelung für individuelle Mitarbeiter wurde vor einigen ­Jahren die Mitarbeiterbeteiligungsstiftung eingeführt. Deren Zweck ist insbesondere die Stärkung des Kernaktionärs der Stiftung sowie die Sicherung von Arbeitsplätzen und Standort. Die Aktien für die Mitarbeiter werden in der Mitarbeiterbeteiligungsstiftung treuhändig verwaltet und verwahrt. Die Stiftung darf vorübergehend Aktien im Ausmaß von maximal 10% der Stimmrechte am Unternehmen halten. ­Einige Unternehmen haben diese Struktur bereits aufgesetzt, andere bevorzugen die bereits seit Längerem bestehende Beteiligung. Eine Vereinfachung der Verfahren wäre sicherlich wünschenswert und könnte weitere Unternehmen zu einer Mitarbeiterbeteiligung bewegen.

GoingPublic: Die Wiener Börse schaut traditionell auch immer stark Richtung Osteuropa. Welche Banken und Handelsplätze ­betrachten Sie hier als die größten ­Konkurrenten und wo sehen Sie ­eventuell auch Raum für Kooperationen?

Harald Kröger: Die Wiener Börse hat als Hub zwischen CEE und der westlichen Anlegerschaft stets profitiert, sieht sich aber auch als Börse für international tätige Marktführer aus der Region. Der Großteil der an der Wiener Börse notierten Unternehmen hat einen signifikanten Anteil seiner Geschäftstätigkeit im CEE-Raum, sie werden daher von Investoren oft anstelle von ­Unternehmen aus CEE gehandelt. Außerbörsliche Handelsplätze (MTFs) sind seit Längerem eine ernst zu nehmende Konkurrenz zum klassischen Börsenplatz, wiewohl das primär für institutionelle Großanleger gilt. Die Wiener Börse hat diesen Wettbewerb immer aktiv bestritten und punktet mit höchstmöglicher Transparenz sowie attraktiven Handelsmodellen mit aktiver Liquiditätsunterstützung.

GoingPublic: Was wünschen Sie sich, um den öster­reichischen Kapitalmarkt weiter voranzubringen?

Harald Kröger: Die Stärke eines Kapitalmarkts wird durch das Engagement seiner Teilnehmer geprägt. Ich wünsche mir daher, dass heimische Investoren, insbesondere Pensions- und Vorsorgekassen, im Rahmen ihrer Möglich­keiten noch stärker als Kapitalmarkt-Player auftreten und dadurch die Attraktivität des heimischen Markts auch für internationale Investoren steigt. Ebenso wünsche ich mir, dass der eine oder andere heimische Champion die Vorteile eines Börsenlistings erkennt und die Wiener Börse als Plattform für Wachstumsfinanzierungen unter Erhalt der Unabhängigkeit in Anspruch nimmt.

Herr Kröger, vielen Dank für Ihre Zeit und die ausführlichen Statements.

Das Interview führte Simone Boehringer.

Autor/Autorin

Simone Boehringer

Simone Boehringer ist die Redaktionsleiterin "Kapitalmarktmedien" der GoingPublic Media AG.